Lehrer*innenmangel in Berlin: Niemand will ins Grüne
An vielen Schulen in Marzahn-Hellersdorf ist die Mehrheit der Lehrer*innen nicht voll ausgebildet. Der Ruf nach Steuerung wird lauter.
„Wir sind an einem Punkt, wo der individuelle Wunsch von Lehrer*innen an einer bestimmten Schule zu unterrichten einer Unterversorgung ganzer Regionen gegenübersteht“, sagt Maja Lasić, die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, der taz. „Deshalb können wir nicht mehr darauf verzichten, zwischen Regionen auszugleichen.“
Konkret sollte der Senat alle, die ihr Referendariat gerade abgeschlossen hätten oder die neu nach Berlin kämen erst mal einer Schule mit Mangel zuweisen, fordert Lasić. Auch für Lehrer*innen, die einen Antrag auf Schulwechsel gestellt hätten, böte sich das an.
„Eine Lösung könnte sein, dass Lehrer*innen dann erst mal für 3 Jahre an eine Schule in Marzahn-Hellersdorf oder Spandau versetzt werden, bevor sie einen Platz an ihrer Wunschschule bekommen“, sagt Lasić. „In Zeiten des Mangels muss man entscheiden, wie die Lehrer*innen am gerechtesten aufgeteilt werden können.“ Von Zwangsversetzungen wollte sie nicht sprechen – das könne aber der allerletzte Schritt sein.
Senatorin setzt auf „Klebe-Effekte“
Im Mai hatte 2023 hatte die damals neu ins Amt gekommene Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) jegliche Steuerung bei der Besetzung von freien Lehrer*innenstellen abgeschafft. Sie wolle lieber auf den von „Klebe-Effekt“ setzen, sagte sie. Also darauf, dass Referendar*innen, die etwa an einer Schule in Marzahn ausgebildet werden, dadurch eine Beziehung zu der Schule aufbauen und sich womöglich aus freien Stücken für eine feste Stelle dort entscheiden.
Schulleiterin Jehniche glaubt nicht an den „Klebe-Effekt“: „Bei uns kommen gar keine Referendare an.“ 2015 hätten sie zum letzten Mal einen gehabt, danach nur noch Quereinsteiger*innen und Student*innen. „Unsere Schule ist vielen dann doch zu abgelegen, und zu problembehaftet“, sagt Jehniche.
In Marzahn-Hellersdorf sei die Situation „dramatisch und ungerecht“, sagt Marion Hoffmann (SPD), Vorsitzende des dortigen Schulausschuss. In einer Schule seien sogar 70 Prozent der Lehrer*innen nicht fertig ausgebildet. „Da muss man nachsteuern“, fordert sie.
„Wenn eine Mehrheit der Lehrkräfte in Ausbildung ist, ist die Frage, wann ein Kollegium kippt“, sagt auch Norman Heise, der Vorsitzende des Bezirks-Elternausschusses Marzahn-Hellersdorf. Mit Ausnahme der Gymnasien sei fast jede Schule im Bezirk unzureichend ausgestattet, also die Stellen für Lehrer*innen seien zu deutlich weniger als 95 Prozent besetzt. Auch er spricht sich daher klar für Steuerung aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett