Konflikt um feministische Außenpolitik: Die langen Schatten des Nahostkriegs
Der Think Tank für feministische Außenpolitik CFFP hat keinen Beirat mehr. Ein Vorwurf: Man wolle Stimmen zum Gaza-Krieg unterdrücken.
Die Forderungen des Treffens sind innenpolitisch motiviert: „Femizide verhindern, Abtreibungen legalisieren!“ Schwung geben soll das einem bundesweiten Gewalthilfegesetz, das nicht umgesetzt wird, sowie der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, die die Ampelregierung vor allem aufgrund der Blockade der FDP aussitzt. Dass der Nahostkonflikt an diesem Tag eine Rolle spielen würde, ist nicht geplant.
„Wir haben die Pressekonferenz auch mit Annalena Baerbock gemacht, weil sie eine der wenigen PolitikerInnen ist, die sich aktuell für das Thema Schwangerschaftsabbruch einsetzt“, sagt Kristina Lunz heute. Lunz ist Gründerin und Co-Geschäftsführerin des CFFP, einer gemeinnützigen Forschungs- und Beratungsorganisation für feministische Außenpolitik mit Sitz in Berlin. Sie hat die Konferenz gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Hawar.help organisiert.
Doch die deutsche Außenministerin nur zur Innenpolitik zu laden ist dieser Tage kaum möglich. Zehn Tage zuvor hatte Baerbock eine Rede im Bundestag gehalten. Zivile Orte wie Schulen, sagte sie dort im Hinblick auf Gaza, könnten ihren Schutzstatus verlieren, wenn Terroristen sich darin verschanzten. Ein Video von Teilen ihrer Rede sorgte international für Empörung. Auch die deutschen Waffenlieferungen an Israel werden von vielen – auch von internationalen Feministinnen – kritisiert.
Bei der Konferenz in Berlin-Mitte brechen sich diese Konflikte Bahn. Ein Video, das online zu sehen ist, schwenkt vom Zuschauerraum zum Podium und zurück. „Stoppt den Genozid an palästinensischen Frauen!“, ruft eine Frau im Publikum immer wieder auf Englisch. Offensichtlich adressiert sie Baerbock: „Sie ermöglichen den Genozid!“, ruft sie, „stoppt den Genozid!“ Zu hören ist, wie Kristina Lunz versucht, die Schauspielerin Natalia Wörner anzukündigen. „Das sind wichtige Punkte“, sagt Lunz noch in Richtung der Frau. „Es ist Zeit für Fragen danach!“ Die Frau wird schließlich von zwei Mitarbeiterinnen des Organisationsteams aus dem Saal begleitet.
Seitdem bricht ein Shitstorm über Lunz, ihre Co-Geschäftsführerin Nina Bernarding und das CFFP hinein. Von „white feminism“ ist da die Rede, von Rassimus, geradezu hasserfüllt auch von Lügen, Größenwahn und feministischen Tyranninnen. Der Shitstorm im Netz vermengt sich mit einem weiteren Konflikt, der seit Monaten hinter den Kulissen des CFFP schwelt und nun kulminierte. Wer auf der Website des CFFP auf „Beirat“ klickt, findet nur mehr eine Fehlermeldung: Es gibt keinen Beirat mehr.
Das wiederum hat viel mit dem Selbstverständnis des CFFP zu tun. Das Zentrum macht sich für feministische Außenpolitik stark, die „die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt und das internationale Machtgefüge so ändern will, dass die Bedürfnisse aller Gruppen gesehen werden und Menschenrechte prioritär behandelt werden.“
Vor rund vier Jahren holte sich das CFFP einen Beirat mit wechselnder Besetzung zur Seite. Von Anfang an gehörten ihm internationale Schwergewichte der feministisch-politischen Szene an, darunter die indisch-US-amerkanische Professorin Chandra Mohanty und die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström.
Auch die britisch-iranische Direktorin des International Civil Society Action Network (ICAN), Sanam Naraghi Anderlini, sowie die US-Amerikanerin Kavita Nandini Ramdas, frühere Präsidentin des Global Fund for Women, waren Teil des Beirats. Man muss das in der Vergangenheitsform formulieren – denn beide haben den Beirat des CFFP kürzlich verlassen.
„Wir haben unsere Entscheidung aus einer Reihe von Gründen getroffen“, schreibt Ramdas dazu auf der Plattform LinkedIn. „Unter anderem, weil versucht wurde, uns hinsichtlich des Krieges in Gaza zum Schweigen zu bringen, und weil Mitglieder des Beirats schlecht behandelt wurden, was unserer Meinung nach im grundlegenden Widerspruch zu feministischen Werten steht.“
Einmal jährlich für rund eine Stunde, so erzählt es Lunz, habe sich der Beirat bislang beratend mit den beiden Geschäftsführerinnen getroffen: „Das sind Frauen, die die feministische Bewegung stark vorangebracht haben, die wir schätzen – die aber nicht automatisch richtungsweisend für uns sein müssen.“ Der Beirat habe keinerlei Rechte oder Verpflichtungen gegenüber dem CFFP. Zuletzt haben sich die Mitglieder im August mit den beiden Geschäftsführerinnen getroffen. Dort sei insbesondere von vier Mitgliedern die Forderung starkgemacht worden, das CFFP müsse sich stärker zu Nahost positionieren: Es müsse beispielsweise eine internationale feministische Allianz für Palästina bilden.
„Wir sind eine projektfinanzierte Organisation“, sagt Lunz am Donnerstag am Telefon, hörbar mitgenommen. Unter anderem kommen die Gelder von der Gates Foundation, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Microsoft sowie dem deutschen Außenministerium. „Wir pitchen einzelne Projekte, zum Beispiel zur Unterstützung von Überlebenden von Atomwaffentests oder zur Verteidigung von Frauenrechten in Afghanistan.“
Beirat löst sich auf
Zwar sei das Team international und intersektional besetzt. Aber zu Israel und Gaza habe man „weder regionale Expertise noch Netzwerke“. Auch wenn sich das CFFP kaum zu aktueller Politik äußere, habe es sich nach dem 7. Oktober 2023 immer wieder dazu positioniert, dass die Gewalt gegen Zivilist:innen enden müsse. „Bereits vor einem Jahr haben wir uns den internationalen Rufen nach einem Waffenstillstand angeschlossen und Regierungen, inklusive der deutschen, aufgefordert, alles dafür zu tun, den Krieg zu beenden“, sagt Lunz.
Das reichte einigen im Beirat nicht: Ramdas und Anderlini traten nach dem Treffen im August aus. Mit zwei weiteren beendete das CFFP seinerseits die Zusammenarbeit, weil es die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr gegeben sah. Nach der Eskalation auf der Konferenz in Berlin-Mitte im Oktober löste das CFFP den Beirat nun gänzlich auf und kündigte damit auch seinen beiden deutschen Mitgliedern, der SPD-Politikerin Sawsan Chebli sowie Selmin Caliskan, Ex-Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland.
Auch Chebli äußert sich dazu auf LinkedIn: „Wir bedauern, diesen Schritt nicht schon längst selber getan zu haben, denn die Diskrepanz zwischen erklärten Zielen und der Praxis innerhalb der Organisation sind immer weniger auszuhalten.“ Auch sie wirft dem CFFP vor, sich nicht zum „Horror in Gaza“ zu äußern und nicht wirklich „intersektional, inklusiv und auf konstruktive Weise konfliktfähig“ zu sein. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori stimmt ihr zu: „Scheinbar war mit Feminist Foreign Policy dann doch nur White Feminist Foreign Policy gemeint“, kommentiert sie.
Der Streit beim CFFP ist symptomatisch: Ähnliche Auseinandersetzungen um eine angemessene Haltung zum Terroranschlag der Hamas in Israel und dem darauf folgenden Krieg in Gaza werden derzeit in vielen deutschen Organisationen ausgetragen, die international vernetzt sind, insbesondere Frauen- und Menschenrechtsorganisationen. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung etwa und Amnesty International gab und gibt es hinter den Kulissen ähnliche Konflikte – unter anderem, weil die Organisationen mit internationalen Partner:innen zusammen arbeiten, darunter auch aus dem arabischen Raum. Nur selten aber brechen die Konflikte so offen aus wie jetzt beim Centre for Feminist Foreign Policy.
Dabei sei es völlig legitim, „wenn jemand es falsch findet, mit der deutschen Außenministerin auf einem Panel zu Femiziden zu sitzen – weil Deutschland nun mal Waffen nach Israel liefert“, sagt Lunz. Aber die Diskussion habe in den vergangenen Wochen die Ebene der inhaltlichen Kritik längst verlassen.
Auf Instagram postete das CFFP jüngst ein Statement. „Die Weigerung, der unnachgiebigen Aufforderung eines anderen nachzukommen, bedeutet nicht, ihn zum Schweigen zu bringen“, heißt es da. Vielmehr spiegele sie das Recht einer Person oder Organisation auf unabhängige Entscheidungsfindung wider. Das CFFP habe Mitglieder des Beirats nicht daran gehindert, ihre Meinung zur Lage in Gaza zu äußern. Aber es sei das Recht jeder Organisation, „ihre eigenen Positionen zu formulieren und zu entscheiden, auf welche Bereiche sie sich konzentrieren will“.
Was all das für das CFFP bedeutet, ist derzeit noch unklar. Mit den meisten Mitgliedern des Beirats, die nicht konkret am Konflikt beteiligt waren, sei man bilateral weiter in gutem Kontakt, sagt Lunz. Mit denen, die ausgetreten sind, gebe es derzeit keinen Austausch.
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