Deutscher Ethikrat ist arbeitsunfähig: Ampel hat keine Zeit für Ethik
Weil die Bundesregierung keine neuen KandidatInnen vorschlägt, ist der Deutsche Ethikrat seit Monaten unvollständig. Die Geduld ist nun erschöpft.
„Es ist ärgerlich und nicht nachvollziehbar, warum das so lange dauert, die Ratsperioden sind ja bekannt und in den Vorjahren gab es keine Probleme“, sagt Judith Simon, Professorin für Ethik in der Informationstechnologie an der Universität Hamburg. Seit 2018 ist sie Mitglied des Ethikrates. Das Gremium berät die Politik in gesellschaftspolitischen Fragen und entwickelte etwa während der Corona-Pandemie Kriterien für eine Impfpflicht.
Dass der Ethikrat seit Wochen größtenteils arbeitsunfähig ist, liegt daran, dass die Bundesregierung es versäumt hat, Mitglieder rechtzeitig zu berufen. Die eigentlich 26 Mitglieder des Ethikrates werden je zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Bundestag vorgeschlagen und anschließend von der Bundestagspräsidentin für vier Jahre berufen. Die Amtszeit der Mitglieder beträgt maximal zwei Ratsperioden, also acht Jahre.
Der Deutsche Bundestag hat seine elf Kandidat:innen Ende April im Plenum beschlossen. Weil die von der Regierung benannten Neumitglieder feststehen müssen, konnten die vom Parlament gewählten Personen ihr Amt bisher nicht antreten. In der Folge finden seit Mai keine Sitzungen des Ethikrates statt.
Einmalig in der Geschichte des Rates
Das hat es in der Geschichte des Rates, der in seiner jetzigen Form seit 2008 existiert, noch nie gegeben. Bundestag und Bundesregierung hätten die Benennung der neuen Ratsmitglieder bislang immer rechtzeitig vorgenommen, sagt der Geschäftsführer des Ethikrates Joachim Vetter.
Simon findet es schade, dass „die Zeit ungenutzt abläuft für uns im Rat und jene, die neu berufen werden sollen.“ Ihr zufolge gibt es viele Nachfragen zu Publikationen wie Künstlicher Intelligenz oder Klimagerechtigkeit. Auch die letzte Tagung im Juni zum Thema Einsamkeit sei auf ein großes Interesse gestoßen.
„Wir vier Mitglieder übernehmen Funktionen des Ethikrates, doch an neuen Themen können wir in der jetzigen Form nicht arbeiten“, sagt Simon. Mark Schweda, ebenfalls Ethikratsmitglied, ergänzt: „Wir wollen die Arbeit wieder aufnehmen und unseren gesetzlichen Auftrag erfüllen.“
Auch Frauke Rostalski findet die aktuelle Situation ärgerlich. Die Strafrechtsprofessorin wurde von der FDP-Fraktion im Bundestag vorgeschlagen und anschließend vom Parlament gewählt, ist aber mangels Vorschlägen der Bundesregierung nur teilberufen für den Ethikrat – eine bislang einmalige Situation.
Wann der Rat endlich tagen kann: unklar
„Es ist für mich nicht nachvollziehbar und wird auch nicht transparent gemacht, was den Prozess der Benennung des neuen Rates seit so vielen Monaten aufhält“, sagt Rostalski. „Das ist misslich, weil uns Zeit verloren geht, in der wir uns wichtigen aktuellen Fragen widmen könnten.“ Sie wünscht sich, dass die Bundesregierung zeitnah über ihre Liste beschließt – „und wenn sie dies nicht tut, dann wäre es zumindest fair, offen zu kommunizieren, woran es liegt.“
Wann die Bundesregierung ihre Vorschläge einreicht, ist immer noch unklar. „Die Besetzungsvorschläge der Bundesregierung werden derzeit zwischen den Bundesressorts abgestimmt“, sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der taz.
Die konstituierende Sitzung für Oktober könnte auch ausfallen, wenn die Bundesregierung am kommenden Mittwoch keine Vorschläge für den Ethikrat einreicht. Das Gremium, das außerdem immer noch keine:n Vorsitzende:n hat, bleibt weiter arbeitsunfähig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein