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Verhandlungen im Ukraine-KriegSelenskyj will in Istanbul auf Putin warten

Der ukrainische Präsident will seinen russischen Amtskollegen in der Türkei treffen, doch der Kreml mauert weiter. Europa berät über neue Sanktionen.

Foto: Thomas Imo/imago

Moskau/Kyjiw/Berlin taz | „Die Uhr läuft“, heißt es aus Berlin. Ein Satz, mit dem Europa Moskau bewegen will, die geforderte Waffenruhe in der Ukraine zeitnah umzusetzen. Andernfalls drohten weitere Sanktionen. Für Moskau ist das ein Ultimatum. In solchen aber spreche Moskau nicht, bekräftigte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. „Die Sprache von Ultimaten ist nicht angemessen. So kann man nicht mit Russland reden“, sagte er.

Russlands Präsident Wladimir Putin habe in der Nacht auf Sonntag „alles klar und deutlich ausgeführt“. In Istanbul solle „ohne Vorbedingungen“ darüber beraten werden, wie die „Grundursachen des Konflikts“ zu beseitigen seien. Eine Waffenruhe empfindet Russland als „Vorbedingung“. Nach den pompösen Feierlichkeiten zum 9. Mai hatte Putin, quasi als Antwort auf die Forderungen der Europäer, die „Wiederaufnahme“ der Gespräche in Istanbul vom Frühling 2022 vorgeschlagen.

Mit dieser Erklärung hat er sich – einmal mehr – Zeit verschafft. Russland tue nichts unter Druck, wird sein Sprecher nicht müde zu betonen. Wer in Istanbul vertreten sein soll, hat der Kreml bislang nicht bekannt gegeben. Im Rat für Internationale Angelegenheiten in Moskau hieß es am Montag, Putin werde kaum dorthin reisen. Es sei ein Treffen auf diplomatischer Ebene. Selenskyj verstehe nichts von professioneller Diplomatie, wenn er jetzt bereits ein Treffen der Präsidenten fordere, sagte der Geschäftsführer des Rates, Iwan Timofejew.

Putin redet gern über Frieden, solange seine Armee weiter angreifen kann. Seine Anliegen bleiben dieselben: kein Nato-Beitritt der Ukraine, Sonderrechte für Russischsprachige in der Ukraine, Reduzierung der ukrainischen Streitkräfte, die Sicherheit von all dem garantiere auch Russland. Über anderes aber wollen die Russen gar nicht erst reden. Erst die „Grundursachen“ lösen, wie es in Moskau heißt, dann eine Waffenruhe in Betracht ziehen. Vielleicht, unter gewissen Umständen, möglicherweise.

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

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Russische Propaganda: „Europäische Junkies“

Derweil machen sich Russlands Pro­pa­gan­dis­t*in­nen wie auch Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa über die Europäer lustig. Mit einer fast schon diabolischen Freude beschreibt Sacharowa die Bilder und Videos, die den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premier Keir Starmer und den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz in ihrem Sonderzug aus Kyjiw zeigen.

Für Sacharowa sind die Aufnahmen ein „unglaubliches Filmmaterial“, das europäische Junkies zeige. „Nachdem Selenskyj in eine weitere höllische Intrige gedrängt worden war, um die Einigung zu vereiteln und das Blutvergießen in Europa fortzusetzen, stiegen ein Franzose, ein Engländer und ein Deutscher in einen Zug und atmeten erleichtert auf. Offenbar so sehr, dass sie vergaßen, ihre Utensilien (ein Kokainpäckchen und einen Drogenlöffel) wegzuräumen, bevor die Journalisten eintrafen“, schrieb Sacharowa in ihrem Telegram-Kanal.

Seit Jahren diffamiert Moskau den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als „ständig zugedröhnten Drogensüchtigen“, nun sind auch europäische Staatsführer Junkies. Damit fallen sie – wie auch die Ukraine – als vollwertige Gesprächspartner aus. Mit seiner Taktik will Putin vor allem US-Präsident Donald Trump hinhalten, ohne ihm gleich ein „Njet“ entgegenzuschleudern. Ob diese Taktik aufgeht?

Demgegenüber scheint der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fest entschlossen, die Reise nach Istanbul anzutreten. „Ich werde am Donnerstag in der Türkei auf Putin warten“, hatte Selenskyj gesagt. Nach Informationen des US-amerikanischen Portals axios.com wolle er auch nach Istanbul reisen, wenn Russland vorab keinem Waffenstillstand zustimme. Im Telegram-Kanal „Odessa Info“ sind die jüngsten Entwicklungen das Top-Thema. „Wir warten auf das Ende des Krieges“ und „Hurra“ lauten Einträge in der Kommentarspalte. Doch nicht alle Leser stimmen zu. „Ihr werdet noch mal in einem russischen Konzentrationslager auf der Kolyma schluchzen, ihr stinkenden Drückeberger“ empört sich ein User.

Zustimmung aber auch Kritik

In der ukrainischen Führung herrscht Zustimmung zu Selenskyjs Bereitschaft in die Türkei zu reisen. Der Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak, hat bekräftigt, dass die Ukraine bei möglichen Verhandlungen in Istanbul direkt mit Putin sprechen wolle und nicht mit dessen Vertretern. Schließlich sei es nun mal Putin, der die Entscheidungen in Russland treffe, so Jermak. Noch vor wenigen Tagen hatte Jermak einen 30-tägigen Waffenstillstand als Vorbedingung für direkte Gespräche genannt. Wer den Präsidenten bei seiner Türkei-Reise begleiten wird, ist derzeit offen.

In der ukrainischen Gesellschaft ist ein Entgegenkommen gegenüber Russland in territorialen Fragen sehr umstritten. Das Portal 24tv.ua zitiert einen ukrainischen Kommandeur einer Drohneneinheit mit dem Kampfnamen „Tschepa“ mit den Worten. „Als Soldat und Bürger der Ukraine glaube ich, dass wir, bevor wir uns an den Verhandlungstisch setzen, erst zu den Grenzen von 1991 zurückkehren sollten.“

Unterdessen trafen sich in London mehrere Außenminister im sogenannten Weimarer-Dreieck-Plus-Format, um über die Lage in der Ukraine zu beraten. Der britische Außenminister und Gastgeber des Treffens, David Lammy, empfing Kollegen aus Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Spanien und der Ukraine sowie die EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas.

Gemeinsames Statement aus London

Deutschland wurde bei dem Treffen vom neuen Außenminister Johann Wadephul (CDU) vertreten. „Wir haben zum ersten Mal ein Momentum, eine wirkliche Chance“ auf baldige Friedensverhandlungen, sagte Wadephul am Rande des Treffens den Sendern RTL und ntv. Die Ukraine könne sich auf „eine große europäische Unterstützung verlassen“.

In einem abschließenden Statement bekräftigen die Außenminister ihre „uneingeschränkte Unterstützung der Sicherheit, Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen“. Auch die Forderung eines 30-tägigen bedingungslosen Waffenstillstands wird darin erneuert.

Gemeinsam mit der Ukraine wolle man an der Stärkung der ukrainischen Streitkräfte arbeiten und diese bei der Aufstockung von Munitions- und Ausrüstungsreserven unterstützen. Außerdem sollen die industriellen Kapazitäten der Ukraine gesteigert werden.

Um Russlands Kriegswirtschaft zu schaden, wolle man weiterhin die Einnahmen des Kremls begrenzen, die „Schattenflotte zerschlagen“, die „Ölpreisobergrenze verschärfen“ und verbleibenden russische Energieimporte reduzieren. Man setze sich darüber hinaus für „robuste Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine ein. Dazu gehöre auch, die Bildung einer Koalition gemeinsamer Streitkräfte zu prüfen.

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1 Kommentar

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  • Putin will also die Grundursachen beseitigen...



    Das kann er tatsächlich einfach selbst tun. Russland entmilitarisieren und entnazifizieren und schon gibt es keinen Krieg mehr.



    Dämmert es nun auch dem Letzten, dass Putin nicht an einem "Kompromiss" interessiert ist?