Papierproduktion in Brasilien: Grün ist die Wüste
Eukalyptusplantagen liefern den Rohstoff für den globalen Papierbedarf. Es ist ein gigantischer Markt, der den brasilianischen Regenwald zerstört.
D ie Tage von Antônio Gilberto Lima beginnen früh, fast noch in der Nacht. Dann macht er seine Runde: Er melkt die Kühe, pflückt die hier typischen, säuerlich-süßen Pequi-Früchte von den Bäumen, füttert die Hühner. Lima ist 63 Jahre alt, drahtig, mit sonnengegerbter Haut und einem Vokuhila-Ansatz, der ein wenig an einen Schlagersänger der 80er-Jahre erinnert. Gemeinsam mit seiner Frau Ana Claudia Gregório Braguin, 51 Jahre alt, bewirtschaftet er einen kleinen Hof in Mato Grosso do Sul, im Südwesten Brasiliens. Vor 14 Jahren kamen sie hierher, die kleine Farm ist ihr ganzer Stolz. Hier wollen sie alt werden. Doch die Welt um sie herum hat sich verändert.
Lima und Braguin steigen in ihren klapprigen Chevrolet, ein Kreuz baumelt am Rückspiegel. Es geht über einen Feldweg, eine holprige Piste. Ockerfarbener Staub vernebelt die Windschutzscheibe. Nach wenigen Minuten bremst Lima und zeigt aus dem Fenster: „Hier verläuft die Grenze.“ Wie eine Mauer erstrecken sich Bäume zu beiden Seiten – es ist Eukalyptus. Dahinter beginnt das Land multinationaler Konzerne, die dort riesige Plantagen angelegt haben. „Wir sind umzingelt“, sagt Lima. Der Eukalyptus wird zu Zellstoff verarbeitet, der an Papierfabriken auf der ganzen Welt geliefert wird. Inzwischen ist Brasilien auch für Deutschland der wichtigste Zellstofflieferant geworden.
Die Fahrt geht weiter, bis sie an einer Brücke halten. „Dort haben wir früher gebadet“, sagt Braguin und zeigt nach unten. „Und jetzt schau dir das an.“ Unten schlängelt sich nur noch ein schmales Rinnsal dahin, kaum noch ist es als Bach erkennbar. Viele Menschen in der Region leben von dem, was die Natur ihnen gibt. Doch das wird immer schwieriger. Denn auch in diesem Sommer hat es kaum geregnet, die Böden sind ausgetrocknet, Ernten vertrocknen. Für Braguin ist der Schuldige klar: die Plantagen. Aber stimmt das wirklich?
Brasilien ist der zweitgrößte Eukalyptusproduzent der Welt. Auf 7,6 Millionen Hektar Plantagenfläche bewirtschaftet das Land rund 30 Prozent des globalen Bestands. Ein Großteil der Ernte wird zu Zellstoff verarbeitet, der vor allem in der Papierproduktion zum Einsatz kommt. Nach China ist Europa der zweitgrößte Abnehmer von brasilianischem Zellstoff. Die Branche wird von einigen börsennotierten Firmen dominiert, besonders häufig fällt der Name eines Unternehmens: Suzano. Der größte Zellstoffkonzern der Welt mit Sitz in São Paulo wird von einer der reichsten Familien Brasiliens kontrolliert, den Feffers.
Während in Europa mittlerweile eine Debatte über importierte Agrarprodukte wie Rindfleisch und Soja aus Lateinamerika geführt wird, stehen Zellstoffexporte bislang kaum im Fokus. Dabei ist auch Papier aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Der Verbrauch steigt stetig an, insbesondere durch den boomenden Onlinehandel. Laut der Umweltschutzorganisation Robin Wood stammen nicht einmal 20 Prozent des Zellstoffs für heimisches Papier aus deutschen Wäldern, große Mengen kommen aus Skandinavien. In den letzten Jahren sind die Importmengen aus Südamerika rasant gestiegen, insbesondere aus Brasilien. Durch die klimatischen Bedingungen sind die Bäume dort schneller hiebreif, die Arbeitskosten sind erheblich niedriger, und es gibt mildere Umweltauflagen, wie zum Beispiel weniger effektive Waldschutzgesetze. Auf Anfrage erklärt das Statistische Bundesamt, dass Deutschland allein im Jahr 2023 Zellstoff im Wert von 583 Millionen Euro aus Brasilien importiert hat.
Bisher genießt die Papierindustrie ein positives Image. Industrielle Baumplantagen werden vielerorts als nachhaltig und umweltfreundlich angepriesen. Der Zellstoffriese Suzano erklärt in einem Imagevideo: „Wir glauben, dass es nur dann gut für uns ist, wenn es auch gut für die Welt ist.“ Der Konzern betont zudem, auf Zertifizierungssysteme zu setzen, die nachhaltige Forstwirtschaften kennzeichnen. 2023 gewann Suzano einen Preis im Rahmen des „Sustainable Company Award“ der britischen Organisation Environmental Finance. Was außerhalb Lateinamerikas nur selten Erwähnung findet: In Brasilien steht der Konzern in Verdacht, durch industrielle Baumplantagen die Böden auszutrocknen, den Lebensraum von Tieren zu zerstören und Menschenrechte zu verletzen.
In kaum einer Region ist der Vormarsch der Industrie so deutlich zu beobachten wie rund um Três Lagoas, die Heimat von Lima und Braguin. Die Stadt liegt im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, im sogenannten Cerrado. Die Savannenlandschaft ist fünfmal so groß wie Deutschland und beheimatet fünf Prozent aller weltweiten Tierarten. Três Lagoas, einst eine verschlafene Kleinstadt, bezeichnet sich mittlerweile selbst als „Welthauptstadt des Zellstoffs“. Die Industrie ist omnipräsent: Die Schuluniformen ziert ein Eukalyptusblatt, am Ortseingang ragen riesige Schilder von Suzano empor, und in Country-Liedern wird der „grüne Goldrausch“ besungen.
Im Ortszentrum betreibt eine 64-Jährige – ihren Namen möchte sie nicht nennen – ein Geschäft für religiöse Artefakte. Von den Regalen schauen Heiligenfiguren herunter, überall stehen Kreuze, es riecht nach Kerzenwachs. Die Frau lebt schon ihr ganzes Leben hier. Ja, die Temperaturen hätten sich verändert, es werde immer heißer. Doch gleichzeitig seien Arbeitsplätze geschaffen, die Infrastruktur verbessert und die lokale Wirtschaft angekurbelt worden. Fast alle Bewohner*innen, mit denen die taz gesprochen hat, äußern sich positiv über die Zellstoffindustrie.
In Três Lagoas gibt es nur wenige Menschen, die öffentlich Kritik äußern. Eine davon ist Marine Dubos-Raoul, gebürtige Französin und Geografie-Professorin an der Universität von Mato Grosso do Sul. Oft ist sie in der Region unterwegs, um Interviews mit Betroffenen zu führen. Zusammen mit drei Studierenden fährt sie an diesem Vormittag mit dem Auto aus der Stadt heraus. Nach nur wenigen Minuten geht es durch Baumschluchten. Hunderte Kilometer zieht sich dieser „Wald“, der eigentlich keiner ist. In Reih und Glied stehen die Bäume, einige bis zu 50 Meter hoch. Ihre schlanken Stämme sind von glatter, sich schälender Rinde bedeckt. Die Kronen schimmern hoch oben im Licht.
„In Zeiten der Klimakrise könnte man meinen, dass neu gepflanzte Bäume etwas Positives sind“, sagt Dubos-Raoul, während im Minutentakt schwere Holzlastwagen vorbeirattern: „Doch diese Art von Plantagen hat schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Umwelt.“ Eukalyptus, ursprünglich nicht in Brasilien beheimatet, wächst zwar schnell, benötigt jedoch enorme Wassermengen – zwischen 30 und 60 Liter pro Tag pro Tonne. Das zeigt eine Studie des Environmental Paper Network, eines globalen Netzwerks von über 150 Umweltgruppen und NGOs.
An einigen Stellen stehen noch die Gerippe der Fazendas, der einstigen Landgüter. Früher standen hier Kühe auf Weiden, für die der dichte Urwald gerodet worden war. Heute prägen allein die Eukalyptusmonokulturen das Landschaftsbild. Laut Dubos-Raoul entziehen die Monokulturen dem Boden wertvolle Feuchtigkeit und führen so zur Austrocknung. Dies erhöhe auch die Waldbrandgefahr: In der ehemals wasserreichen Savannenlandschaft nehmen Brände zu, wie Untersuchungen zeigen. In den letzten Wochen wüteten schwere Feuer in der Region, woraufhin die Landesregierung für einige Gemeinden den Notstand ausrief.
Suzano, das schriftlich auf die Fragen der taz antwortete, erklärt, das Wassermanagement werde von einem spezialisierten Team sorgfältig überwacht. Das Unternehmen hat sich verpflichtet, die Wasserverfügbarkeit in kritischen Gebieten zu verbessern und den Wasserverbrauch bis 2030 pro Tonne um 15 Prozent zu senken. Zudem teilt der Konzern mit, erhebliche finanzielle Mittel und technische Expertise in die Brandbekämpfung investiert zu haben.
Dubos-Raoul stoppt den Wagen an einer Lichtung. Überall liegen Baumstämme. Sie sind pyramidenförmig aufgeschichtet. Ein Greifarm hebt die Stämme auf die Ladeflächen der wartenden Lastwagen. Niemand hier möchte mit dem deutschen Journalisten sprechen, die Arbeiter verweisen höflich auf die zuständige Pressestelle.
Nur wenige Kilometer weiter leben Lima und Braguin am Rand der Bundesstraße. Oft sitzt das Paar am Straßenrand und verkauft Milch an vorbeifahrende Arbeiter. Lima wuchs auf einer Farm auf, etwa 80 Kilometer entfernt. Als Jugendlicher zog er mit seiner Familie in die Stadt. Er arbeitete als Lkw-Fahrer und Umzugshelfer, doch sein Traum blieb es, aufs Land zurückzukehren. Das Stück Land, das sie heute bewirtschaften, konnten sie sich im Rahmen einer Besetzung erkämpfen. Ein Haus, 13 Hektar Boden, neun Kühe – das ist alles, was sie haben.
Lima erinnert sich noch genau, wie die ersten Zellstofffirmen in die Region kamen. Er selbst arbeitete damals bei einem Vorgängerunternehmen von Suzano. Früher habe es hier dichte Wälder gegeben. „Die Zellstofffirmen haben alles zerstört“, sagt er. Die Unternehmen betonen zwar immer wieder, ihre Plantagen nur auf bereits degradiertem Land anzulegen. Doch eine Studie des Environmental Paper Network zeigt, dass zwischen 2003 und 2013 Plantagen im Bundesstaat Mato Grosso do Sul Teile der verbleibenden Cerrado-Vegetation zerstört haben sollen.
Lima zeigt ein Handyvideo: Ein gelber Punkt schwirrt über einen hellblauen Himmel – ein Flugzeug. Regelmäßig fliegen Propellermaschinen über das Gebiet und versprühen Pestizide aus der Luft. Diese Praxis, die in der EU bereits seit 2009 verboten ist, ist hier gang und gäbe. Häufig wird dabei krebserregendes Glyphosat eingesetzt. Laut Sisagua, einem Observatorium für Trinkwasserqualität, gehört die Region um Três Lagoas zusammen mit anderen Zellstoffproduktionsgebieten zu den Regionen mit der schlechtesten Wasserqualität Brasiliens. Suzano betont, sich an die brasilianische Gesetzgebung zu halten. In Brasilien sind fast 500 Pestizide erlaubt, die in der EU verboten sind.
Suzano betont auch, das Unternehmen helfe tausenden Menschen in seinen Betriebsgebieten aus der Armut, indem es soziale Programme umsetzt. Tatsächlich hat das Unternehmen auch in der Region Três Lagoas den Bau von Schulen und die Renovierung des Krankenhauses finanziert.
„Das ist alles nur Kosmetik“, meint jedoch Dubos-Raoul. „Sie mussten etwas tun, um der Bevölkerung und in ihren internationalen Berichten zu zeigen, dass sie eine soziale Verantwortung haben.“
Lima geht in den Garten. Sie hätten hier versucht, Mais anzupflanzen, doch ohne Erfolg. Der sinkende Grundwasserspiegel verstärkt hier negativ die Effekte des Klimawandels. „Ohne Wasser geht nichts“, erklärt Lima. Immer häufiger erhielten sie nun Besuch von Tieren, erzählt der Bauer, denn die Monokulturen würden sie aus deren Lebensraum verdrängen. In einigen Regionen des Bundesstaates Mato Grosso do Sul sind die Temperaturen in den letzten 60 Jahren im Jahresmittel um 2,2 Grad gestiegen. Spitzentemperaturwerte von 42 Grad sind in der Region keine Seltenheit.
Auch in anderen Regionen verändert die Zellstoffproduktion das Leben. Ein Bewohner des Bundesstaats Bahia berichtet der taz von gewaltsamen Landkonflikten im Zusammenhang mit den Eukalyptusplantagen. „Suzano hat uns nichts Positives gebracht“, sagt Célio Leocádio, 46 Jahre, Sprecher der Quilombo Volta Miúda im Süden Bahias. Quilombos sind selbstverwaltete Siedlungen der Nachfahren entflohener versklavter Menschen. 730 Familien leben dort, eingekreist von Eukalyptusplantagen. „Mit gefälschten Dokumenten haben sie unser Land geklaut. Es gab gewaltsame Zusammenstöße mit ihren Sicherheitskräften, und sie klagen gegen uns, weil wir angeblich die wirtschaftliche Entwicklung stören.“
Es gibt Medienberichte über zahlreiche Indigene, Kleinbäuerinnen und Quilombolas, die laut eigenen Aussagen gezwungen worden seien, ihr Land zu verlassen. In einigen Regionen soll Suzano zwar damit begonnen haben, sich von umstrittenen Landbesitzungen zu trennen. Doch an anderen Orten sollen bis zu 70 Prozent der Suzano-Plantagen auf Landraub zurückzuführen sein. Dokumente der US-Börsenaufsicht zeigen, dass Suzano in mehr als 260 zivil- und umweltrechtlichen Verfahren verwickelt ist und über 2.500 arbeitsrechtliche Klagen anhängig sind. Trotz allem ist der Konzern ein beliebter Geschäftspartner für die deutsche Industrie.
Dem Jahresbericht des deutschen Branchenverbandes Die Papierindustrie ist zu entnehmen, dass Brasilien mittlerweile der größte Zellstoff-Exporteur für den deutschen Markt ist. Die taz fragte bei allen Unternehmen an, die in dem Verband organisiert sind. Einige Firmen gaben an, keinen Zellstoff zu verwenden und stattdessen vollständig auf Altpapier zu setzen. Andere erklärten, keine Rohstoffe aus Lateinamerika zu beziehen. Lediglich zwei Unternehmen berichteten, Zellstoff aus Brasilien zu importieren. Daten der Plattform Panjiva, die internationale Handels- und Lieferkettendaten analysiert, zeigen jedoch, dass auch andere Firmen Zellstoff aus Brasilien erhalten, einschließlich des umstrittenen Branchenführers Suzano.
So auch der Konzern Nordland Papier GmbH. Die Papierfabrik mit Sitz im niedersächsischen Dörpen zählt zu den größten Herstellern von Fein- und Spezialpapieren in Europa und gehört zum finnischen Papiergiganten UPM-Kymmene. Die soziale und ökologische Nachhaltigkeit der Lieferanten sei „eine der wichtigsten Prioritäten bei der Auswahl unserer Lieferanten“, erklärt die Firma auf Nachfrage. Zudem arbeite das Unternehmen aktiv mit den Lieferanten zusammen, „um bei festgestellten Nichtkonformitäten Korrekturmaßnahmen zu ergreifen“. Im Verhaltenskodex des Unternehmens heißt es allgemein, der Lieferant müsse die „negativen Umweltauswirkungen auf Boden, Wasser, biologische Vielfalt, Klima und Luft minimieren“. Auf konkrete Nachfragen zu den laufenden Verfahren gegen Suzano und den Vorwürfen, den Umweltschutz zu gefährden, äußert sich das Unternehmen nicht.
Essity Germany, die deutsche Tochtergesellschaft des schwedischen Hygienepapierherstellers Essity, erklärt ebenfalls, Zellstoff aus außereuropäischen Ländern zu beziehen. Das Unternehmen betont, dass der „Schutz von Natur und Artenvielfalt durch verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung und Faserbeschaffung für Essity Priorität hat“. Von den Frischfaserlieferanten werde erwartet, die Biodiversität zu schützen und den Waldschutz zu gewährleisten. Zu „Details über Lieferanten“ äußere sich das Unternehmen jedoch nicht. Die Vorwürfe gegen Suzano will man dort ebenfalls nicht kommentieren.
Suzano, Nordland Papier, Essity Germany und fast alle weiteren deutschen Papierfirmen setzen auf Zertifizierungssysteme, vor allem auf den Forest Stewardship Council (FSC). „Die Fasern aus Brasilien stammen aus FSC-zertifizierten Plantagen“, schreibt auch der Verband Die Papierindustrie. FSC ist ein internationales Zertifizierungssystem, das nach eigenen Angaben eine nachhaltige Forstwirtschaft fördern soll. Es soll sicherstellen, dass Holz- und Papierprodukte unter Berücksichtigung ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Standards produziert werden, wobei der Schutz von Wäldern, der Artenvielfalt und die Rechte indigener Völker im Vordergrund stehen.
„Ich habe noch nie erlebt, dass ein Unternehmen nicht zertifiziert wurde oder sein FSC-Siegel verloren hat – außer in einem Fall, in dem ein Sicherheitsmann einer Firma einen Anwohner tötete“, sagt Winnie Overbeck, 59 Jahre alt, gebürtiger Niederländer, vom World Rainforest Movement, der seit mehr als 30 Jahren in Brasilien lebt. Kleinere Verbesserungen seien in Ausnahmefällen möglich, aber die Zertifizierung ändere nichts am grundlegenden Produktionsmodell. „Dieses basiert auf Landkonzentration und Umweltzerstörung. Der FSC will die Monokulturen nur ein bisschen weniger schlimm machen.“
Laut Overbeck machen sich deutsche Unternehmen durch ihre Zellstoff-Importe zu Komplizen, weil sie Suzanos Behauptungen glauben, dass die Produkte nachhaltig seien. Die negativen Auswirkungen der Plantagen, wie Dürre und Verlust der Biodiversität, würden jedoch vom FSC nicht erfasst.
Viele sprechen sich dafür aus, statt auf Zertifizierungen verstärkt auf striktere Waldschutz- und Lieferkettengesetze zu setzen. Doch das gestaltet sich als schwierig. Auch im Fall von Zellstoff sind die Lieferketten häufig intransparent. Das deutsche Lieferkettengesetz hat zum Ziel, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Wertschöpfungsketten zu verhindern. In Deutschland fungiert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) als Kontrollinstanz, die bei Verstößen Buß- und Zwangsgelder verhängen kann. Auf Anfrage erklärt das Bafa, dass es „allen Hinweisen nachgeht und mit den unter das Gesetz fallenden Unternehmen im direkten Austausch steht“. Allerdings könne man keine Angaben zu konkreten Maßnahmen „im Rahmen risikobasierter Kontrollen von einzelnen Unternehmen“ machen.
Suzano plant eine Verdopplung der Kapazitäten
Suzano plant, in den nächsten zehn Jahren die Produktionskapazitäten zu verdoppeln. Im Juli wurde in der Kleinstadt Ribas do Rio Pardo feierlich eine neue Zellstofffabrik eröffnet – die größte der Welt. Sie befindet sich an der Bundesstraße 262, geschützt durch eine dichte Baumreihe. Suzano rühmt sich, dass das Werk fossilfrei ist und nur minimale Auswirkungen auf die Umwelt hat. Ein Besuch der Fabrik war trotz mehrmaliger Anfragen nicht möglich.
Der kometenhafte Aufstieg von Suzano ist auch möglich, weil das Unternehmen auf die Unterstützung der Politik zählen kann. Die Nationale Entwicklungsbank BNDES gewährte großzügige Kredite, die Bundesregierung lieferte steuerliche Anreize. Trotz Kritik vonseiten der Bundesstaatsanwaltschaft und zivilgesellschaftlicher Organisationen unterzeichnete Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva Ende Mai 2024 ein Gesetz, das den Anbau von Monokulturen zur Zellstoffgewinnung von der Liste umweltbelastender Tätigkeiten streicht. Lula weiß, dass das Agrobusiness das Rückgrat der brasilianischen Wirtschaft bildet.
Und wie sieht die Zukunft für die Kleinbauern in Mato Grosso do Sul aus? Lima greift in den Boden vor seinem Haus und lässt die Erde in den Händen zerbröseln. „Hart wie Beton“, murmelt er. Es werde immer schwieriger, hier etwas anzupflanzen. Seine drei Söhne sind längst in die Stadt gezogen. Eine Zukunft auf dem Land sahen sie nicht. „Wenn es so weitergeht, leben wir bald in einer Wüste“, sagt Lima, und denkt kurz nach: „eingekreist von einer grünen Wüste“. Eigentlich möchten er und seine Frau hier bleiben, auf ihrem Land. Doch wie lange das noch möglich ist, das wissen beide nicht.
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