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Kahlschlag bei der Integration

Aus Kostengründen streicht die Bundesregierung massiv bei Sprachkursen für Geflüchtete und Eingewanderte. Leidtragende sind vor allem Frauen

Von Jan Kahlcke

Die Bundesregierung hat die Integrationskurse drastisch zusammengestrichen, in denen Neuankömmlingen die deutsche Sprache vermittelt wird. Besonders betroffen sind geflüchtete Frauen. Künftig wird es keine reinen Frauenkurse mehr geben.

Noch vor dem Ampel-Aus und der damit verbundenen vorläufigen Haushaltsführung hatte die Bundesregierung den Etat-Ansatz dafür halbiert. Die entsprechende Verordnung sieht radikale Kürzungen im Kursangebot vor. Sie tritt Anfang Mai in Kraft und betrifft nur Kurse, die danach beginnen.

Künftig soll es nur noch in Ausnahmefällen Kurse im Umfang von 900 Stunden geben, der Regelumfang liegt bei 600 Stunden. Mehr bekommen in Zukunft nur noch jene Einwanderer, die parallel zum Spracherwerb Lesen und Schreiben lernen müssen, die die lateinische Schrift erlernen müssen oder die sprachpädagogischen Förderbedarf haben.

Leidtragende der Kürzungen sind vor allem Frauen, Eltern und Jugendliche. Die spezifischen Kurse für sie, bislang im Umfang von 900 Stunden, werden ganz gestrichen, sie müssen künftig die allgemeinen Integrationskurse besuchen. Für Jugendliche hatte es bislang Sprachkurse mit integrierter Berufsorientierung gegeben. Elternkurse boten neben dem Unterricht eine Kinderbetreuung. Sie wurden vor allem von Müttern besucht. Und in den reinen Frauenkursen hatten geflüchtete Frauen den Vorteil, unter sich zu sein – mit etwas mehr Zeit, als für den reinen Spracherwerb notwendig ist.

„Zutiefst frauenfeindlich“, sagt Judith Geipel, Geschäftsführerin des Bildungsträgers „BI Bildung und Integration Hamburg Süd“, zu den Kürzungen. Der Löwenanteil der Care-Arbeit liege nun mal bei den Frauen. „Da bedeutet jeder Tag, an dem ein Kind krank ist, einen Fehltag.“ Deshalb bräuchten die Frauen 900-Stunden-Kurse. Das neue Modell ignoriere die „strukturelle Benachteiligung von Frauen“.

Das Problem sei nicht mehr, dass Frauen nicht an gemischten Kursen teilnehmen wollten – oder von ihrer Familie aus „dürften“. Auch dass Frauen mit geringerer Schulbildung starteten als Männer, sei „gar nicht mehr so ein Thema“, sagt Geipel. Doch abgesehen von der höheren Stundenzahl liefen die reinen Frauenkurse anders ab. „Da gibt es zum Beispiel auch mal Unterrichtsformate, wo man sich bewegt und berührt – das kann man in gemischten Kursen nicht machen.“

Eine Kursleiterin bei „Bildung und Integration“ hat sich ihren Frust in einem Schreiben an ihre Chefin über die Kürzungen von der Seele geschrieben: „Herzlich und gut kann die Stimmung auch in ,gemischten‘ Kursen sein, aber nicht in dieser Offenheit und Unbefangenheit.“ Viele der Frauen empfänden die Vormittage im Deutschkurs als eine Zeit, in der sie etwas für sich tun. „Es geht um sie (nicht um die Kinder, Familie, Termine etc.): Sie lernen für sich.“ Insbesondere für Frauen, die aus stärker traditionell-patriarchal geprägten Verhältnissen kommen, könne das eine sehr gute Erfahrung sein. „Ich würde so weit gehen zu sagen, dass Deutschkurse für Frauen Räume des Empowerments von eingewanderten Frauen sind – die jetzt wegfallen. Die deutsche Sprache bedeutet ja auch ein Stück Autonomie im Alltag.“

Fast noch schwerer wiegt für Geipel, dass Wiederholungskurse künftig fast nur noch nach Kursen mit Alphabetisierungs-Anteil möglich sein sollen. Bislang konnten Teilnehmer:innen, die die B1-Deutschprüfung nicht geschafft haben, sich für ein weiteres 300-Stunden-Modul anmelden. „Viele scheitern in der Prüfung nur ganz knapp“, sagt Geipel, und hätten sie nach den Wiederholerstunden geschafft. Das geht künftig nicht mehr. „Ganz viele werden kein Zertifikat schaffen“, ist sie sich sicher.

„Wir dachten, es wäre grundsätzlich verstanden worden, dass Sprache der Schlüssel zur Integration ist“

Judith Geipel, „BI Hamburg Süd“

Geipel sieht in der Neuregelung einen Rückschritt: „Wir dachten, es wäre grundsätzlich verstanden worden, dass Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Das Gefühl haben wir gar nicht mehr.“

Das Bundesinnenministerium (BMI) schreibt auf taz-Anfrage: „Je nach Nachfrage und Bedarf vor Ort kann durch Träger beispielsweise ein allgemeiner Integrationskurs ausschließlich oder überwiegend mit Frauen, Elternteilen oder jungen Erwachsenen besetzt werden.“ Doch die Träger können das in der Praxis kaum leisten. Sie müssen, um auf ihre Kosten zu kommen, dafür sorgen, das jeder Platz besetzt ist. Fallen Teilnehmerinnen aus, muss in Zweifel nachrücken, wer gerade auf der Liste steht. Reine Frauenkurse können sie so zumindest nicht garantieren.

Sparen will der Bund durch die Neuordnung 758 Millionen Euro in fünf Jahren. Davon sollen allein 479 Millionen durch die Streichung der Wiederholer-Kurse zusammenkommen, 126 Millionen soll das Ende der Kurse für Frauen, Eltern und Jugendliche einsparen. Weitere 153 Millionen sollen andere Posten bringen, wie die fast völlige Streichung von Fahrtkosten zu den Kursen oder wegfallende Verwaltungskosten, weil Anträge – etwa für die Wiederholerkurse – nicht mehr bearbeitet werden müssen.

Wegen des Starts im Mai sollen im kommenden Jahr nur 87 Millionen gespart werden. Da der Etatansatz der Ampel-Koalition Kürzungen von gut einer Milliarde auf 500 Millionen Euro vorsah, bleibt also eine erhebliche Deckungslücke. Wenn die kommende Bundesregierung die Kürzungen nicht zurücknimmt, drohen deswegen weitere Kurs-Streichungen. Es sei denn, es kämen sehr viel weniger Menschen nach Deutschland.

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