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Die „Junge Welt“ von damalsAls ich Dr. Sommer des Ostens war

Die „Junge Welt“ war nach der Wende mal kurz aufregend. Das ist lange her und die Liebesgeschichte ist zu Ende.

Aus besseren Tagen: Stapel Junge Welt, 2013 Foto: Stefan Boness

D as mit der Liebe ist ja so eine Sache. Glücklich schätzen kann sich, bei wem sie ein Leben lang hält. Meistens aber wird sie enttäuscht, manchmal nach 20 Jahren, sehr häufig im berühmt-verflixten 7. Jahr, es gab auch schon Fälle, wo die Zuneigung nicht länger als eine Nacht anhielt. Die Gründe für das Schluss-aus-vorbei sind so unergründlich wie die Liebe selbst. Aber manchmal sind sie auch ganz klar.

Ich zum Beispiel war mal ganz doll verliebt in die Junge Welt. Unsere Liebe endete – der Klassiker – bitter. Aber der Reihe nach. Die Junge Welt war eine Zeitung in der DDR, bis 1989, als sich die Ostdeutschen aus der toxischen Beziehung zur DDR befreiten, das Zentralorgan der FDJ. Das Blatt hatte eine Auflage von 1,6 Millionen – ob das ein Indiz für bedingungslose Liebe der Ostdeutschen zur Jungen Welt war, ist heute nicht mehr eindeutig verifizierbar. Aber fragte man damals Leute, was sie in der Zeitung lesen, sagten sie: Mittwoch, Seite 6.

Das war lustig, weil auf Seite 6 Sex verhandelt wurde. Also ein bisschen, zu viel Schweinkram ging nämlich nicht in der Rubrik, die sich „Unter vier Augen“ nannte und weit entfernt war von Fragen an Dr. Sommer in der Bravo: Knallt es laut, wenn das Jungfernhäutchen platzt? Warum sind meine Schamlippen so schrumplig? Tut eine Intimrasur weh? Nicht so in der Jungen Welt, die suchte nach dem Klassenstandpunkt in der Liebe.

Kranzgeld

Der war ab 1990 egal, ich wurde Redakteurin, wir Jungen schmissen Altkader raus, machten jeden Tag eine kleine, feine Zeitung und planten abends in der Kneipe schon die vom nächsten Tag. Mehr Liebe ging nicht. Ich übernahm „Unter vier Augen“ – und wurde Dr. Sommer des Ostens. Ich war 25, hatte keine Ahnung und eine Kolumne. Im „Sexikon“ ging es um Kranzgeld, Missionarsstellung, Prostitution (für die Recherche stellte ich mich auf den Straßenstrich in der Oranienburger Straße in Berlin, ließ mich von Lude Karsten an­grapschen und von echten Prostituierten beschimpfen).

Liebe hin, Liebe her, ich machte Schluss mit der Jungen Welt. Wer heiratet schon seine erste Liebe? Wir trafen uns selten, wurden uns fremd und fremder. Und als sie mir hier wieder begegnete, in einem Text, der vom Grusel erzählt, fragte ich mich, was das damals mit uns war. Sie heißt jetzt jw, gleicht dem Flugblatt einer K-Gruppe, verharmlost islamistischen Terror, liebt Putin und rollt Egon Krenz, der mal Erster Sekretär der FDJ war, den roten Teppich aus. Zum Glück bin ich aus der Nummer raus. Schon lange.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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8 Kommentare

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  • Kann sich mal jemand als authentische(r) Leser:in melden (outen), was da an brauchbarer Info vor dem Digitalzeitalter so in Druckform geboten wurde? Der Rest zur "jw" ist mir vor dem Hintergrund der schönen humorvollen und authentischen Zeilen von Frau SimoneSchmollack als Autorin ziemlich (ugs) wumpe.



    "Bravo" stand in meinem Elternhaus !mütterlicherseits in der Pubertät auf dem "Index", da musste man Freunde aus liberaleren Elternhäusern haben.



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    "Jede Woche fiebern die Jugendlichen in den Anfangsjahren einer neuen Ausgabe entgegen. "'Bravo' war total genial, weil sie ja eigentlich verboten war" und "Es gab immer ein, zwei Leute in der Klasse, die sich das Heft gekauft haben, und das wurde rumgereicht. Weil sich das nicht jeder kaufen konnte", erinnern sich zwei Hamburgerinnen. "Bravo" war also immer auch ein Gemeinschaftserlebnis: über die Foto-Lovestorys kichern, sich mit der Freundin "Mein erstes Mal"-Geschichten ausdenken - lange bevor man selbst in die Verlegenheit kam - und endlich genau erfahren, was dieses ominöse Petting eigentlich ist. Damit man in der Schule mitreden konnte."



    Quelle



    www.ndr.de/geschic...ern-,bravo152.html

  • Das Bild, das auf die besseren Tage der jungen welt verweisen soll, ist von 2013. Da war die Zeitung schon restlos verloren.

  • Die Junge Welt war halt Überregional und hatte eher auch mal Themen für junge Leute. Mittwochs Seite 6, kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Ja, nach der Wende war die mal eine Weile spannend und gut. Ich hab dann gekündigt als die ganzen SED/PDS und Ex-NVAler wieder aus ihren Löchern zurück gekrochen kamen. Wundert mich immer noch das mit dem ND gleich zwei DDR Grusellinke-Blätter so lange überleben konnten.

    • @Mendou:

      "Mittwochs Seite 6, kann ich mich gar nicht mehr erinnern."

      Ich auch nicht. Eine Umfrage wäre schön, damit wir wissen, ob wir die Einzigen sind 😁

  • Die „Junge Welt“ versteht sich antimperialistisch aber verurteilt Putins morden und zerstören in der Ukraine nicht?



    Putin ist ein Mordauftraggeber und sonst noch einer der russisches Volksvermögen vernichtet.

    • @Tino Winkler:

      Die nicht antizionistisch, antisemitisch und antiamerikanischen Redaktionsmitglieder haben sich in den 1990ern abgesetzt und die jungle world gegründet.

  • Sie waren völlig falsch gelandet. Wer in der DDR etwas über Sexualität lesen wollte, griff zum "neuen leben" mit Professor Borrmann.

  • Aber es stimmt doch: Den oder die Erste(n), bei einem Nachrichtenorgan das Erste, vergisst man nicht. Gibt es denn "gemeinsame Nachfahren" als Hybride bei jw?



    Heute geht "viel Schweinkram" über alle Kanäle im Internet, ohne Beratung oder Moderation, die "guten alten Zeiten" sind passé.