Minister über Angriff in Bad Freienwalde: „Das ist total alarmierend“
Nach dem Angriff auf ein demokratisches Fest in Bad Freienwalde sieht Brandenburgs Innenminister Wilke eine neue Qualität rechter Gewalt – und verteidigt die Polizei.

taz: Herr Wilke, in Bad Freienwalde griffen offenbar Rechtsextreme, vermummt und mit Schlagstöcken, ein demokratisches Straßenfest an. Es gab mehrere Verletzte, die Täter entkamen. Erleben wir eine neue Eskalation des Rechtsextremismus in Brandenburg?
René Wilke: Ich fürchte, leider ja. Dass sich so etwas im öffentlichen Raum getraut wird, hat es seit Jahren nicht gegeben. Es gab schon vorher Vorfälle, wo es am Rande von solchen Veranstaltungen Störungen gab, das habe ich selbst erlebt. Aber was wir in Bad Freienwalde gesehen haben, hat eine völlig andere Qualität. Und es ist kein Einzelfall.
Ich bin ja sofort in die Stadt gefahren und mir haben Teilnehmende der Veranstaltung erzählt, dass sie schon länger ein Unsicherheitsgefühl im öffentlichen Raum haben, dass sie sich dort mulmig fühlen. Und dann hatten wir in den letzten Wochen auch Vorkommnisse in anderen Städten. Das Problem besteht also nicht an einem Ort, sondern ist raumgreifend. Wir erleben ein Phänomen, von dem wir dachten, wir hätten es überwunden.
ist 40 Jahre alt und seit Mitte Mai Innenminister von Brandenburg. Der Kulturwissenschaftler war bei den Linken aktiv, ist aber inzwischen parteilos. Er wurde 2018 als Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) vereidigt.
taz: Sie meinen ein Wiedererstarken des Rechtsextremismus – mit oft sehr jungen Agierenden?
Wilke: Ja, genau. Dass junge Menschen in dieser Häufigkeit und so früh wieder mit Gewaltbereitschaft auftreten, ist total alarmierend. Es zeigt, wie sehr hier bei einigen etwas beim Aufwachsen schiefläuft.
taz: Haben Sie für den Angriff in Bad Freienwalde inzwischen Hinweise auf die Täter? Vor Ort wird etwa die Neonazi-Partei „Der III. Weg“ verdächtigt.
Wilke: Nein. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, es wurde eine Ermittlungsgruppe gebildet. Es gibt Videoaufnahmen, die ausgewertet werden. Es gab festgestellte Personen im Umfeld des Festes, bei denen geprüft wird, ob sie etwas mit dem Angriff zu tun hatten. Alle wollen, dass es zügig Ermittlungserfolge gibt.
taz: Das Bündnis „Bad Freienwalde ist bunt“ beklagt, dass keine Polizei vor Ort war, als der Angriff geschah. Warum war das so?
Wilke: Es stimmt nicht, dass keine Polizei vor Ort war. Es gab zwei Streifenwagen direkt vor Ort, ein dritter war im Umfeld. Die Beamten waren zurückhaltend postiert – wie das bei solchen Veranstaltungen auch oft gewünscht ist –, aber sie waren da. Und es gab im Vorfeld keine Hinweise, dass solch ein Angriff stattfinden könnte, keine Aufrufe im Netz oder anderswo. All das fließt in die Lageeinschätzung ein.
taz: Aber auch in Brandenburg wurden zuletzt immer wieder CSDs bedroht. Und das Bündnis in Bad Freienwalde berichtet, dass schon frühere Veranstaltungen gestört wurden.
Wilke: Wie gesagt: Die Polizei war vor Ort, das zeigen auch Einsatzprotokolle. Und vier Jahre lang fand diese Veranstaltung störungsfrei statt. Es gab keine Hinweise, dass es diesmal anders sein könnte.
taz: Aber den Angriff verhinderten die Einsatzkräfte nicht. Und auch die Täter nahmen sie nicht fest.
Wilke: Also da stelle ich mich nicht nur aus Prinzip, sondern auch nach dem, was ich vor Ort erlebt habe, sehr schützend vor die Polizei. Hätte diese Veranstaltung komplett abgesichert werden sollen, hätten wir ein Großaufgebot von Polizisten gebraucht und das hätte sich für die Teilnehmenden sicher mindestens unangemessen angefühlt – umso mehr, wenn es im Vorfeld keine Hinweise auf Störungen gab.
Zur Wahrheit gehört: Die Polizei muss lageabhängig arbeiten und kann nicht jede Veranstaltung mit einem Großaufgebot hundertprozentig absichern, das würde kein Bundesland hinbekommen. Daher mein Hinweis, dass wir als Gesamtgesellschaft eine solche Entwicklung, egal wo man politisch steht, nicht hinnehmen können.
taz: Wie kann der Schutz solcher Veranstaltungen künftig verbessert werden?
Wilke: Die Ereignisse von Bad Freienwalde werden in künftige Lagebewertungen mit einfließen. Und dann wird es bei Veranstaltungen nicht überall – ich überspitze – eine Hundertschaft der Polizei geben, aber womöglich mancherorts ein anderes Sicherheitsaufgebot.
taz: Sie sind erst seit drei Wochen im Amt, haben nun angekündigt, man müsse sich solcher Gewalt „mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen“. Was heißt das? Schlagen Sie da neue Wege ein?
Wilke: In drei Wochen Amtszeit habe ich natürlich noch keine fertige Antwort auf dieses Problem. Aber an sich gibt es ja zwei Grundstrategien: Den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten und schnell zum nächsten Thema übergehen, um dem Ort und Thema nicht unnötig Aufmerksamkeit zu verschaffen. Oder: Das Problem offensiv ansprechen, die Bevölkerung dafür sensibilisieren, nichts unter den Teppich kehren. Letzteres ist meine Herangehensweise. Denn wir haben mit der Radikalisierung im Jugendbereich ein Problem, das uns nicht nur die nächsten Wochen und Monate beschäftigen wird, sondern für Jahre.
taz: Wie lautet da Ihre bisherige Antwort?
Wilke: Es braucht Entschiedenheit von Polizei und Justiz, wo Straftaten geschehen. Aber die Polizei wird das Problem nicht allein lösen können. Sie bekommen ja eher die Auswüchse von entstandenen Problemen zu spüren. Es klingt wie eine Plattitüde, aber das Zauberwort heißt wie immer Präventionsarbeit. Das wird viel Kärrnerarbeit. Wir müssen in der Bildungsarbeit früher ansetzen und an Schulen gehen. Wir müssen dort über Extremismus aufklären und vor allem über die sozialen Medien, und wie dort Inhalte und Symbole einzuordnen sind. Damit die Jugendlichen nicht den falschen Leuten auf den Leim gehen.
Das Thema Medienbildung ist bisher völlig unterbelichtet. Die Jugendlichen werden sozialen Medien schutzlos ausgeliefert. Das ist ein Zustand, der so nicht weiter hingenommen werden kann.
taz: Sie wollen soziale Medien stärker kontrollieren?
Wilke: Ich will erst einmal mehr Aufklärung. Und wir müssen diese Arbeit über die Ministerien und Behörden besser verzahnen. Auch bundesweit, denn das Thema ist keines nur von Bad Freienwalde oder von Brandenburg. Diese Radikalisierungen geschehen überall. Am Ende braucht es eine gesamtgesellschaftliche Antwort, einen starken Konsens, dass diese Ideologie und Gewalt nicht akzeptiert werden, sondern geächtet.
taz: Sie wuchsen in Brandenburg auf, erlebten dort die Baseballschlägerjahre. Sind wir wieder an dem Punkt?
Wilke: Ja, das hat auch meine Jugend geprägt. Aber ich würde sagen: So weit sind wir heute noch nicht. Aber mir scheint, dass wir von diesen Zuständen auch nicht mehr allzu weit entfernt sind. Was wir aber in den Neunzigern auch erlebt haben, ist, dass sich am Ende eine Bewegung offensiv gegen den Rechtsextremismus gestellt hat und dann Stück für Stück Erfolge erzielt hat. So wird es jetzt auch sein müssen.
taz: Heute gibt es auch eine starke AfD, die rechtsextreme Parolen verbreitet. Hat auch sie eine Mitschuld an Taten wie in Bad Freienwalde?
Wilke: Ich sehe auf jeden Fall, dass Dinge, die in diesem Land viele Jahre oder Jahrzehnte nicht tolerierbar waren, nun wieder stärker in die Gesellschaft eingewoben werden. Und da ist die AfD vorne mit dran. Das verändert ein gesellschaftliches Klima und das Denken. Und dann werden Dinge erst wieder sagbar – und dann auch machbar. Und dann können auch Täter wie in Bad Freienwalde sich im Glauben wähnen, ihre Tat finde in Teilen der Gesellschaft Unterstützung. Auch das war ein Grund, warum ich sofort nach Bad Freienwalde gefahren bin. Um zu zeigen: So ist es nicht.
Wir verurteilen diese Taten aufs Schärfste. Und wir stärken den Betroffenen den Rücken und zeigen, ihr seid nicht allein.
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