Bildungspolitik in Berlin: Neues Schuljahr, alte Probleme

Berlins Schulen kämpfen weiter mit Bildungsqualität, für mehr Schulplätze und gegen Lehrer*innenmangel. Die Schulsenatorin sieht erste Erfolge.

Freut sich über das Startchancen-Programm: Philipp Lorenz, Schulleiter der Wedding-Schule (rechts im Bild) Foto: Fabian Sommer / dpa

BERLIN taz | Wenn es nach dem Leiter der Wedding-Schule geht, könnten Schü­le­r*in­nen seiner Grundschule bald in kleinen „Lese­inseln“ oder „Waben“ lesen, rechnen oder für sich lernen. Solche Möbel nennt er als Beispiel für Maßnahmen, die er gern aus Geldern des Startchancen-Programms finanzieren würde. Seine Schule ist eine von 59 in Berlin, die in einer ersten Tranche bei dem auf zehn Jahre ausgelegten Bund-Länder-Programm mit mehr Geld für Schulsozialarbeit, Schulbau und Unterrichtsentwicklung mitmacht. Es soll die hohe soziale Ungleichheit in Deutschland verringern. In Berlin sind insgesamt 160 Schulen eingeplant.

„Was genau wir mit den Geldern machen, das wollen wir an der Schule gemeinsam entscheiden“, sagt Schulleiter Lorenzen. Auch die Schü­le­r*in­nen will er mit ihren Ideen und Wünschen mit einbeziehen. Dabei ist noch nicht klar, wie viel Geld der Wedding-Schule zur Verfügung stehen wird. Lorenz rechnet mit einer Größenordnung von mehr als 100.000 Euro pro Jahr.

Klar ist bereits jetzt, dass die Schule das sogenannte „Leseband“ einführen wird. Das bedeutet, dass alle Kinder 15 bis 20 Minuten pro Tag mit Lesen verbringen und die Leh­re­r*in­nen sie dabei unterstützen. Einzelne Schulen in Berlin haben das „Leseband“ bereits erprobt, die Senatsverwaltung für Bildung macht es an den Startchancen-Schulen nun verpflichtend. „Wir setzen das für alle in der fünften Stunde um“, sagt Lorenz. Egal welcher Unterricht, in dieser Zeit würden alle lesen: teils still für sich, teils auch als gegenseitiges Vorlesen in Partnerarbeit.

Außerdem wird es an der Schule eine Fachleitung für Deutsch geben, die Leistungsdaten der Schü­le­r*in­nen sammeln und überprüfen wird und die Unterrichtsentwicklung vorantreiben soll. Dieser neu geschaffene Posten soll zukünftig an allen Grundschulen für Deutsch und Mathe eingerichtet werden. Die Schulleitungen könne das sehr entlasten, hofft Lorenz.

Schulstart Am Montag beginnt in Berlin das neue Schuljahr. Nach vorläufigen Daten der Bildungsverwaltung lernen an den allgemeinbildenden Schulen nach Ende der Sommerferien etwa 404.000 Schüler*innen und damit rund 7.000 mehr als im vergangenen Jahr. So viele waren es zuletzt vor 25 Jahren.

Einschulung Die Zahl der Schulanfänger*innen ist dabei in etwa so hoch wie im Vorjahr: Rund 37.000 Erstklässler*innen werden am 9. September eingeschult - eine Woche nach dem allgemeinen Schulstart.

Schulplätze Laut Verwaltung fehlen aktuell rund 27.000 Schulplätze und knapp 700 Vollzeitlehrer*innen. Konkret heißt das: Die Schulen werden sehr voll. (usch)

Lesen und Rechnen stärken

Für Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) sind die Funktionsstellen und das Leseband zentrale Maßnahmen, um die Bildungsqualität zu stärken. Das Startchancen-Programm sei dafür „ein zentraler Baustein“. „Jedes Kind sollte die Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen erreichen“, betont sie am Mittwoch bei einer Pressekonferenz zum neuen Schuljahr in der Wedding-Schule. Folgen soll im Schuljahr 2025/26 das „Matheband“, also die täglichen 20 Minuten Beschäftigung mit Mathematik.

„Bildung war, ist und bleibt für Berlin oberste Priorität“, sagt Günther-Wünsch. Neue Schulplätze schaffen, die Bildungsqualität steigern und den Leh­rer*­in­nen­man­gel bekämpfendas blieben auch im kommenden Jahr ihre wichtigsten Ziele. Auf dem Weg dahin sieht sie bereits erste Erfolge: „Beim Schulneubau sind wir am Beginn einer Trendwende“, sagt die Senatorin, Tempo und Umfang müssten aber unbedingt beibehalten werden, trotz leerer Kassen. Denn Berlin hat mit mehr als 400.000 Schü­le­r*in­nen aktuell eine Marke überschritten, die zuletzt vor 25 Jahren so hoch lag. „Und damals hatten wir 100 Schulen mehr als heute“, sagt Günther-Wünsch. „Die Herausforderungen bleiben groß, und die Verantwortung auch.“

In Bezug auf den Leh­rer*­in­nen­man­gel sieht die CDU-Politikerin Erfolge durch die wieder eingeführte und inzwischen beschleunigt durchgeführte Verbeamtung. Um Sei­ten­ein­stei­ge­r*in­nen eine Perspektive zu bieten, will die Senatorin es diesen ermöglichen, sich auch nur mit einem Schulfach zur vollwertigen Lehrkraft weiterzubilden. Bisher war das nur mit zwei Fächern möglich, eine Diplom-Biologin hätte dann ein zweites Fach nachstudieren müssen. „Wir wollen auch diese Menschen im System halten“, sagt Günther-Wünsch.

Mit einem Runden Tisch aus Verwaltung und Schul­lei­te­r*in­nen will die Senatorin außerdem Ideen erarbeiten, wie Leh­re­r*in­nen zukünftig besser auf die Schulen aufgeteilt werden können. Die Unterschiede sind teils sehr groß: Während einige Schulen alle Stellen besetzt haben, haben andere große Lücken, und auch die Anteile an voll ausgebildeten Leh­re­r*in­nen klaffen teils stark auseinander.

Mangel schöngerechnet?

Die bisherigen Möglichkeiten, Leh­re­r*in­nen gezielt an Schulen mit besonders großem Bedarf zu schicken, hatte Günther-Wünsch im vergangenen Jahr aufgehoben. Dass sie nun wieder steuernd eingreifen will, das begrüßte der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Norman Heise. „Das ist ein Prozess, den sie wohl durchleben musste, es geht aber nicht ohne Steuerung“, sagte er, und dass eine gerechtere Verteilung der Leh­re­r*in­nen ein wichtiger Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit sei. Sorgen hingegen bereitete ihm die Haushaltslage sowie die Diskussion um das kostenlose Schulessen und abgesenkte Standards beim Schulbau.

Die Linke, die Grünen und die GEW kritisierten, dass die Senatorin den Leh­rer*­in­nen­man­gel schönrechnen würde. Anstatt der 690 von der Senatorin genannten Vollzeitstellen würden rund 1.500 volle Leh­re­r*in­nen­stel­len fehlen, erklärten Grüne und Linke. Außerdem merkten sie kritisch an, dass der Anteil der Leh­re­r*in­nen ohne Lehramtsausbildung weiter gestiegen sei. Günther-Wünsch wies diese Vorwürfe zurück: Die Vorgängerkoalition habe den Bedarf unermesslich gesteigert und dadurch ein „schwarzes Loch“ erzeugt. „Wir müssen mit den Leh­re­r*in­nen arbeiten, die wir haben“, sagte sie.

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