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starke gefühleLeute, die ständig ihre Privilegiertheit erwähnen, sind schnöde Selbstdarsteller!

Letztens musste ich an eine Situation in meiner ersten Uniwoche denken. Wir liefen in einer kleinen Gruppe von Erstis zur Vorlesung, und weil sich keiner kannte, kam mal wieder die klassischste aller Small-Talk-Fragen auf: Woher kommt ihr?

Niedersachsen, Schwaben, Hamburg – viele Orte waren vertreten, und alle antworteten brav. Eine Kommilitonin konnte es dabei aber nicht belassen. Sie, offenbar eine Berlinerin, sagte: „Ich komme aus Dahlem, bin also total privilegiert.“ Dahlem ist ein reicher Stadtteil, aber sie sagte es nicht hochnäsig, eher wie eine vorauseilende Entschuldigung. Ich war irritiert. Wieso musste dieser zweite Halbsatz sein, fragte ich mich. Hätte es nicht gereicht, einfach den Wohnort zu nennen, so wie es alle anderen auch taten?

Schon vorher war mir der in einem Nebensatz daherkommende Hinweis auf die eigenen Privilegien oft begegnet. Er grassiert nicht nur im akademischen Kontext, sondern liegt auch in linken Kreisen voll im Trend. In jedem politisch angehauchten Seminar fühlt sich irgendwann irgendwer dazu berufen, die eigene Privilegiertheit zu bekunden. Warum nur?

Sicherlich sind viele, die über Privilegien sprechen, um Gerechtigkeit bemüht. Sie weisen auch andere gerne – manchmal recht brüsk – auf deren Privilegien hin: „Du bist weiß!“, „Du bist reich!“, „Du bist hetero!“. und so weiter. Damit verbunden ist die Forderung, dass jeder hinterfragen sollte, aus welcher Perspektive er spricht und ob sich von diesem Standpunkt aus die Lebensrealität von weniger Privilegierten nachvollziehen lässt. Sinnbildlich dafür steht der Ausdruck „check your privileges“.

Darum geht es mir aber gar nicht. Ich ärgere mich über diejenigen, die ungefragt und in völlig unpassenden Situationen ihre eigenen Privilegien benennen – wie die erwähnte Kommilitonin. Wir steckten schließlich nicht mitten in einer Diskussion über Ungleichheit, wo ein solcher Hinweis vielleicht angebracht wäre, um die eigene Sprecherposition zu verdeutlichen. Wir führten belanglosen Small Talk. Und je länger ich über den Sinn und Zweck dieser nervigen Bekenntnisse nachdenke, desto durchschaubarer erscheinen sie mir: Den bekennenden Privilegierten geht es um schnöde Selbstdarstellung!

Ein harter Vorwurf, ich weiß. Aber die Strategie ist offensichtlich. In einem Nebensatz darauf hinzuweisen, dass man ja privilegiert sei, soll offenbar von erhabener Reflektiertheit zeugen. Die privilegierte Person will demonstrieren, dass sie ihre gesellschaftliche Stellung selbstverständlich bedacht hat – ganz so, wie es der Zeitgeist verlangt. Ihm oder ihr geht es darum, das eigene Reflektionsvermögen und Gerechtigkeitsbewusstsein zur Schau zu stellen.

„Virtue signaling“ nennt man es, wenn jemand sich für besonders reflektiert, für moralisch einwandfrei hält – und das auch zeigt

„Virtue signaling“ nennt man das, wenn Menschen versuchen, anderen ihre moralische Reinheit aufzuzeigen. Wer so reflektiert ist, so vor gedanklicher Reife strotzt – und das auch öffentlich zur Schau stellt –, dem kann man eigentlich nur gratulieren. Und genau das scheinen sich die bekennenden Privilegierten auch zu erhoffen. Sie würden am liebsten hören: „Wow, bist du reflektiert!“ Kurzum: Sie wollen nichts als prahlen.

Den Privilegienprotzern würde ich gerne ein beherztes „Nervt nicht!“ zurufen. Es ist peinlich, wie sie sich in ihrer ach so reflektierten Haltung suhlen. Nach meiner Erfahrung verkommt der Hinweis auf die eigenen Privilegien zudem häufig zu einer Art bourgeoisen Selbstbestätigung: Fängt einer damit an, folgen bald die nächsten, und am Ende hat sich der ganze Raum seiner Privilegiertheit versichert. Was das bringen soll, ist mir schleierhaft. Ignorieren scheint mir – wie bei allen Angebern – die beste Strategie zu sein. Nico Preikschat

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