der rote faden
: Es ist so weit: Endlich nicht mehr herumdrucksen

Foto: Anna Spindelndreier

Durch die Woche mit Lukas Wallraff

Papier ist geduldig, heißt es, und das Schöne ist: Es stimmt. Wenn Sie zum Beispiel gerade die wochentaz durchblättern, aber keinen Bock haben, jetzt ausgerechnet diesen Text zu lesen, dann können Sie das auch morgen tun. Oder übermorgen. Oder irgendwann. Er wartet hier auf Sie.

Die meisten, vor allem die jüngeren Menschen sind allerdings nicht ganz so geduldig wie Papier. Sie wollen sofort wissen, was auf der Welt los ist und was das um alles in der Welt schon wieder zu bedeuten hat. Es ist deshalb kein Wunder, dass immer weniger gedruckte Tageszeitungen verkauft werden. Mein Sohn fragte mich schon als kleiner Junge: „Papa, warum macht ihr eigentlich eine Zeitung für den nächsten Tag? Da steht doch immer nur drin, was am Tag davor passiert ist.“

Melancholie

Nun ja, ich wusste damals nicht so recht, was ich sagen sollte, schließlich hatte mein Sohn einen Punkt, dem man nicht widersprechen konnte. Wenn Kamala Harris im TV-Duell über Donald Trumps Behauptung lacht, dass Migranten die Haustiere von Amerikanern essen, kann eine deutsche Printzeitung sogar erst am übernächsten Tag davon berichten. Mit seiner berechtigten Frage zog mein Sohn aber unser bisheriges Geschäftsmodell in Zweifel, mit dem auch sein Taschengeld finanziert wurde. Also druckste ich herum und sagte, viele Menschen seien das Gedruckte eben so gewöhnt, wollten das so und bezahlten sicher weiter gern dafür. Ähm. Ich glaube, er hat gemerkt, dass ich es selbst nicht glaubte. Eine klare Antwort gibt ihm erst jetzt die taz, wenn sie am Wochenende bekannt gibt, wann die tägliche Printausgabe eingestellt wird.

Haustiere

Da kann man schon mal melancholisch werden. Ich habe Zeitungen geliebt, fast seit ich lesen konnte. Was darin stand, kam mir super spannend, frisch und neu vor, weil wir keinen Fernseher zu Hause hatten, geschweige denn ein Smartphone. Morgens habe ich meinen Eltern den Sportteil aus der Hand gerissen und auf dem Schulweg die boulevardeske Abendzeitung aus dem stummen Verkäufer geklaut, was ich jetzt gestehen kann, weil es die Nürnberger Abendzeitung schon lange nicht mehr gibt. Ich war eben jung, zeitungssüchtig und hatte kein Geld. Zur Strafe bekam ich nur einmal einen Verweis wegen „seelenruhigen Zeitunglesens im Unterricht“. Immerhin diente es der Berufsvorbereitung. Dass aus meinem Hobby mein Job wurde, empfinde ich als großes Glück. Also ja, der Abschied von der gedruckten tageszeitung fällt mir schwer. Aber das erhellende Gespräch mit meinem Sohn vor ein paar Jahren hat mir geholfen, mich auf diesen Moment vorzubereiten. Es ist auch beruhigend, dass viele Menschen in der taz, die deutlich geschäftstüchtiger sind als ich, schon deutlich früher mit den Vorbereitungen begonnen haben.

Unter den Rädern

Es hat keinen Sinn, unwiederbringlich Vergangenem nachzutrauern. Ist doch gut, dass man die taz digital schon abends lesen kann und im schnelleren Netzbetrieb Schlagfertigkeit gefragt ist, das war schon immer die taz-Stärke. Wenn die „VW-Belegschaft unter die Räder“ kommt, sitzt so ein schöner Titel am selben Tag noch besser, kriegt vielleicht sogar ein „Like“ von meinem Sohn. Und auf Menschen mit mehr Muße wartet auch die App geduldig.

Klopapier

Ja, Papier lässt sich ersetzen. Seine Halbwertzeit hat ohnehin abgenommen. Die Welt dreht sich zu schnell, um noch irgendetwas in Schriftsätzen festhalten zu können. Der Koalitionsvertrag der Ampel war praktisch sofort obsolet, als Putin die Ukraine überfiel. Auch im Parteiprogramm der Grünen stand nichts von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, schon gar nicht für Angriffe auf Gaza oder russisches Gebiet. Die Presseerklärungen von Innenministerin Nancy Faeser kann man gar nicht schnell genug ausdrucken, bevor die nächste gerade noch abgelehnte Verschärfung der Asylregeln wenig später doch verkündet wird.

Um da noch mitzukommen, hilft Papier wenig. So lieb es mir immer war, inzwischen ist es auch schlicht zu teuer, um es täglich zu verwenden. Unersetzbar ist eigentlich nur noch Klopapier. Und natürlich die wochentaz.

Nächste Woche: Ariane Lemme