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Umgang mit migrantischen FachkräftenVerschenkte Expertisen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Pflegekräfte aus dem Ausland müssen etwa 500 Tage auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse warten. So kann man nicht mit ihnen umgehen.

Manche können und wollen pflegen, aber sie dürfen lange nicht Foto: Daniel Karmann/dpa

P flegenotstand, Pflegenotstand, Pflegenotstand! So lautet das Mantra dieser Tage. Dahinter steckt ein Drama, für das sich keine Katharsis andeutet. Es fehlen Plätze in Pflegeeinrichtungen und Pflegekräfte, dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge aktuell 130.000 Fachkräfte. Bis 2049 könnten es mehr als doppelt so viele sein. Die Folgen entfalten sich längst brachial: Pflegekräfte melden sich wegen Burnouts längerfristig krank, steigen aus dem Beruf aus oder verabschieden sich früher in die Rente.

Diese Zustände werden sich verschärfen und ziehen wiederum weitere Folgen nach sich: Mehr Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, landen früher oder später wegen Überlastung in einer Klinik, meistens sind das Frauen. Zu guter Letzt verstärkt die sinkende Qualität in Pflegeeinrichtungen die Unzufriedenheit aller Seiten. All das können die gestiegenen Pflegeversicherungssätze natürlich nicht ausgleichen.

Nun ist es nicht so, dass es keine Strategien und Initiativen dagegen gäbe. Seit 2013 beispielsweise Triple Win, ein Programm der Bundesarbeitsagentur in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, das Pflegefachkräfte aus Nicht-EU-Ländern anwirbt. Bislang wurden darüber mehrere Tausend Fachkräfte von den Philippinen, aus Indonesien, Tunesien, Indien, Viet­nam und Jordanien nach Deutschland geholt.

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Mit gemischtem Erfolg: Ar­beit­ge­be­r:in­nen sind weitgehend zufrieden, die ausländischen Pflegekräfte vielfach nicht. Denn ihre Integration gestaltet sich nicht selten schwierig, sie fühlen sich hier oftmals nicht willkommen. Wenn jetzt der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste beklagt, dass Fachkräfte aus dem Ausland bis zu 500 Tage darauf warten müssen, dass ihre Abschlüsse anerkannt werden, dürften sich migrantische Fachkräfte darin bestätigt fühlen: Man will unsere Expertise, aber man lässt uns Hilfsarbeiten verrichten.

Will die neue Bundesregierung punkten, muss sie das zeitnah ändern – und in erster Linie ihre Migrationspolitik überarbeiten. Die Pflegebranche ist nicht die einzige mit solchen Zuständen, Kinderbetreuung ist der nächstfolgende desolate Sektor.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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13 Kommentare

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  • Wie immer, brauchts nen Mittelweg.



    Eine pauschale Anerkennung der Abschlüsse wird schnell in Frage gestellt, wenn zum erstenmal, oder schlimmer, zum x sten Mal, der Katheter bei einem/r Angehörigen gewechselt werden soll.

  • Es zeigt sich immer mehr, dass was diese Gesellschaft stark und wohlhabend gemacht hat, wird jetzt zum größten Risiko: Unser kleinteilige perfektionierte Systematik für alles und jede*n, nimmt nicht nur den innovativen Einheimischen, sondern auch vielen dynamischen Zugewanderten die Luft zum erfolgreichen (mit-) arbeiten. Das werden wir auch weder durch die x-te Bürokratieverschlankungsreform noch durch den weiteren Ausbau der Bürokratenstellen in den Griff bekommen. Es bräuchte da eher eine kulturelle Revolution in den Köpfen der Verantwortlichen, mehr Bereitschaft zur unperfekten Eigenverantwortung, mehr echte Entscheider, als risikoscheue Mangelversorgungsverwalter.

  • "Pflegekräfte aus dem Ausland müssen etwa 500 Tage auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse warten."



    Lange bekannt. Ein Unding. Ein weiterer Beweis für die völlig überbordende Bürokratie im Land. Den merz'schen Bierdeckel brauchts nicht nur für Steuern sondern für fast alles im Land - bin gespannt ob er etwas in dieser Richtung hinkriegt...



    ---



    "Will die neue Bundesregierung punkten, muss sie das zeitnah ändern – und in erster Linie ihre Migrationspolitik überarbeiten"



    Da die 500 Tage bis zur Anerkennung aktueller 'Standard' sind ist das zuallererst ein weiterer Beweis, wie unfähig die Ampel war.



    Drei Jahre 'Fortschrittskoalition' = drei verlorene Jahre.



    Das die Union ihre Migrationspolitik ändern muss ist hingegen eine ideologische Forderung - denn die Union will ja nicht Migration generell unterbinden sondern einzig die unkontrollierte Zuwanderung.



    Fachkräfte sind natürlich weiterhin erwünscht.



    Das durch die Begrenzung, bestenfalls völligen Unterbindung der irregulären Migration Pflegefachkräfte ferngehalten werden halte ich für eine sehr streitbare These. Wie hoch liegt denn der Prozentsatz fertig ausgebildeter Pflegefachkräfte unter unkontrollierten Zuwanderern? Eben.

  • Die Dummheit wird niemals ausgehen.



    Insbesondere nicht in deutschen Amtstuben.

    Oder irre ich mich und es ist garnmicht Dummheit sondern Absicht ?

  • Ohne die Angabe von Gründen, weshalb die Anerkennung von Abschlüssen etwa 500 Tage dauert, lassen sich überhaupt keine Schlussfolgerungen ziehen.

    Die Dauer kann mit einer langen Bearbeitungsdauer zusammen hängen. Andererseits kann dies auch damit zu tun haben, dass etwaige Dokumente vorgelegt werden und Nach- und Sprachtests absolviert werden müssen.

    Eine Überarbeitung der Migrationspolitik wäre jedenfalls verfehlt. Soweit die Ursache in der Berabeitungsdauer liegen sollte, wären die Bearbeitungsprozesse anzupassen (insbesondere durch Digitalisierung und KI). Soweit es an den Bewerbern liegen sollte, kann vom Gesetzgeber kaum etwas unternommen werden.

  • Ich bin da gespalten. Klar kann die Bürokratie immer schneller arbeiten und wir brauchen die Leute dringend.

    Aber die Aufrechterhaltung objektiver Standards zur Qualitätssicherung ist ein zutiefst linkes Anliegen. "Fünfe gerade sein zu lassen" ist dagegen die Ansicht eines libertären Unternehmertums.

    Nun gibt es eben das Problem, dass die Mehrheit der Staaten in Sachen formaler (!!) Darstellung von Bildungsabschlüssen weit hinter Deutschland (und ähnlichen Ländern) zurückliegt. Im Nichteuropäischen Ausland sind private Fach/Hochschulen weitaus üblicher inkl. fehlender Regulierung.

    Ganz prinzipiell hat das Ganze auch ein neokolonialistisches Geschmäckle. Andere Staaten sollen ihre Jugend und Bildungsressourcen bereitstellen, um den dekadenten alten Deutschen bis ins hohe Alter die (kinderlose) Bequemlichkeit zu garantieren - deren Jugend soll keine Investition in die eigene Zukunft sein, sondern das Aufopfern für die Vergangenheit. Ich finde das schwierig.

  • Es gibt noch extreme Beispiele. Es gibt fertig ausgebildete nigerianische Ärzte, die hervorragende Abschlüsse in Charkiw (Ukraine) absolviert hatten. Aber trotz schreienden Ärztemangel weiß die Ausländerbehörde nichts mit ihnen anzufangen, sie passen in kein Raster, drei Jahre wurden die Akten nur von links auf rechts gewendet. Aus Verzweiflung haben sie hier Sklavenjobs, sprich FSJ, angefangen, obwohl die deutschen Ärztekollegen ihre Arbeit geprüft haben und sie dringend im OP brauchten, immer wieder Bettelbriefe an die für die Approbation zuständige Bezirksregierung geschrieben haben - gab es keine Chance. Der beste der Kandidaten ist jetzt immerhin wieder im deutschen Medizinstudium. Die anderen hatten nicht so gute Nerven und sind nach vier Jahren nun MTA. Aber was für eine Ressourcenverachwendung ist das!

    • @hedele:

      Das ist in der Tat eine Katastrophe. Weil sie Charkiw erwähnen - gerade die vielen Ukrainer im Land besitzen überdurchschnittlich häufig Ausbildungen und/oder Fachkenntnisse, dürfen diese aber nicht einbringen...



      Die deutsche Bürokratie muss radikal entschlackt, komplett digitalisiert und einzig mit Fokus auf die Wirtschaft ausgerichtet werden.

    • @hedele:

      Unser städtisches Klinikum hat gerade 22 jährige "Ärzte" aus Kasachstan eingestellt, also in einem Alter in dem hier das Studium gerade erst los geht. Die meisten Abschlüsse von außerhalb der EU sind Null mit den Standards hier vergleichbar. Das ukrainische Bildungssystem ist bekannt für seine extreme Korruption und die Vielzahl der ins Ausland verkauften Bildungsabschlüssen. Das erfolgreiche Charkiwer Medizinstudium von Nigerianern würde ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen wollen als Arbeitgeber. Es ist schon ok wenn wir weiterhin nur vergleichbare Abschlüsse aus der EU und der Schweiz anerkennen und alle anderen zumindest mal eine Prüfung ablegen müssen.

      • @Šarru-kīnu:

        Im Prinzip ja. Aber es gibt darüber hinaus einige bürokratische Hindernisse, die man beseitigen könnte, ohne dass das zu Lasten der fachlichen Überprüfung geht.



        Eine Freundin von mir arbeitet im Integrationsbereich, und was sie über den Aufwand berichtet, den Migranten betreiben müssen, um ihre Unterlagen in eine Form zu bringen, damit sie von den zuständigen Behörden überhaupt akzeptiert werden, ist unglaublich.

        Ansonsten gilt auch bei dem Thema die modifizierte "Riccola-Frage": Wer chat's verbummelt?

        Die Dinge, die Frau Schmollack anspricht, sind seit Jahren bekannt, aber weder die Ampel, noch die Merkel-Regierungen haben etwas getan, um das Vorschriften-Gestrüpp gründlich zu lichten.

        Und die Kenntnisse von Handwerkern könnte man durch die Kammern prüfen lassen. Ich glaube, erfahrene Meisterinnen und Meister könnten im Gespräch, notfalls über Dolmetscher, recht gut klären, was z.B. ein syrischer Automechaniker, ein nigerianischer Tischler oder eine kolumbianische Altenpflegerin können, und wo Nachschulungen nötig wären - ohne allzu viel Papierkrieg.

    • @hedele:

      Ja, solche Fälle sind aus der Presse hinreichend bekannt, nur geht es dabei in der Regel darum, dass die Studenten entweder kurz vor einem Abschluss standen oder die notwendigen Unterlagen nicht beibringen können.

      Auf einer solchen Basis kann kein Abschluss anerkannt werden.

  • "Pflegekräfte aus dem Ausland müssen etwa 500 Tage auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse warten. So kann man nicht mit ihnen umgehen."



    Nee, so können wir mit uns selbst nicht umgehen!! Ich befürchte wir sind schlicht dumm in diesem Land!

  • Danke für den Diskussionsbeitrag - er hätte aber deutlicher und schärfer formuliert ausfallen müssen.

    Diese Form von Diskriminierung (Ungleichbehandlung??!!) betrifft auch ausländische Bus- und LKW-Fahrer, Akademiker (vor allem Ärzte) und Handwerker.

    Und es ist absolut KEIN politischer Wille (meilenweit) erkennbar, das sich das irgendwann ändert.

    Und da ist ein sollte oder müsste einfach zuwenig.

    Trotzdem danke.