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: Dann sollen sie doch

Die Forderungen von AfD und BSW sind realitätsfremd. Statt sich vor ihren Wagen spannen zu lassen, sollten die Demokraten sie lieber regieren lassen

Die CDU hatte 1953 plakatiert: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!“ Ziel war vor allem die Diffamierung der größten Oppositionspartei, die sich erst 1959 endgültig vom Marxismus verabschiedete. Die unterstellte Nähe zur Sowjetunion sollte dem Wähler einreden, in der SPD werde die Westbindung und der antitotalitäre Konsens der demokratischen Parteien der jungen Bundesrepublik in Frage gestellt: Die Regierung ließ sie, ohne das an die große Glocke zu hängen, geheimdienstlich ausspionieren, und ein Sieg dieser Partei, verkündete der Kanzler, sei „der Untergang Deutschlands“. Im Rückblick natürlich alles Quatsch.

Wenn heute das Gleiche über die AfD gesagt wird, so der gängige Duktus, sei das jedoch etwas ganz anderes: schließlich werden hier Gelder vom interessierten Ausland gezahlt und der Typ aus Thüringen, hat ja sogar ein Gericht erlaubt, darf straflos „Faschist“ genannt werden.

Die Dämonisierung des politischen Gegners ist üblicherweise das Kennzeichen autoritärer Regime, wie es die Bundesrepublik in den Fünfzigern anfangs tatsächlich war. Heute passt das allerdings eher zu Staaten wie Ungarn oder der Türkei, auf die wir sonst herabsehen, und blockiert das normale demokratische Procedere: dass nämlich großmäulige Ankündigungen von Frieden, Sicherheit usw. sich als leere Versprechungen erweisen, sofern es eine nicht staatlich gegängelte Öffentlichkeit gibt, die das kommuniziert. Diese Strategie kritischer Ent-Täuschung war in den USA, Brasilien und Polen erfolgreich, und auch bei uns konnte zum Beispiel der Spiegel einen AfD-Landrat gerichtlich dazu nötigen, die Nichterfüllbarkeit seiner Wahlversprechen offenzulegen.

Die Horrorvision dieser Tage ist der drohende Faschismus, sobald ein Herr Höcke Ministerpräsident geworden ist. Denn sicher wird er dann sofort Buchenwald wieder öffnen, Tausende „Remigranten“ dort festhalten und Putins Schergen ins Land holen. Der Kampf der Demokraten gegen Populismus wird so unnötig mit Endzeiterwartungen aufgeladen und damit kontraproduktiv: denn statt ihn zu demaskieren, multipliziert man nur den von Höcke selbst gepflegten Nimbus und hilft dabei, ihn zu dem aufzublasen, der er gern wäre.

Wie bei Adenauer mag zwar als griffige Wahlkampfparole taugen, jene Karte zu ziehen, die das absolut Böse anzeigen soll. Es zeigt jedoch, wie unrealistisch die Möglichkeiten von Politik überschätzt werden. Tatsächlich kann die Regierung eines Landes zwar täglich Aufreger produzieren, jedoch weder die Wirtschaft effektiv „steuern“ noch (wie 16 Kultusminister hinreichend bewiesen haben) wirksam beeinflussen, was an Schulen tatsächlich gelernt wird. Nicht einmal die Rückführung abgelehnter Asylbewerber ist ihr möglich, wenn Gerichte das für unzumutbar halten. Und kein markiges AfD-Wahlversprechen wird daran etwas ändern können. Was allen „Alt“-Parteien von rechts bis links daher tatsächlich helfen könnte, ist das öffentliche Eingeständnis, was (das heißt wie wenig) an Veränderungen heute überhaupt möglich ist, ohne noch weitere Schäden anzurichten.

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war in Essen Gesamtschul- und Gymna­sial­lehrer für Deutsch und Philosophie und ist seit 40 Jahren SPD-Mitglied.

Eine ernstzunehmende politische Konkurrenz muss entsprechend aufhören, so zu tun, als könne sie alles viel besser: Ein ehrlicher Konservatismus sollte vor allem Zweifel säen gegenüber jeder Form ideologischer Selbstgewissheit, nicht aber für doofe Wähler Sandmännchen spielen. Denn das Wenige, das Politik heute noch wirksam tun kann, wäre, den von niemandem steuerbaren gesellschaftlichen Wandel „so lange zu verzögern, bis er harmlos“ (oder zumindest erträglich) „geworden ist“. Das wusste bereits der englische Premierminister Lord Salisbury im 19. Jahrhundert.

Nicht nur im Osten, sondern überall in Westeuropa sind Populisten erfolgreich. Das liegt daran, dass überall da, wo die Kluft zwischen oben und unten weiter wächst und die vertraute Lebenswelt zerbröckelt, die alte SPD-Formel vom „Fortschritt“, bei dem auch für den „kleinen Mann“ immer etwas abfällt, nirgendwo mehr überzeugt.

Gerade die, die an die Möglichkeit eines besseren Lebens geglaubt hatten, neigen darum aus Verbitterung bis hin zur Bösartigkeit dazu, Parteien zu wählen, die hier radikale Lösungen versprechen, wobei sie zwischen rechts und links ziellos umherirren: ob Le Pen oder Mélenchon ist dabei Jacke wie Hose. Und solange sie nicht – wie beim Brexit – am eigenen Leib verspüren, was dabei herauskommt, werden sie auch dabei bleiben. Die Neigung linker Intellektueller, sich als Vormünder solcher „Protestwähler“ aufzuführen, verhindert dabei zuverlässig, dass sie selbst etwas lernen.

Was all diese Leute umtreibt, hat mit Politik jedoch wenig zu tun: Es ist die Suche nach dem archimedischen Punkt, von dem aus sich für alle verbindlich Gut und Böse, richtig und falsch unterscheiden ließe. Das Ergebnis ist ein nach Reinheit strebender Moralismus, der sich selbst immer auf der richtigen Seite wähnt.

Ein „Kessel Buntes“ als Regierung führt nur dazu, dass die AfD in fünf Jahren die absolute Mehrheit erreicht

Ich schlage daher vor, in Thüringen nicht nur zu riskieren, sondern sogar zu provozieren, dass Höcke im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt wird – gerade dann, wenn das BSW an alle demokratischen Parteien weiterhin unerfüllbare Bedingungen für eine Koalition stellt. Ein „Kessel Buntes“ aller anderen dürfte als Regierungskoalition nämlich kaum besser funktionieren als die Berliner Ampel und riskiert, dass die AfD in fünf Jahren die absolute Mehrheit erreicht. So aber kann die Mehrheit im Landtag die Regierung jederzeit vor sich hertreiben.

Sowohl BSW als auch AfD propagieren eindeutige und einfache Lösungen, die es in einer komplexer werdenden Welt niemals geben kann. Das wird aber erst dann sichtbar, wenn diese Politiker genötigt werden, die bequeme Rolle einer stets besser wissenden Opposition zu verlassen und zum Beispiel zeigen müssen, wie sie es von Dresden und Erfurt aus schaffen wollen, uns Frieden und billiges Gas zu bescheren.