Schwarz-rote Koalition: Was befürchtet wurde …
… tritt nicht alles ein. Auch wenn wir uns auf das Schlimmste eingestellt haben. Ein Blick in fünf Themen des Koalitionsvertrags.
Migration: einzelne Bereiche nicht nur düster
Verglichen mit dem Status quo sind die asylpolitischen Pläne von Schwarz-Rot eine Katastrophe. Verglichen mit dem, was zwischendurch aus den Verhandlungen nach draußen gedrungen war, hätte es schlimmer kommen können. Klar: Zurückweisungen an den Grenzen, unbegrenzte Abschiebehaft für Straftäter, das Ende der Bundesaufnahmeprogramme – das sind massive Verschärfungen.
Aber in einzelnen Bereichen ist das Bild weniger düster. So konnte die SPD die Forderungen der Union abwehren, die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zurückzudrehen. Die beschleunigte Einbürgerung nach drei Jahren soll gestrichen werden, doch die doppelte Staatsbürgerschaft für alle bleibt, mitsamt kürzerer Fristen und Sonderregelungen für Menschen aus der sogenannten Gastarbeiter- und Vertragsarbeiter-Generation.
Gleiches gilt für das Chancenaufenthaltsrecht, das Langzeitgeduldeten einen Weg in einen legalen Aufenthalt bietet. Es wird zwar nicht in dieser Form verlängert, soll aber durch einen ähnlichen Mechanismus ersetzt werden.
In einzelnen Punkten verspricht der Koalitionsvertrag echte Fortschritte. So will Schwarz-Rot die Arbeitsverbote für Asylbewerber_innen auf drei Monate ab Einreise begrenzen. Bisher gilt ein fast undurchschaubares Dickicht von Regelungen, das von der Ampel zwar bereits deutlich entschärft wurde, für manche Asylbewerber_innen aber dennoch Verbote bis zum 18. Aufenthaltsmonat und länger vorsieht. Ausgenommen von der jetzt angekündigten Verbesserung sind jedoch weiterhin Personen aus sicheren Herkunftsstaaten sowie solche, für deren Asylantrag ein anderes EU-Land zuständig ist.
Ebenfalls positiv sind die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Pläne, Wohnsitzauflagen für Asylbewerberinnen zu lockern, wenn sie häusliche Gewalt erleiden. Bislang dürfen sie – wie alle Geflüchteten – anfangs den Kreis nicht verlassen, in dem ihre Unterkunft liegt. Verbände beklagen schon länger, dass dies oft verhindert, dass Betroffene Schutz in Frauenhäusern suchen können. Hier steckt in den schwarz-roten Plänen eine echte Verbesserung. Frederik Eikmanns
„Demokratie leben!“ stirbt nicht
Es hätte schlimmer kommen können – das Demokratieförderprogramm „Demokratie leben!“ etwa wollte die Union gerne im Innenministerium ansiedeln. Und das soll wohl an CSU-Mann Alexander Dobrindt gehen. Dieser forderte früher im Duktus von NS-Wegbereitern wie Carl Schmitt eine „konservative Revolution“, hieß 2018 „seinen Freund“ Victor Orbán auf einer CSU-Klausur willkommen und beklagte eine vermeintliche „Anti-Abschiebe-Industrie“. Immerhin landet Demokratieförderung nun nicht in den Händen eines CSU-Hardliners.
Das Förderprogramm wird im Familienministerium bleiben und – eine weitere gute Nachricht – Schwarz-Rot bekennt sich ausdrücklich zu gemeinnützigen Organisationen, engagierten Vereinen und zivilgesellschaftlichen Akteuren als zentralen Säulen unserer Gesellschaft und will „verstärkt in die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie investieren“.
Nach den autoritären Angriffen von AfD über Springer-Presse bis zur CDU auf zivilgesellschaftliche Organisationen war dieses grundlegende Bekenntnis nicht selbstverständlich. Ein Aber gibt es dennoch: Das Demokratieförderprogramm wird erstmals einem CDU-Ministerium unterstellt sein, die Partei bekommt das Familienressort.
Im Osten dreht sie bereits zivilgesellschaftlichen Vereinen den Geldhahn zu, auch gemeinsam mit der AfD. Zudem steht im Koalitionsvertrag, dass man Demokratieförderprogramme „unabhängig überprüfen“ wolle. In zivilgesellschaftlichen Organisationen wird man schnell hellhörig, wenn die Union „rechtssichere Arbeit“ und „Verfassungstreue“ sicherstellen will. Denn diese legt die Union gern restriktiv gegen Linke aus, etwa mit der sogenannten „Extremismusklausel“.
Angriffe auf eine explizit emanzipatorische Zivilgesellschaft könnten also weitergehen. Bei der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts bleibt Schwarz-Rot vage. Die dort festgeschriebene parteipolitische Neutralität nutzt vor allem die extrem rechte AfD für Anzeigen gegen Ehrenamtliche, die sich gegen Rassismus positionieren. Hier gibt es nur unkonkrete Modernisierungszusagen. Gareth Joswig
Wehrpflicht kommt doch nicht zurück
Auch aus der Union blicken viele Politiker*innen mal anerkennend, mal neidvoll in Richtung des amtierenden SPD-Verteidigungsministers Boris Pistorius. Noch ist unklar, ob er auch künftig das Amt bekleiden wird. An einer Novelle, die unter Pistorius in die Wege geleitet wurde, es aber nicht mehr zum Gesetz schaffte, will die neue Koalition so oder so festhalten: einen neuen Wehrdienst auf der Basis von Freiwilligkeit zu schaffen.
Damit sind die Unionsforderungen nach einer Reaktivierung der ausgesetzten Wehrpflicht erst mal vom Tisch. In ihrem Koalitionsvertrag einigten sich CDU/CSU und SPD darauf, einen „attraktiven Wehrdienst zu schaffen, der zunächst auf Freiwilligkeit“ basiere. Wer jetzt wegen des Wörtchens „zunächst“ aufhorchen sollte, den mag eine Einschätzung der Wehrbeauftragten des Bundestags, SPD-Politikerin Eva Högl, beruhigen. Die hatte vor Kurzem gesagt, eine Wiedereinführung der alten Wehrpflicht würde die Bundeswehr überfordern, weil die Truppe gar nicht über genug Ausbilder*innen und Unterkünfte verfügt.
Die Pläne im Koalitionsvertrag sehen vor, dass „noch in diesem Jahr“ die Voraussetzungen für die Wehrerfassung geschaffen werden. Das klingt ganz nach dem Vorhaben der Ampelregierung: Ihm zufolge sollten alle über 18-Jährigen einen Brief von der Bundeswehrverwaltung mit einem QR-Code zu einem Onlinefragebogen erhalten. Darin sollten die Bereitschaft für einen Dienst an der Waffe und die bisherigen Qualifikationen abgefragt werden. Für junge Männer war eine Auskunft als verpflichtend vorgesehen, für junge Frauen als freiwillig.
Aus dem Pool an jungen Menschen, die bereit und geeignet wären, einen Dienst anzutreten, sollte die Bundeswehr dann ihre Kandidat*innen aussuchen können. Es ist ungewiss, ob die Bundeswehr damit die avisierte Truppenstärke von 203.000 Soldat*innen bis zum Jahr 2031 erreichen kann. Zur Zeit sind etwas mehr als 181.000 Soldat*innen im Dienst, ihre Zahl war zuletzt leicht rückläufig. Cem-Odos Güler
Erst mal weiterkiffen
Gewundert hätte es einen nicht, wenn im Koalitionsvertrag ganz unverblümt die Rückabwicklung der Cannabis-Teillegalisierung gestanden hätte. So einfach wäre das zwar nicht gewesen, aber allzu laut hatte die CSU noch in den Tagen zuvor Entsprechendes krakeelt. Und so mögen sich Legalisierungsbefürworter*innen über den dürren Satz auf Seite 89 freuen: „Im Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durch.“ Das war sowieso vorgesehen und klingt, als ginge alles weiter wie geplant. Was aber, wenn die eigentlich nur als Auftakt einer umfangreicheren Bewertung geplante Evaluierung nun als entscheidend betrachtet wird?
Aus zwei Gründen sind die Legalisierungseffekte nach nur anderthalb Jahren kaum zu erfassen. Zum einen läuft die Etablierung von Anbauvereinen, die ihre Mitglieder mit bis zu 50 Gramm Cannabis pro Monat versorgen sollen, aufgrund bürokratischer Hürden nur schleppend an. Die Anbauvereine sollten es aber sein, die eine relevante Menge Cannabis für Konsument*innen erzeugen. Aus Ländern mit mehrjähriger Legalisierungserfahrung ist außerdem bekannt, dass sich der Konsum anfänglich erhöhen kann – gerade bei jungen Konsument*innen. Erst die Betrachtung über mehrere Jahre kann hier aussagekräftig sein.
Insofern wird relevant sein, wie sachlich über die „ergebnisoffene“ Evaluierung der Cannabis-Teillegalisierung in Deutschland debattiert werden wird. Und welche Lobbyist*innen sich durchsetzen. Vor allem die CSU wird ihr politisches Programm einer Rückabwicklung gewiss noch nicht aufgegeben haben. Manuela Heim
Atomkraft, nein danke
Union und SPD kündigen in ihrem Koalitionvertrag keine Renaissance fossiler Energien oder – wie noch ihr Sondierungspapier fürchten ließ – der Atomkraft an. „Wir wollen alle Potenziale der Erneuerbaren Energien nutzen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Offenbar haben auch Christdemokrat:innen und Christsoziale erkannt, dass der weitere Ausbau von Windkraft und Photovoltaik unverzichtbar ist, um stabile Strompreise und damit die Zukunft der energieintensiven Industrie in Deutschland zu gewährleisten. Dafür spricht auch, dass die Zuständigkeit für das Themengebiet Energie beim Wirtschaftsministerium bleibt und nicht mit dem Bereich Klima dem Umweltministerium zugeschlagen wird. So weit die positiven Nachrichten.
Andererseits: Im Koalitionsvertrag finden sich durchaus Fallstricke für die Energiewende. Ein großes Problem für den Bau von Windrädern sind fehlende Flächen. Die Ampel hat dieses Problem angepackt, indem sie Vorgaben für die Bundesländer erlassen hat, bis 2027 und 2032 einen bestimmten Flächenanteil für den Bau von Windrädern auszuweisen.
An den Zielen für 2027 hält die neue Bundesregierung fest. Die Ziele für 2032 aber will sie „evaluieren“. Das ist kein unerhebliches Detail. Denn mit dieser angekündigten Prüfung sorgen Union und SPD für Unsicherheit. Das ist Gift für die Projektierer von Windkraftanlagen, denn sie planen langfristig und müssen sich darauf verlassen, dass die Politik nicht plötzlich die Regeln ändert. Steht das in Frage, ziehen sich Kapitalgeber:innen zurück und der Ausbau der Windenergie gerät ins Stocken. Das wäre fatal. Denn in den kommenden Jahren muss die Windenergie drastisch ausgebaut werden, sonst kann Deutschland seine selbst gesteckten Klimaziele nicht erreichen.
Am Kohleausstieg bis spätestens 2038 will die schwarz-rote Koalition zwar festhalten, aber anders als die Ampel unternimmt sie nichts, um ihn vorzuziehen. Stattdessen hält sie einen Vorbehalt für den Kohleausstieg im Koalitionsvertrag fest: „Der Zeitplan, Kohlekraftwerke vom Netz oder in die Reserve zu nehmen, muss sich danach richten, wie schnell es gelingt, steuerbare Gaskraftwerke tatsächlich zuzubauen.“ Anja Krüger
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