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Strafloses MassenmordenDie Toten, die niemand zählt

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Immer neue Superlative müssen herhalten für das Leid im Gazastreifen, in der Ukraine oder Sudan. Strafen für Kriegsverbrechen muss niemand fürchten.

Nur die Uniformen der Rettungstrupps unterscheiden sich nach den Bombardierungen im Gazastreifen oder in der Ukraine Foto: Ukrainian Emergency Service/Ukrainian Emergency Service/AP

D ass Menschenleben in der Politik keine Rolle spielen, ist bekannt. Wie viele Kriegstote gibt es im Gazastreifen, in Libanon, in der Ukrai­ne. Wie viele Hungertote in Sudan? Wer ist schuld? Niemand kann die Toten alle zählen. Und sie zählen nicht. Diejenigen, die den Kriegsopfern beistehen, kommen dem Horror gar nicht mehr hinterher. In der Ukraine sind schätzungsweise eine Million Soldaten auf beiden Seiten tot oder verwundet, es gibt Zehntausende tote Zivilisten.

„Nirgendwo sonst auf dem Planeten stehen so viele Menschenleben auf dem Spiel wie heute in Sudan“, sagte am Samstag nach der Rückkehr aus Darfur Jan Egeland, als ehemaliger UN-Untergeneralsekretär eine der profiliertesten Figuren der humanitären Hilfe weltweit. Und zwei Wochen zuvor: „Das Leid ist fast ohne Parallele irgendwo in der jüngeren Geschichte“ über die Lage im Gazastreifen, in den Egeland Anfang November reiste. Is­raels Vorgehen sei „rechtswidrig und jenseits jeder Vorstellung“.

Wer sich an vergangene Massenmorde erinnert – Ruanda, Kambodscha, Kongo, Südsudan oder Bosnien – wundert sich darüber nicht. „Nie wieder“ war immer ein ahistorischer frommer Wunsch. Aber muss man hinnehmen, dass bis heute kein wirksames Mittel gegen das „Immer wieder“ gefunden wurde? Die auf UN-Ebene erdachte „Schutzverantwortung“ der Weltgemeinschaft für bedrohte Zivilbevölkerung wurde nie Wirklichkeit.

Der Internationale Strafgerichtshof, gegründet zur Ahndung von Völkerstrafverbrechen weltweit nach den Ad-hoc-Tribunalen zu Ruanda und Ex-Jugoslawien, steht vor dem Aus, weil seine Arbeit ständig blockiert wird. Die einen wollen Wladimir Putin nicht verhaften, die anderen Benjamin Netanjahu nicht, darunter schändlicherweise die Bundesregierung. Wer den einen vor der Justiz schützt, schützt damit auch den anderen. Am Ende steht auch Deutschland als Saboteur der Weltjustiz da.

Zusammengenommen ergibt das eine Weltgemeinschaft, die keine ist. Jede und jeder Tote ist eine zu viel. Und alle zusammen sind zu wenig, damit etwas passiert.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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1 Kommentar

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  • Guter Kommentar.

    Die mangelhafte Rechtsdurchsetzung aufgrund fehlender Kooperation einiger Mitgliedsstaaten des Römischen Statuts ist ebenso beklagenswert wie die Rechtsauffassung, gerade von demokratischen Staaten, die sich anscheinend oftmals mit dem Wind dreht.

    Besonders Deutschland ist ein Musterbeispiel von großen Worten und gegenteiligen Taten. Erinnert sei nur an den immensen Widerstand Deutschlands Palästina in den Club der Mitglieder des Römischen Status aufzunehmen.

    Selbst als Palästina 2015 aufgenommen wurde, haben Deutschland und Österreich noch interveniert um Palästina die Staatsqualität abzusprechen und so von der internationalen Gerichtsbarkeit auszuschließen.

    Ähnliches Bild erst dieser Tage hinsichtlich des Haftbefehls gegen Netanjahu, wo die Regierung eine recht zweifelhafte Performance hinsichtlich ihrer Auffassung von Rechtsstaatlichkeit hingelegt hat.

    Wenn die Politik grundsätzlich die Auffassung vertritt, dass internationales Recht nur dann anzuwenden ist, wenn es den politischen Interessen nicht zuwiderläuft, wird das letztlich zur Bedeutungslosigkeit von Institutionen wie den UN oder den internationalen Gerichtshof führen.