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Volksentscheide in BerlinDen Willen der Mehrheit kann man nicht ignorieren

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Die schwarz-rote Koalition in Berlin handelt mit ihren Plänen für Vergesellschaftungen und das Tempelhofer Feld gegen den Willen der Berliner*innen.

Die Ber­li­ne­r*in­nen lieben das Tempelhofer Feld – und wollen sich ihre Freifläche nicht nehmen lassen Foto: Christophe Gateau/dpa

W er die Spielregeln selbst mitbestimmen kann, weiß das System insgesamt mehr wertzuschätzen, lautet ein gängiges Argument für direkte Demokratie. Wenn es danach geht, dürften die Ber­li­ne­r*in­nen nur noch wenig Wertschätzung für die derzeitige politische Ordnung übrig haben. Denn die sieht direkte Demokratie zwar vor – allerdings nur auf dem Papier.

„Mit dem Volksentscheid besteht die Möglichkeit, neue Gesetze zu erlassen, bestehende Gesetze zu ändern oder ganz aufzuheben“, heißt es bei der Landeszentrale für politische Bildung. Und sie erwähnt dann auch gleich ein Beispiel: „Im Jahr 2014 verhinderte eine Volksabstimmung die vom Senat geplante Bebauung des Tempelhofer Feldes.“

Nun, das war einmal. Denn der schwarz-rote Senat interessiert sich weniger für den Willen des Volkes als für den der Immobilienlobby. Und die hat ein großes Interesse daran, das Tempelhofer Feld in bester Innenstadtlage mit hochpreisigen Wohnungen zu bebauen. Und überhaupt kein Interesse daran, dass der Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienunternehmen umgesetzt wird.

Also legen CDU und SPD die Axt an die direkte Demokratie: Der Volksentscheid zur Nichtbebauung des Tempelhofer Feldes wird ignoriert und der Ideenwettbewerb für eine Neugestaltung des Feldes einfach trotzdem durchgezogen. Die am Montag vorgestellten sechs Konzepte sollen als Grundlage für weitere Planungen dienen. Doch auch hier spricht sich, wie schon in den Dialogwerkstätten zur Zukunft des Feldes im vergangenen Jahr, eine Mehrheit explizit gegen eine Randbebauung aus.

Die Quittung gibt's bei der nächsten Wahl

Aber Mehrheiten interessieren CDU und SPD wenig, wenn es darum geht, ihren Freunden aus der Immobilienbranche lukrative Aufträge und stabile Renditen zu sichern. Obwohl sich vor vier Jahren mehr als eine Million vom Mietenwahnsinn geplagte Ber­li­ne­r*in­nen für die Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen & Co entschieden haben, verhindert Schwarz-Rot das Vorhaben, wo es nur geht. Die „Eckpunkte“ für das Vergesellschaftungsrahmengesetz, die am Sonntag als „was ganz Großes, was Historisches“, für das „kommende Generationen dankbar sein werden“, angepriesen wurden, sind nur ein weiterer Bluff in diesem Spiel auf Zeit.

Doch egal wie despotisch CDU und SPD derzeit auch gegen den Willen der Ber­li­ne­r*in­nen agieren, über kurz oder lang werden sie von Mehrheiten eingeholt. 64,3 Prozent haben für das Tempelhofer Feld und 59,1 Prozent für Enteignungen votiert. Mehrheiten, von denen CDU und SPD nur träumen können. Laut aktuellen Umfragen kommen sie derzeit zusammen gerade einmal auf 39 Prozent. In einem Jahr wird wieder gewählt. Und die Ber­li­ne­r*in­nen werden sich nicht länger ignorieren lassen.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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11 Kommentare

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  • Der Volksentscheid war nicht bindend. Man kann ihn ganz entspannt ignorieren.

    • @DiMa:

      das ist etwas irreführend. korrekt ist: der berliner senat kann eine änderung des gesetzes, das aus dem volksentscheid resultierte, vornehmen. korrekt ist auch: er muß sich dafür eine parlamentarische mehrheit organisieren. viel spaß dabei.

      zum glück herrschen noch demokratische verhältnisse und die exekutive kann nicht einfach das, was ihr nicht passt "ganz entspannt ignorieren".

  • jeder der 6 entwürfe gefällt mir wesentlich besser als die momentane steppenlandschaft des tempelhofer feldes. dialog statt blockade halte ich für angebracht. entwicklungsstadt....tehen-zur-debatte/

  • Liebe Berliner - ihr jammert über die hohen Mietpreise, aber



    - das Tempelhofer Feld (einen baumlosen Acker - nicht ein Naturschutzgebiet !) bebauen geht nicht



    - Nachverdichten will man nicht (wie diverse Berichte über Widerstände von Bewohnern zeigen)



    - ins Umland ziehen will man nicht



    Also was nu? Wo sollen denn neue Wohnungen hin?

    • @Sandra Becker:

      Die wirklich Konservativen in Berlin sind die, die wollen, dass alles genau so bleibt wie ca 1999 - 2010, als sie von einer Kleinstadt nach Berlin gezogen sind.

  • Der Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienunternehmen ist nicht umsetzbar. Das wird so nie kommen und wäre im Ernstfall wahrscheinlich verfassungswidrig, da so etwas nicht von einem Bundesland entschieden und durchgeführt werden kann.

    Was die Bebauung des Tempelhofer Feldes angeht, ist die Lage diffiziler. Auf diese Bebauung kann man verzichten, denn sie würde dem Berliner Immobilienmarkt ohnehin keine Entlastung bringen. Dafür ist das Tempelhofer Feld mit 3,55km² viel zu klein (zum Vergleich: ganz Berlin hat 891km²). Man müsste schon das komplette Tempelhofer Feld mit 8-stöckigen Wohnhäusern komplett zubauen, um einen Effekt zu erzielen, den man spüren kann. Abgestimmt haben gegen die Bebauung natürlich lauter Menschen, die jetzt schon in Berlin wohnen, nicht solche, die dorthin ziehen wollen. Das Tempelhofer Feld gehört jedoch dem Land Berlin, das mit dem Areal prinzipiell auch etwas anderes machen könnte, als es den Einwohner Berlins als Spielplatz zur Verfügung zu stellen. Aber was hätten die Berliner WählerInnen davon? Da offenbart sich ein gewisses Dilemma, denn auch Berlin wächst durch Zuzug von außen und entwickelt sich wirtschaftlich im Moment ziemlich gut.

    • @Aurego:

      was Ihre einzelmeinung zur grundsetzlichen und verfassungsmäßigen umsetzbarkeit des volksentscheids zur vergesellschaftung auf der grundlage von Art 15 GG (und nicht, wie Sie fälschlicherweise schreiben, enteignung, die wird in Art. 14 GG benannt) betrifft: da sind alle (!) 13 mitglieder der expertenkommission (größtenteils fachjurist*innen) ja bekanntermaßen zu anderen einschätzungen gelangt, die man sich unter folgendem link zu gemüte führen kann: www.berlin.de/komm...haftung/downloads/

    • @Aurego:

      Sie wissen aber schon, dass auch jetzt schon Enteignungen an der Tagesordnung sind und dies immer so wahr - ich erinnere mich das in den 1970ern mehrere Menschen für eine Strassenbahntrasse enteignet wurden und dies auch nur von einem Bundesland abgesegnet wurde. Bei den Tagebauen ist das seit Jahrzehnten gang und gäbe, genauso wie für Autobahnprojekte.

  • Ein Enteignungsgesetz - machst endlich - müsste zwingend folgende Formeln enthalten:



    1. Berlin kennt den geltenden Rechtsrahmen an und akzeptiert alle Urteile der deutschen und europäischen Gerichtsbarkeit (Konzerne wie Heimstaden, die Pensionsleistungen in ihrem Portofolio haben werden vor dem EUGH klagen) auch hinsichtlich der Entschädigungen.



    2. Die städtischen Unternehmen müssen kostenneutral für den Steuerzahler den Kaufpreis aus eigenen Mitteln bzw. eigenen Krediten stemmen.

    Das dürfte kein Problem sein, denn Linke, Grüne und Teile der SPD haben den Supersparpreis ja durchgerechnet ist. Glauben wir Ihnen einfach mal.

  • Wie lange gilt der Wille der Mehrheit? Kann er sich ändern?

    • @Suryo:

      könnte man ja mal fragen. erste hinweise auf ide stimmungslage gibt es bereits: 39 prozent zustimmung für SPD/CDU, eine ideenwettbewerb, bei dem die mehrheit der ausgewählten projekte gegen eine randbebauung ist, eine dialogwerkstatt mit breiter bürgerbeteiligungn aus dem vergangenen jahr, bei dem sich eine klare mehrheit gegen eine randbebauung des feldes aussprach. ich wage zu behaupten: de jetzige regierung traut sich nicht die bevölkerung zu fragen, weil sie zu recht fürchtet, dass diese die dinge anders sieht, als sie.