Schattenseiten des Arbeits-Rekords: Neue Jobs, aber schlecht bezahlt
Noch nie waren so viele Menschen in Arbeit. Allerdings gehen gerade gut bezahlte Jobs verloren – die Gewerkschaften werden jetzt gebraucht.
H istoriker*innen werden später vielleicht sagen, dass 2024 das Jahr war, in dem alles kippte. Denn der neue Rekord bei der Erwerbstätigkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise der Industrie mittlerweile ihre Spuren hinterlässt und nicht mehr nur die Klagen über Fachkräftemangel, sondern auch drohende Massenentlassungen zu bestimmenden Themen in deutschen Wirtschafts-Medienressorts wurden.
Es wäre auch ein ökonomisches Wunder, wenn zwei Jahre konjunkturelle Flaute nicht Folgen haben würden. Denn der Abschwung ist zwar eher eine seichte Talfahrt als ein abrupter Einbruch, dafür dauert er jetzt schon recht lange an und ist vor allem von einer strukturellen Krise der Industrie geprägt. Und dies spiegelt sich bereits in den Erwerbstätigenzahlen wider.
Die Zahl der Erwerbstätigen ist vor allem auf einen neuen Rekord von 46,1 Millionen Menschen im Jahresdurchschnitt gestiegen, weil zwei Bereiche einstellten: der Dienstleistungssektor und der Staat. Ganz anders sieht es im produzierenden Gewerbe aus, zu dem auch die Industrie gehört: Hier ging die Zahl der Erwerbstätigen um 0,6 Prozent auf 8,1 Millionen Personen zurück. Und dieser Trend könnte den Arbeitsmarkt nachhaltig verändern.
Gerade Tarif-Jobs gehen verloren
Die Gefahr ist weniger, dass es zu einer neuen Massenarbeitslosigkeit kommt. Die meisten Ökonom*innen gehen noch davon aus, dass die Arbeitslosenquote im kommenden Jahr nicht sonderlich weit über 6 Prozent steigt – von zuletzt 5,9 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen 1994 und 2007 war die Arbeitslosenquote zweistellig und betrug bis zu 13 Prozent. Das Problem ist, dass mit der Industriekrise vor allem in einem Bereich Jobs verloren gehen, in dem die Gewerkschaften stark sind und bisher meist gute Löhne durchsetzen konnten.
Es droht also, dass gut bezahlte durch schlecht bezahlte Jobs ersetzt werden. Insofern muss es in der Wirtschaftspolitik weniger um pauschale Steuersenkungen für die Wirtschaft, sondern um den Erhalt und die Schaffung guter Jobs gehen. Und dafür braucht es die Stärkung der Gewerkschaften in der Transformation.
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