Experten kritisieren Christian Lindner: „Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Experten aus Umwelt und Wirtschaft halten nichts von Lindners Forderung, die nationalen Klimaziele aufzugeben. Auch ökonomisch sei sein Plan Unfug.
„Wir sehen gerade, wie in Valencia die Welt untergeht, und gleichzeitig fordert Christian Lindner, die nationalen Klimaziele aufzugeben“, sagt Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring. Der Finanzminister hatte letzten Freitag in einem Dokument unter anderem gefordert, das Ziel für den Kohleausstieg in Deutschland aufzuheben und Subventionen für erneuerbare Energien zu streichen. Experten aus Umwelt und Wirtschaft meinen, der Plan funktioniere nicht.
Dem Papier zufolge sollte etwa ein erhöhter CO2-Preis für eine Reduktion der Treibhausgasemissionen sorgen. „Doch wir wissen aus der Forschung, dass so eine einseitige Maßnahme nicht funktioniert“, meint Niebert. Sie könne die Wende im Energiesektor zwar beschleunigen, doch für andere Sektoren gelte das nicht. Hier wären höhere Preise nötig. So seien im Mobilitätssektor klimafreundliche Alternativen noch immer nicht flächendeckend einsetzbar. Auch im Gebäudebereich würde ein erhöhter CO2-Preis zunächst dazu führen, dass dieser in Kauf genommen und die Emissionen in absehbarer Zeit nicht sinken würden. Befördernd wirke zudem, dass Lindner auch die sektorbezogenen Vorgaben zur Einsparung von Emissionen aufheben wolle.
Diese Einschätzung stützen auch die Ergebnisse einer Studie, die die Denkfabrik Agora Energiewende im Oktober veröffentlicht hat. Der Studie zufolge braucht es für eine ausgewogene Klimapolitik einen Mix von Maßnahmen, der auch aus preisbasierten Anreizen und Subventionen besteht und nicht nur auf die reine Marktregulierung setzt, was bei einem erhöhten CO2-Preis als einzige Lenkungsmaßnahme der Fall wäre.
Der erhöhte CO2-Preis hätte gleichzeitig gestiegene Kosten für die Verbraucher*innen zur Folge, meint Ökonom Jens Südekum. Staatliche Maßnahmen, die diese Belastungen, beispielsweise durch Ausgaben für Gebäudesanierung, für Bürger*innen und Unternehmen abfedern sollen, möchte der Finanzminister allerdings auch abschaffen. So fordert er unter anderem den gesamten Klimatransformationsfonds zu streichen, der auch der Finanzierung solcher Entlastungsinstrumente dient. Lindners Vorschläge bedeuteten damit eine stärkere Belastung armer Haushalte, meint Südekum.
Lindners ungedeckter Scheck
„Dazu kommt, dass das Papier ökonomisch keinen Sinn macht und in sich widersprüchlich ist“, so der Ökonom. Lindner fordere darin die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Den zahlen aktuell Privatpersonen, die zu den zehn Prozent derjenigen gehören, die am meisten verdienen, und Personengesellschaften, zum Beispiel kleinere Unternehmen. Außerdem möchte der Finanzminister die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften senken. Er schlägt also steuerliche Entlastungen für Unternehmen vor. „Lindner behauptet, dass die Summe von rund 10 Milliarden Euro, die dem Staat damit fehlen würde, gegenfinanziert sei. Aber das stimmt einfach nicht. Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck.“
Konkret behaupte Lindner, die Einbußen durch die Steuersenkungen könne der Staat durch das Geld finanzieren, das für den Bau der Intel Fabrik in Magdeburg zur Seite gelegt sei und nun doch nicht verwendet würde. „Aber das gilt ja nur für das kommende Jahr“, so Südekum. „Ab 2026 gäbe es dann ein riesiges Loch im Haushalt.“
Auch das Argument, die Steuererleichterungen würden die Unternehmen derart beflügeln, dass sie bald kräftig Geld in die Staatskasse spülten, sei hinfällig. Das Institut der deutschen Wirtschaft hätte belegt, „dass niedrigere Unternehmensteuern in Deutschland zu Mindereinnahmen von 17 Milliarden Euro führen würden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht