Bildungsgerechtigkeit in Berlin: Am Stadtrand besonders mangelhaft
In Berlins Außenbezirken fehlen deutlich mehr Lehrer*innen als in der Innenstadt. Der Senat sollte die Schulen dort daher besonders gut ausstatten.
A m Berliner Stadtrand wird Bildungsgerechtigkeit klein geschrieben. Denn es zeichnet sich ab: Je weiter vom Zentrum entfernt Schulen liegen, umso größer ist der Lehrer*innenmangel. Zahlen aus Marzahn-Hellersdorf offenbaren einen im Vergleich zur Innenstadt komplett unterversorgten Bezirk. Hier gibt es besonders viele Schulen, an denen weniger als 95 Prozent der Lehrer*innenstellen besetzt sind. Und: An den Schulen des Bezirks arbeiten im Vergleich besonders viele (noch) nicht voll ausgebildete Lehrer*innen.
Besonders hart trifft es die Grundschulen: Von 94 zum Schuljahr 2023/24 neu besetzten Vollzeitstellen konnten nur 14 mit vollausgebildeten Grundschullehrer*innen besetzt werden. Die restlichen verteilten sich auf Quereinsteiger*innen in unterschiedlichen Ausbildungsgraden und auf sonstige Lehrkräfte. Für die Schüler*innen ist das besonders ungerecht, weil ja gerade an den Grundschulen auch Grundlagen gelegt werden.
An einigen Schulen entsteht so eine Unwucht. Denn letztlich qualifizieren ja auch die fertig ausgebildeten Kolleg*innen die Quereinsteiger*innen. Wenn die Hälfte oder mehr als die Hälfte des Kollegiums aus auszubildenden Lehrer*innen besteht, ist es sehr fragwürdig, inwieweit diese von den erfahrenen Kolleg*innen sinnvoll angeleitet werden können. Diese Situation wird sich absehbar noch verschärfen, weil es ja auch die ausgebildeten Lehrer*innen sind, die pensioniert werden und dann ausscheiden.
Aber warum greift der Senat hier als Arbeitgeber*in nicht ein?Anscheinend traut sich niemand so richtig, Lehrer*innen an vermeintlich unbeliebte Schulen zu schicken. Obwohl – oder gerade weil – Berliner Lehrer*innen ja nun auch wieder verbeamtet werden. Staatsdienst bedeutet offenbar noch lange nicht, dass der Staat auch lenken kann. Bei Zwang bestehe die Gefahr, dass die so gesteuerten Lehrpersonen sich dauerhaft krank meldeten oder nach Brandenburg abwanderten, heißt es immer wieder.
Steuerung abgeschafft
Die vorherige Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) hatte verfügt, dass die Schulen ihren Bedarf an Lehrer*innen in Zeiten allgemeinen Mangels nicht zu 100 Prozent ausschöpfen konnten. So sollten überall Stellen offen bleiben. Die amtierende Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat sogar das Wenige, was dadurch an Steuerung möglich war, noch zurückgenommen. Stattdessen spricht sie von „Klebe-Effekten“: Also der Vorstellung, dass Referendar*innen an den Schulen, an denen sie ausgebildet werden, auch später gern arbeiten wollen.
Solche Klebe-Effekte sind allerdings bisher vor allem Wunschdenken. Statt sich in der Frage die Kapitäninnenmütze aufzusetzen, lässt die Senatorin die Bildungsgerechtigkeit dahindümpeln. Aktuell hat der Senat in dieser Frage faktisch kapituliert. Eine Schulleiterin aus Spandau gab an, seit mehreren Jahren gar keine Referendar*innen mehr an der Schule zu haben. Dort ist der Mangel ähnlich groß wie in Marzahn-Hellersdorf. Letztlich ist das extrem ungerecht für die Kinder, bei denen nun der Wohnort mit darüber entscheidet, wie gut sie gefördert werden. Hier nicht gegenzusteuern bedeutet schädliche Untätigkeit.
Geld statt Kleber
Auf Freiwilligkeit zu setzen ist trotzdem richtig. Doch anstatt Kleber sollte die Senatsverwaltung Geld in die Hand nehmen. Denn eine Schule, die besonders gut ausgestattet ist, ist für Lehrer*innen auch bei längerem Anfahrtsweg attraktiv. Wenn das Geld dafür da ist, Ideen umzusetzen, wenn genug Zeit da ist, um intensiv pädagogisch zu arbeiten, können das viel gewichtigere Argumente für eine Schule sein als deren Lage. Ein Kollegium, dass die Muße hat, über pädagogische Schwerpunkte nachzudenken, zieht auch andere engagierte Lehrer*innen an.
Gerade einer CDU-Politikerin liegt das Denken in Anreizen eigentlich nah. Daher wäre auch genau das der Punkt, an dem die Senatsverwaltung nun sinnvoll ansetzen könnte. Mit gut finanzierten Ideen könnte die Senatorin zeigen, dass sie es ernst meint, wenn sie sagt, dass kein Kind zurückgelassen werden darf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“