DIE LIEBESERKLÄRUNG : Sexpertin
JUTTA RESCH-TREUWERTH, „DR. SOMMER“ DES OSTENS, IST TOT. SIE WAR EINE INSTITUTION DER ERNSTHAFTEN AUFKLÄRUNG
Für Millionen DDR-Teenies war sie die Kummerkastentante in Liebesdingen. Für mich war sie mehr: Kollegin, Mentorin, Beraterin. Jetzt ist Jutta Resch-Treuwerth mit 73 Jahren an Krebs gestorben.
Als wir uns das letzte Mal vor ein paar Jahren trafen, in ihrem Haus in Hohen Neuendorf bei Berlin, merkte ich ihr nichts an. Damals war sie schon krank. Wir sprachen über Sex und Beziehungen und darüber, wie beides Ost und West noch immer trennt. Ihre Beratungskolumne „Unter vier Augen“ („Dr. Sommer“ des Ostens) in der Tageszeitung Junge Welt kannte in der DDR jeder. Mehr als 20 Jahre füllte sie jeden Mittwoch die Seite sechs.
Irgendwann wollte sie mal wieder über etwas anderes schreiben als nur über Brüste, erste Liebe und Scheidungen. Sie suchte einen Nachfolger, sie wollte einen Mann. Doch die Kollegen zeigten ihr einen Vogel. Sie fragte mich. Ich zeigte ihr auch einen Vogel. Und besann mich rasch: Jutta Resch-Treuwerth ist die Nummer eins im Osten, das ist meine Chance.
So begann unsere Zusammenarbeit. Ich studierte noch in Leipzig, wir trafen uns regelmäßig. Sie gab mir Briefe, die ich statt ihrer beantwortete. Jeden Tag kamen bis zu 30 Hilferufe, alle bekamen Antwort. Dabei half auch eine weitere Kollegin in der Redaktion in Berlin.
Ich bereitete mich darauf vor, in ganz große Fußstapfen zu treten. Und wurde fortan von allen Freunden gefragt: Wir leben eine Fernbeziehung, haben wir eine Chance? Oder: Soll ich mit 22 ein Kind kriegen?
Als Jutta Resch-Treuwerth in der Wendezeit das Blatt verließ und ich kam, war alles anders. Die Zeitung erlebte zahlreiche Verlegerwechsel, „Unter vier Augen“ hatte mehrere AutorInnen. Ich war eine von ihnen, ich schrieb das „Sexikon“.
Jetzt ist wieder alles anders, jetzt ist es tatsächlich zu Ende. Ich bin traurig.
SIMONE SCHMOLLACK