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Schattenseiten des Arbeits-RekordsNeue Jobs, aber schlecht bezahlt

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Noch nie waren so viele Menschen in Arbeit. Allerdings gehen gerade gut bezahlte Jobs verloren – die Gewerkschaften werden jetzt gebraucht.

Metallenes Gewerk: Schafften die Gewerkschaften doch lange gute Löhne, ist es heute damit schwer Foto: Martin/imago

H is­to­ri­ke­r*in­nen werden später vielleicht sagen, dass 2024 das Jahr war, in dem alles kippte. Denn der neue Rekord bei der Erwerbstätigkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise der Indus­trie mittlerweile ihre Spuren hinterlässt und nicht mehr nur die Klagen über Fachkräftemangel, sondern auch drohende Massenentlassungen zu bestimmenden Themen in deutschen Wirtschafts-Medienressorts wurden.

Es wäre auch ein ökonomisches Wunder, wenn zwei Jahre konjunkturelle Flaute nicht Folgen haben würden. Denn der Abschwung ist zwar eher eine seichte Talfahrt als ein abrupter Einbruch, dafür dauert er jetzt schon recht lange an und ist vor allem von einer strukturellen Krise der Industrie geprägt. Und dies spiegelt sich bereits in den Erwerbstätigenzahlen wider.

Die Zahl der Erwerbstätigen ist vor allem auf einen neuen Rekord von 46,1 Millionen Menschen im Jahresdurchschnitt gestiegen, weil zwei Bereiche einstellten: der Dienstleistungssektor und der Staat. Ganz anders sieht es im produzierenden Gewerbe aus, zu dem auch die Industrie gehört: Hier ging die Zahl der Erwerbstätigen um 0,6 Prozent auf 8,1 Millionen Personen zurück. Und dieser Trend könnte den Arbeitsmarkt nachhaltig verändern.

Gerade Tarif-Jobs gehen verloren

Die Gefahr ist weniger, dass es zu einer neuen Massenarbeitslosigkeit kommt. Die meisten Öko­no­m*in­nen gehen noch davon aus, dass die Arbeitslosenquote im kommenden Jahr nicht sonderlich weit über 6 Prozent steigt – von zuletzt 5,9 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen 1994 und 2007 war die Arbeitslosenquote zweistellig und betrug bis zu 13 Prozent. Das Problem ist, dass mit der Industriekrise vor allem in einem Bereich Jobs verloren gehen, in dem die Gewerkschaften stark sind und bisher meist gute Löhne durchsetzen konnten.

Es droht also, dass gut bezahlte durch schlecht bezahlte Jobs ersetzt werden. Insofern muss es in der Wirtschaftspolitik weniger um pauschale Steuersenkungen für die Wirtschaft, sondern um den Erhalt und die Schaffung guter Jobs gehen. Und dafür braucht es die Stärkung der Gewerkschaften in der Transformation.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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19 Kommentare

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  • ... guter Artikel!



    Zusammengefasst könnte man sagen, dass das Produzierende Gewerbe eine nachhaltige Wertschöpfung betreibt (Stück Eisen rein in die Fabrik und am anderen Ende kommt ne Waschmaschine raus etc.)



    Das Gleiche gilt natürlich auch fürs fürs Handwerk. (alte Heizung raus, Neue rein oder mit Neuteilen reparieren.)

    Das Horrorszenario sähe so aus: Prekäre Jobs beliefern oder backen Dinge oder räumen Dinge in Supermärkten um und dies für andere prekäre Jobber oder Bürgergeldbezieher. Um dies bezahlen zu können, wird der Mittelstand, resp. dessen Reste "abgemolken".

    Gruß Fritze

  • Krise als Chance:



    Arbeitsplätze werden beispielsweise in der Auto- und deren Zulieferindustrie abgebaut.



    Das ist für die Betroffenen natürlich unerfreulich. Der Trend weist allerdings auf Elektromobilität, auch wenn Menschen von gestern, wie Friedrich Merz, das noch nicht verstanden haben. Also entweder die deutsche Autoindustrie gibt jetzt mal Gas, oder sie ist bald Geschichte. Klar, dass bei einem Elektromotor viele Bestandteile, die bei einem Ottomotor gebraucht wurden, überflüssig werden.



    Was statt dessen gebraucht wird, sind Elektriker in Windkraftanlagen, deren Planer und Monteure.



    Das gilt ebenfalls für Photovoltaik, wo auch gut bezahlte Jobs für Geringqualifizierte winken.



    Wärmepumpen sind ebenfalls ein Bereich, in dem neues, qualifiziertes Personal benötigt wird. Das vorhandene Personal muss sich ebenfalls weiterbilden, oder geht in Rente.



    Chancengleichheit besteht also.



    Der ökologische Umbau unserer Wirtschaft ist eine Chance.



    Dass Gewerkschaften aus Mitgliedern bestehen merken ArbeitnehmerInnen, wenn der Job bedroht wird. Immerhin sorgt Heil, mit der Verlängerung des Kurzarbeitergelds, für eine gute Übergangslösung.

    • @Philippo1000:

      "Arbeitsplätze werden beispielsweise in der Auto- und deren Zulieferindustrie abgebaut. Das ist für die Betroffenen natürlich unerfreulich. Der Trend weist allerdings auf Elektromobilität, auch wenn Menschen von gestern, wie Friedrich Merz, das noch nicht verstanden haben."

      Tja, mit dem Verständnis ist das so eine Sache. Global gesehen beträgt die Neuzulassungsrate von E-Autos gerade mal 10 Prozent, 90 Prozent der Neuwagen sind Verbrenner oder Hybride. Europa ist dahingehend absolut nicht ausschlaggebend, nur wenn staatliche Förderungen fließen ist der E-Auto Absatz signifikant höher. Da aber auch die deutsche Automobilindustrie für den Weltmarkt produziert würde ich von einem Rückbau-Trend eher nicht ausgehen.

  • Den Gewerkschaften ist sehr bewusst, was den Abbau der Industrie mit den besser bezahlten Arbeitsplätzen treibt: Energiekosten, Bürokratie, hohe Steuern und unzureichende Leitplanken des Staats im Wandel.

  • Das Problem ist doch eher, dass es sich bei den "neuen" Jobs tendenziell eher um Tätigkeiten mit geringen Qualifikationserfordernissen handelt. Bei Aushilfsjobs ohne weitere Ausbildungsanforderungen und ohne Qualifikationsstufen kann auch eine Gewerkschaft nicht zu höheren Löhnen verhelfen. Zumal im Bereich "neuer" Jobs die Gewerkschaftsbindung eher gering ist.

  • … gut bezahlte Jobs sind nicht gleich gute Jobs. Wer für vergleichsweise viel Geld z.B. SUVs zusammenbaut, macht trotzdem gesellschaftlich und auch ökonomisch schlechte Arbeit. Das Zeug wird nicht nur nicht gebraucht es ist auch noch schädlich und bindet Arbeitskräfte, die in gesellschaftlich sinnvollen Bereichen dringend gebraucht werden.

    • @guzman:

      Danke für diesen Kommentar.



      Viele Leute verstehen leider nicht, dass bei der Ökonomie um die Befriedigung von Bedürfnissen geht und nicht darum, aus Geld mehr Geld zu machen. Und dass Arbeit dazu dient, Aufgaben zu bewältigen, die der Bedürfnisbefriedigung dienen - und nichts anderes.

    • @guzman:

      Willkommen in einer Welt in der Produkte nicht nur nach dem Aspekt der Notwendigkeit hergestellt werden sondern auch danach, was am Markt nachgefragt wird :D :D

      Kleiner Tipp: die DDR gibt es nicht mehr. Dort hätten Ihre Vorschläge bestimmt viel Anklang gefunden ;-)

      • @Tom Tailor:

        Ich denke, Sie idealisieren die DDR. Die Vorstellung, dass dort kein Ramsch hergestellt wurde, würde ich doch in Frage stellen. Und auch in der DDR mussten auf Teufel komm raus Arbeitsplätze geschaffen und gerettet werden, weil nur so legitime Einkommen verdient werden konnten.

        • @Eric Manneschmidt:

          Tja, wie heißt es so schön: von nix kommt nix.

          Aber die Vorstellung, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen nur auf gesellschaftlich Relevantes runter zu regulieren, halte ich für gesellschaftlichen Irrsinn. Abgesehen davon, dass dadurch Millionen Menschen arbeitslos werden würden (und der Staat nicht jeden Menschen auf diese Weise alimentieren kann, um ihn in "gesellschaftlich wertvoller Schaffenskraft zu bringen"), auch ein Großteil an Innovation und Lebensqualität würde dadurch verloren gehen.

          Man muss nicht das Negativbespiel DDR bemühen, ein Blick auf Nordkorea reicht vollkommen aus, um den Segen einer Gesellschaft zu begreifen, die rein aus sinnvoller und wertvoller Arbeit besteht :D :D

          • @Tom Tailor:

            Ich glaube Sie machen immer noch den Fehler, Ökonomik und Chrematistik miteinander zu verwechseln. Das ist freilich ein populärer Fehler.



            Und obwohl ich kein Nordkorea-Experte bin, denke ich, dass Sie auch dieses Regime idealisieren.



            Und es geht (mir) nicht um "Regulieren" von oben, sondern darum, Menschen in die Lage zu versetzen, zu Bullshit Jobs oder Schadarbeit nein zu sagen. Dadurch entsteht keinerlei Wohlstandsverlust oder Finanzierungsproblem, ganz im Gegenteil.

            • @Eric Manneschmidt:

              Sofern Sie aus meinen Beiträgen "Idealisierung" von sozialistischen System heraus lesen, ist Ihnen offenbar die Ironie entgangen.

              Zum zweiten: wir haben immer noch einen Arbeitnehmermarkt. Diese Lage, von der Sie sich Menschen wünschen, gibt es bereits.

  • Der Artikel vergisst zu erwähnen, dass diese Industriekrise gerade vom linken Spektrum herbeigewunschen und tatkräftig herbeigearbeitet (Tatenlosigkeit trotz Rekordstrompreise etc) wurde.



    Eigentlich müsste links also gerade Party herrschen...🤷‍♂️



    Egal ob Chemie, Autobau, Stahl, Energie, etc - gegen diese 'dreckigen' Industrien wurde vom linken Spektrum unentwegt leidenschaftlich geschrien, gekämpft, demonstriert und verteufelt bis man jetzt - oh Wunder - plötzlich merkt, dass das die big player waren die überproportional den ganzen Bums aka Sozialstaat erst ermöglicht haben UND gleichzeitig massenhaft Hochlohnjobs für die Bevölkerung generierten, da sie genügend 'böse' Gewinne erwirtschafteten, so dass in ihren Industriezweigen "die Gewerkschaften stark sind und (...) gute Löhne" auch für Bandarbeiter, sprich den kleinen Mann, durchsetzbar waren.



    Nu is Krise, die Unternehmen verlagern ihre Arbeitsplätze an freundlichere Standorte - kurzum: 'die Felle schwimmen davon', die Stimmung im Land kippt wenig überraschend gen reaktionär bis rechts - und links entdeckt plötzlich sein 'Herz' für die Industrie...😂



    Wärs nicht so traurig wärs ne astreine Komödie a la Shakespeare

    • @Farang:

      Sie verwechseln leider "linkes Spektrum" mit "grünem Spektrum". Allerdings ist das ein verzeihlicher Fehler, denn die Betreffenden verwechseln das nur zu oft selber. Linke Politik muss zwingend einen Fokus auf Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik haben. Denn die Erwerbsarbeit ist, egal ob man das wahrhaben mag oder nicht, weiterhin die Basis für die materiellen Lebensbedingungen der Menschen. (Nein, das ist kein Aufruf, auf eine ökologische Transformation der Wirtschaft zu verzichten)

  • Das Statistische Bundesamt schreibt:

    "Entscheidend für die insgesamt positive Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt war die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Jahresdurchschnitt 2024 um 146 000 Personen (+0,3 %) auf 42,3 Millionen wuchs. Zu diesem Anstieg trug maßgeblich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei. Leichte Verluste gab es hingegen bei der Zahl der marginal Beschäftigten (geringfügig entlohnte und kurzfristig Beschäftigte sowie Personen in Arbeitsgelegenheiten)."

    Zunächst einmal ist also auch ein Zugewinn an regulärer Beschäftigung zu verzeichnen.

    Dass der hierzulande im internationalen Vergleich überdurchschnittliche Anteil an Industriearbeitsplätzen weiter rückläufig sein wird (übrigens schon seit den 1950er Jahren), lässt sich nicht verhindern. Technischer Fortschritt und demografischer Wandel machen das auch unvermeidlich.

  • Der Arbeitsmarkt ist so "abgegrast", dass es einen sehr großen Konkurrenzkampf um die verbliebenden Arbeitskräfte gibt. Das funktioniert u.a über das Gehalt und weitere Sozialleistungen.



    das ist natürlich in den Branchen unterschiedlich, aber warum hier so schwarz gemalt wird verstehe ich nicht.

  • Das sehe ich etwas anders. Ich denke es wäre sinnvoller die Lebenshaltungskosten, allen voran die Mieten, zu senken. Denn wo soll die Spirale der anpassenden Gehaltserhöhungen noch hinführen. Für kleine Unternehmen sind die Lohnkosten jetzt schon kaum noch zu wuppen. Und es wäre gut, wenn man im Dienstleistungs- und Gesundheitssektor von seiner Arbeit leben könnte. Da meine Branche (Film) gerade unfassbar eingebrochen ist, mache ich eine Weiterbildung zur Alltagsbetreuerin. Nur bei Arbeitsverhältnissen von 20-25 Stunden (max. 30Std.) und einem Stundenlohn von maximal 17€ kann sich davon eigentlich niemand ernähren. Zumindest nicht, wenn man einen Einzelhaushalt führt. Hier muss dringend ein Umdenken stattfinden. In der Pandemie noch geklatscht, jetzt schon alles wieder vergessen. Und: es ist schlimmer als je zuvor. Auch gesellschaftlich muss ein Umdenken stattfinden. Administrative und sehr gut bezahlte Jobs sind in der Gesellschaft nach wie vor höher angesehen, als Berufe, die im Grunde die Maschine am laufen halten. Was die Leute in ihren Sesseln verzapfen und ob es uns als Gesellschaft mehr schadet, als nützt, spielt dabei keine Rolle. Fettes Gehalt gleich cooler Typ. Traurig.

  • Eine Möchtegernliste ist noch keine gute Argumentation!



    Was heißt den Gewerkschafen stärken? Üblicherweise geht das per Mitgliederzahlen.



    Was heißt denn gute Jobs erhalten? Das geht üblicherweise per guter, innovativer Produkte die jeder kaufen will (oder günstige Produkte per Billigproduktion).



    Richtig wäre also diese beiden Themen zu analysieren und dann eine Wirtschaftsstrategie abzuleiten. Wäre mal einen Artikel wert! Danke.

  • "...sondern um den Erhalt und die Schaffung guter Jobs gehen. Und dafür braucht es die Stärkung der Gewerkschaften in der Transformation."

    Und bitte nicht das Wichtigste vergessen: Dienstleistung folgt immer der Produktion - nicht anders herum. Der bisher eingeschlagene Weg, Industrie abzubauen und den Dienstleistungssektor bzw. Staatsdienstleistungsposten aufzubauen, führt auf Dauer in eine Sackgasse.