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ALLES oder NICHTS
"Heute spaltet Joe Bidens Haltung zum Gazakrieg den progressiven Flügel: Nicht nur die an den Unis protestierenden jungen Linken können sich nicht vorstellen, ihre Stimme einem „Völkermörder“ zu geben. Auch große Teile der arabischstämmigen Wähler*innen in wichtigen Staaten wie Michigan winken wütend ab."
Genau das bildet das Elend der Linken, Linksliberalen ab.
Diese "jungen Linken" sind ja gar nicht links, sie sind die Vorhut der antiwestlichen, antiemanzipatorischen Kräfte, die Israel und den Universalismus in die Tonne treten wollen.
Es ist schrill und wird die Affekte des Forums flugs wachrufen, aber für Israel wäre es besser, Trump würde gewinnen.
Die Trump-Republikaner sind sich halt nicht zu schade, die negativen Auswirkungen der Globalisierung für die Amerikaner zu thematisieren (egal, wie ernst die das meinen). Dafür steht halt auch die Kandidatur von Vance. Die Demokraten dagegen sind das Synonym für Globalisierung. Der linke Flügel ist völlig domestiziert, Sanders nur noch ein Schatten seiner selbst, seit ihn Obama in den Vorwahlen 2020 hinter den Kulissen ausmanövriert und Biden die Kandidatur ermöglicht hat. Die Progressiven haben sich untergeordnet und gar nichts erreicht. Jetzt können sie auch nicht mehr die Kohlen aus dem Feuer holen. Es ist bezeichnend, dass bisher keiner von ihnen öffentlich Biden den Rückzug nahgelegt hat, sondern die alten Platzhirsche das erledigen.
Globalisierungskritik kommt mittlerweile weit vernehmlicher von rechts (ob aufrichtig oder nicht, ist hier nebensächlich); die Progressiven haben sich in ihren kosmopolitischen Idealen verfangen bzw. sie haben sich den zentristischen Strukturen, die in in den westlichen linken Parteien etabliert wurden, angepasst. Für Angriffe haben sie keine Kraft mehr.
Die US-Demokraten müssen es bis zu ihrem Parteikonvent im August schaffen, eine/n überzeugende/n, zugleich mitreißende/n Kandidaten*in zu präsentieren … dafür ist nicht mehr viel Zeit. Fest steht lediglich, dass Biden jetzt schon Geschichte ist.
Und dann ist fraglich, ob es den Demokraten gelingt, bis zum November das Ruder noch einmal herumzureißen.
Alles hängt von der Convention ab, die Show muss (wie jetzt bei den Reps in Milwaukee) perfekt „sitzen“ - aus europäischer Sicht mag man einen solchen Politikstil bzw. Inszenierung beklagen, es gilt jedoch, die amerikanischen Wähler emotional anzusprechen.
Ohne Mut zum Populismus wird auch der/die neue demokratische Trump-Herausforder*in keine Chance haben.
"Eine demokratische Partei, die das ernst nimmt, muss jetzt endlich handeln."
Ja müsste. Aber noch sonnt man sich im Weißen Haus in der eigen, eingebildeten Großartigkeit.
Ein Gericht hat die Abschiebung von Mehdi Nimzilne verboten – doch Sachsens Behörden ignorierten den Beschluss offenbar. Jetzt sitzt er in Casablanca fest.
Perspektiven für die Demokraten: Einzige Chance: Angriff
Die Situation der Demokraten ist nicht aussichtslos, denn Trumps Programm ist angreifbar. Aber dafür müssen sie das Ruder herumreißen – und zwar jetzt.
Nach dem Ende des republikanischen Nominierungsparteitags sieht alles danach aus, als sei es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Joe Biden die erneute Kandidatur aufgibt Foto: Christophe Petit Tesson/epa
Es gibt in US-Wahljahren immer den Spruch, ein paar Wochen seien eine Ewigkeit, alles könne passieren. In diesem Jahr ist das die einzige Hoffnung der Demokrat*innen. 16 Wochen sind es noch bis zum Wahltermin am 5. November, schon im September beginnt in einigen Bundesstaaten das Early Voting, und Stand jetzt werden Donald Trump und seine Republikaner*innen einen fulminanten Sieg einfahren mit guten Chancen, das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses zu kontrollieren.
Das Drama seit der katastrophalen TV-Debatte Ende Juni – auch diese drei Wochen fühlen sich an wie eine Ewigkeit – hat die Perspektive der Demokrat*innen von „schwierig“ zu „aussichtslos“ verändert. Ob sie eine Chance haben, wenn sie jetzt das Ruder herumreißen, ist offen. Aber wenn sie es nicht tun, ist die Niederlage garantiert.
Zum Zeitpunkt, da dieser Text entsteht – einen Tag nach dem Ende des republikanischen Nominierungsparteitags in Milwaukee –, sieht alles danach aus, als sei es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Joe Biden so weit ist, die erneute Kandidatur aufzugeben. Das ist die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für eine Wende.
Nicht nur die an den Unis protestierenden jungen Linken können sich nicht vorstellen, ihre Stimme einem „Völkermörder“ zu geben.
Denn während die Republikaner*innen auf einem strategisch klug choreografierten und sehr stolperfreien Parteitag glaubhaft Energie und Einheit hinter ihrem Kandidatenduo und ihren Kernbotschaften ausstrahlten, müssten die Demokrat*innen so etwas bis zu ihrer eigenen Convention in einem Monat erst einmal hinbekommen. Mit Biden ist das unmöglich. Und dafür, wie es ohne ihn zu schaffen ist, gibt es keine Blaupause, keine historischen Vorbilder. Manchmal sind ein paar Wochen denn doch keine Ewigkeit.
Zumal die Partei ja nicht nur über die altersbedingten Ausfälle Joe Bidens verzweifelt und gespalten ist.
Den linken Flügel mobilisieren
Der Schlüssel zum Wahlsieg 2020 war es, anders als 2016 den progressiven Flügel der potenziellen Wähler*innenschaft an die Wahlurne zu bringen. Der linke Senator Bernie Sanders, Idol der progressiven Bewegung, der 2016 gegen Hillary Clinton und 2020 gegen Joe Biden die Vorwahlen verloren hatte, sorgte damals entschieden mit dafür, dass seine Anhänger*innen nicht wie 2016 zu Hause blieben.
Heute spaltet Joe Bidens Haltung zum Gazakrieg den progressiven Flügel: Nicht nur die an den Unis protestierenden jungen Linken können sich nicht vorstellen, ihre Stimme einem „Völkermörder“ zu geben. Auch große Teile der arabischstämmigen Wähler*innen in wichtigen Staaten wie Michigan winken wütend ab.
Bidens Versuche, Israel gleichzeitig zu unterstützen und zu ermahnen, überzeugen sie nicht – nicht einmal in dem Wissen, dass sie so zu einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps beitragen, der schon in seinen ersten vier Jahren alle Siedlungs- und Annexionspläne der rechten Netanjahu-Regierung enthusiastisch unterstützte. Dass die wahrscheinlichste Ersatzkandidatin, Vizepräsidentin Kamala Harris, in der Gazafrage eine andere Position vertreten würde, ist nicht bekannt.
Und wer die Rede des frischgekürten republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J. D. Vance aufmerksam verfolgt hat, wird darin vieles von der Beschreibung der Situation der Working Class in den einstigen Industriehochburgen der USA wiederfinden, die Bernie Sanders der demokratischen Führung seit Jahren vergeblich nahezulegen versucht: Wenn ihr den Leuten sagt, der Wirtschaft ginge es großartig, die Menschen aber nicht mal wissen, wie sie ihre Miete, Zinsen, Lebensmittel und Benzin bezahlen sollen, glauben sie euch nicht. Ob die Gegenseite überzeugende Lösungsvorschläge hat – hat sie nicht –, wird da zweitrangig.
Personalrochade und Angriff
Vergeblich versuchte Bernie Sanders, den Demokraten die Situation der Working Class nahezubringen, wie sie J. D. Vance beschreibt.
So bleibt den Demokrat*innen die Hoffnung, mit neuem Spitzenpersonal die Debatte davon wegzuführen, dass der eigene Kandidat kaum eine Gangway hinauf- oder hinabsteigen kann, ohne, dass man sich Sorgen um ihn macht und sich ohne Teleprompter nicht einmal an den Namen seines eigenen Verteidigungsministers erinnert.
In einem zweiten Schritt müssen sie dann zum Angriff übergehen. Denn bei aller Kreide, die die Republikaner*innen bei ihrem Parteitag unmittelbar nach dem Attentat auf Trump gefressen hatten, ist ja tatsächlich alles wahr, was die Demokrat*innen über Trumps Pläne und das von der rechten Heritage Foundation ausgearbeitete „Project 2025“ sagen:
Es ist ein Plan für einen Autoritätsstaat ohne rechtsstaatliche Leitplanken, mit einem Geschlechterbild aus den 1950er-Jahren, einer Abkehr von jeglichem Umwelt- oder Klimaschutz, Multilateralismus und dem Grundrecht auf Asyl, um nur die gravierendsten Punkte zu nennen. Eine demokratische Partei, die das ernst nimmt, muss jetzt endlich handeln.
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US-Wahl 2024
Kommentar von
Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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