Krieg im Gazastreifen: Mühevoller Gleichmut
Wem das palästinensische Leid egal ist, der kann nicht glaubwürdig gegen Rassismus sein. Eine Gewissensprüfung würde gerade der Linken gut anstehen.

D ie meisten Dinge des Lebens erfordern anstrengende Arbeit. Es erfordert Anstrengung, eine Familie zu ernähren und Freundschaften aufrechtzuerhalten. Ein Haus zu bauen oder auch ein Haus zu zerstören, erfordert Anstrengung. Vor allem aber erfordert es unfassbare Anstrengung, gleichgültig zu bleiben. Diese Arbeit wird nicht nur von Politiker*innen verrichtet, sondern von uns allen. Gleichgültig, dass Menschen sterben, und gleichgültig, dass wir als Nation daran beteiligt sind.
Aber auch die Gleichgültigkeit gegenüber dem wirklichen Ausmaß der vielen Gewalttaten, an denen Deutschland historisch beteiligt war. Die anstrengende Arbeit der Gleichgültigkeit hat mehrere Schauplätze. Zum einen die sehr konkrete Arbeit des Zusammenbaus der Waffen in den Fabrikhallen der Republik, die dann andernorts Infrastruktur und Leben zerstören. Zum anderen ist da die unschärfere, weniger klar erkennbare Arbeit des Sich-gleichgültig-Machens, während Menschen sterben.
Teil dieser zweiten Arbeit ist auch die Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass das eigene Weltbild genau die Entmenschlichung enthält, die auf ironische Weise auch den Kern von Antisemitismus und Rassismus ausmacht. In dem Moment, in dem jegliche Kritik Israels durch den Antisemitismusvorwurf unmöglich gemacht wird, wird auch jegliche Staatsgewalt in die Ecke des Unkritisierbaren geschoben.
Selbst dass Palästinenser*innen als „Tiere“ bezeichnet werden, kann dann nur als bedauerlicher Einzelfall und nicht als systematische Entmenschlichung gesehen werden. All dies mit dem Vorwurf des Antisemitismus vor Kritik zu schützen, funktioniert nur, wenn nicht alles Leben als schützenswert gesehen wird. Ein wesentlicher Teil der Gleichgültigkeitsarbeit besteht darin, die Folgen dieser Entmenschlichung unsichtbar zu machen und all die geschundenen Körper und die Zerstörung von unseren Bildschirmen verschwinden zu lassen.
Feministische Außenpolitik und Waffenlieferungen
Während Israel Gaza systematisch aushungert, verschwindet die Gewalt systematisch aus den deutschen Medien – eine absolute Schande. Gleichgültig gegenüber dem Leid anderer zu bleiben, ist also kein passiver Zustand, sondern erfordert mühevolle Arbeit an einem Fundament für ein Haus, das vor allem der eigenen Abschottung dient und deren Wände aus einer wattierten Ignoranz gegossen werden.
Wir sind nun mit der erschreckend klaren Tatsache konfrontiert, dass Israel seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen mindestens 50.000 Menschen tötete und dass dies nicht nur mithilfe von deutschen Waffen geschah, sondern auch von der Mehrheit der Deutschen – inklusive vieler vermeintlich Linker – entweder toleriert oder sogar als notwendig angesehen wird. Diese Tatsache kann auch jegliche rhetorische Gymnastik nicht verstecken.
Aber es scheint, dass sich ein Großteil der deutschen Linken nicht mal zu der Einsicht durchringen kann, dass auch die Menschenwürde der Palästinenser*innen unantastbar ist. Ob „universelle“ Rechte für alle gelten, ist eigentlich keine besonders interessante Frage, denn man braucht nur einen kurzen Blick in das Geschichtsbuch zu werfen, um zu erkennen, dass dies noch nie der Fall war. Welche Frauen meinte Ex-Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer feministischen Außenpolitik, während sie Waffenlieferungen an Israel genehmigte.
Das Problem ist natürlich nicht nur die offensichtliche Doppelmoral Baerbocks und die Aushöhlung des Feminismusbegriffs, sondern dass so viele vermeintlich Linke dem so gleichgültig gegenüberstehen. Tagtäglich wird also an diesem Haus der Gleichgültigkeit gewerkelt, das anscheinend die deutsche Nation beherbergen soll und über dessen Eingang Orwells bekanntes Zitat als Schriftzug hängen könnte: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“
Minderjähriger „Kollateralschaden“
Wie viele relativierte Tote stecken in den Mauern dieses Hauses? Mitläufer*in zu sein wird oft fälschlicherweise als ein passiver Zustand beschrieben. Zu laufen heißt jedoch, die eigenen Muskeln zu bewegen, und dies erfordert Anstrengung. Während sie gerade aktiv einen Schleier der Gleichgültigkeit über Deutschland legen, fragen sich manche, wie können wir den Faschismus stoppen?
Mit Schrecken und bürgerlicher Empörung wird auf den globalen Rechtsruck hingewiesen, ohne zu erwähnen, dass Donald Trump zuallererst auf propalästinensische Aktivist*innen zielte. Oder dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Rechtsextremen Europas nach Jerusalem einlädt. Und Personen, die denken, sie könnten einerseits Menschen, die in Krankenhausbetten verbrennen oder Kinder deren zerfetzte Körper an Wänden hängen, zu „Kollateralschaden“ erklären, wollen im gleichen Atemzug vor aufsteigendem Rassismus in Deutschland warnen.
Aber ist die menschenverachtende Gleichgültigkeit einmal mühevoll erschaffen, lässt sie sich schwer wieder ablegen. Und so stellt sich am Ende nicht nur die Frage, welche Arbeit es erfordert, gleichgültig zu bleiben, sondern auch, welche Arbeit diese Gleichgültigkeit leistet. Was macht das mit einer Gesellschaft? Wenn es schon als radikal bezeichnet wird, darauf hinzuweisen, dass es sich in Palästina um Menschen handelt, dann ist die Frage, in welchem Wahnsinn sich die deutsche Öffentlichkeit befindet. Und wohin diese Gleichgültigkeit führt.
Worte von links, die an Solidarität und Verantwortung appellieren und gleichzeitig aktiv Menschen ihr Menschsein absprechen, klingen jeden Tag hohler für all jene, denen die Palästinenser*innen nicht gleichgültig sind. Für andere wiederum bereitet diese kognitive Dissonanz von links das perfekte Sprungbrett, um in Deutschland die eigenen Formen der Entmenschlichung voranzutreiben. Dieses Haus, das auf dem Fundament der Gleichgültigkeit und moralischem Bankrott entsteht, ist ein grundlegend instabiles, egal wie viel Arbeit darin steckt.
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