Das Ende der sozialen Medien: Enshittification
Twitter, Facebook und Insta sind unbenutzbare Kloaken voller Werbung und KI-Müll. Dabei waren sie mal Werkzeuge der Vernetzung und Entdeckung.
H ass ist ein großes Wort. Aber wie sonst soll ich die Empfindung nennen, die mich fast täglich überwältigt? Immer dann nämlich, wenn der Newsletter von Cory Doctorow mit glockenhellem „Pling“ in meinem Posteingang landet. Ich mein, täglich!! Das ist doch wider die Natur. Gewiss, der Mann ist einer der wichtigsten Propheten des freien Internets, Bestsellerautor, Aktivist, Speaker und Kritiker. Alles ganz toll, aber jeden Tag? Ich lese verdammt nochmal langsamer, als der schreibt.
Dann ist da noch diese latente Plagiatsangst. Jeder Text, den ich je über digitale Ökonomie und die Politik der vernetzten Sphäre geschrieben habe, fühlt sich wie ein lauer Aufwasch von Doctorow an. Egal was, er hat’s schon gesagt. Früher, klüger und besser: „Nie wieder werde ich Energien in den Aufbau eines Publikums stecken auf einer Plattform, deren Management meine Verbindung zu diesem Publikum nach Belieben kappen kann.“ Viel mehr muss man nicht sagen zu Bluesky und Threads und anderen zentralisierten kommerziellen Versuchen, den Kurznazidienst Twitter/X in nett nachzubauen.
Aber es muss anscheinend doch immer wieder ausgesprochen werden: All die Benefits und Connections in der initialen Wachstumsphase der Plattformen sind dazu da, die Nutzer*innen und die Werbetreibenden erst anzulocken und dann auf der Plattform in Geiselhaft zu nehmen. Dass so viele so irritierend lange auf Musks fescher Faschistenfete verblieben, hat genau den Grund, dass die dort aufgebauten Netzwerke so wertvoll für uns sind. Nur unter großen Schmerzen können wir darauf verzichten.
Fortschreitende Verschlechterung digitaler Dienste
Ich habe den Anschluss an wirklich viele spannende, sonst nicht oder kaum publizierte Stimmen verloren. So einen Kahlschlag will ich nicht noch einmal erleben und werde deshalb nie wieder Energien in den Aufbau und so weiter. Neid? Wahrscheinlich ist Neid das bessere Wort. Streichen Sie den Hass. Den halten wir in Reserve gegen diese Trampel, die für ein bisschen Profit oder Diskurskontrolle jedes zart keimende Pflänzchen der Solidarität und des zivilen Austauschs knallhart zerfetzen.
Okay, Twitter ist ein Extremfall, aber auch Facebook und Insta sind unbenutzbare Kloaken voller Werbung und KI-generiertem Müll. Dabei waren die mal ganz praktikable Werkzeuge der Vernetzung und Entdeckung. Oder erinnert sich noch jemand daran, dass man mit Google tatsächlich Informationen finden konnte? Oder bei Amazon günstige und gute Produkte?
Für diese fortschreitende Verschlechterung digitaler Dienste, nur um aus marktbeherrschender Stellung heraus ohne weitere Innovation und Investition noch mehr Profite generieren zu können, gibt es sogar einen, bislang leider nicht überzeugend ins Deutsche übersetzten Begriff: Enshittification. Cory Doctorow hat den erfunden – und viele andere schreiben drüber. Mithu Sanyals Kali sagt: „Stehle immer bei den Besten!“ Mach ich und sage danke. Ah, jetzt hab ich’s! Die Empfindung heißt Dankbarkeit. Jeden Tag.
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