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Urteil im Pelicot-ProzessHöchste Zeit für einen Paradigmenwechsel

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Dominique Pelicot erhielt die Höchststrafe und muss für 20 Jahre ins Gefängnis. Der Prozess hat die Aufmerksamkeit gegenüber sexueller Gewalt erhöht.

Paris, 23. November: eine Unterstützerin von Gisèle Pelicot am Tag zur Beseitung der Gewalt gegen Frauen Foto: Abdul Saboor/reuters

D as klingt gerechtfertigt: Höchststrafe. 20 Jahre muss Dominique Pelicot, der Hauptangeklagte im sogenannten Prozess von Avignon, hinter Gitter. Danach will die Justiz über eine anschließende Sicherungsverwahrung entscheiden. Pelicot wird also vielleicht nie wieder auf freiem Fuß sein. Damit reizte das Gericht den Strafrahmen für den Mann wegen Vergewaltigung in rund 200 Fällen, begangen an seiner Ex-Frau Gisèle Pelicot, komplett aus.

Und doch mögen diese 20 Jahre Gefängnis vielen Menschen, vor allem Frauen, nicht ausreichen. Denn das, was der Täter, der sich im Prozess selbst als Vergewaltiger titulierte (ob wahrhaft reumütig, weiß nur er allein), seiner Frau angetan hat, ist mit keiner Strafe abgegolten. Pelicot hat um sich herum ein wahres Vergewaltigernetzwerk aufgebaut, 50 andere Täter müssen jeweils für 3 bis 15 Jahre ins Gefängnis. Und es sind längst nicht alle beteiligten Männer ermittelt und vor Gericht gestellt, möglicherweise kommen manche Täter sogar davon. Das ist bitter, desillusionierend und zutiefst ungerecht.

Und doch ist diesem Prozess, der wegen der Brutalität der Taten und der Skrupellosigkeit der Täter weltweit Aufmerksamkeit erregte, etwas Positives abzugewinnen: Es ist durch die breite öffentliche Debatte deutlich geworden, dass diese Massenvergewaltigung stellvertretend für viele andere Massenvergewaltigungen steht, die es – ja, davon darf man ausgehen – in jeder anderen Ecke der Welt so oder ähnlich gibt. Im Grunde hat die 2017 gestartete Kampagne, die mit dem Hashtag #MeToo verbunden ist, gerade erst richtig begonnen. Manche sehen durch den Prozess bereits einen Paradigmenwechsel angestoßen.

Das ist ein großes Wort, und man hofft, dass der „Fall Pelicot“ eine gesellschaftliche Wirkung entfaltet, die jedem Mann klar vor Augen führt, was sexuelle Gewalt bedeutet. Die jeden Mann eher zögern lässt, wenn er sich einer Frau nähert. Eine solche Wirkung könnte auch „Ja heißt Ja“ heißen, also die positive Umkehr der Formel „Nein heißt Nein“, die 2016 in das deutsche Sexualstrafrecht Eingang fand. Oder anders ausgedrückt: Nur ein ausdrückliches Ja berechtigt zum Sex. Das mag manchen umständlich und als „die Sittenpolizei unterm Bett“ erscheinen. Doch der Prozess von Avignon hat einmal mehr gezeigt, dass es nicht genug Vorsichtsmaßnahmen gegen sexuelle Gewalt geben kann.

Trotz der gestiegenen Aufmerksamkeit gegenüber Alltagssexismus und Misogynie, die dieser Prozess zutage brachte, sollte keine Frau davon ausgehen, dass die Welt jetzt für sie sicherer ist.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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