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Expertenrat für KlimafragenDeutschland nicht auf Klimazielkurs

Minister Habeck feierte es im März als großen Erfolg: Deutschland stehe beim Klimaschutz gut da. Jetzt widerspricht ihm ein wichtiges Gremium.

Deutschland verfehlt seine Klimaziele, u.a. im Verkehrssektor gibt es zu viel Treibhausgas-Emissionen Foto: Frank Sorge/imago

Berlin dpa | Anders als Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck sieht das wichtigste Klima-Expertengremium der Bundesregierung Deutschland nicht auf Kurs beim Klimaschutz. Man gehe von einer Verfehlung des Treibhausgas-Minderungsziels für das Jahr 2030 aus, erklärte der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, in einer am Montag in Berlin veröffentlichten Mitteilung. In einem rund 130 Seiten umfassenden Sondergutachten hat der Expertenrat die Projektionen, also Vorausberechnungen, des Umweltbundesamts (UBA) überprüft.

Habeck (Grüne) hatte Mitte März erklärt: „Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030.“ Das sieht der Expertenrat anders. Bis zum Jahr 2030 soll der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen laut Klimaschutzgesetz um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bis 2040 sollen es mindestens 88 Prozent sein und 2050 soll Deutschland klimaneutral sein – also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als auch wieder gebunden werden können.

„In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus“, erklärte Henning.

Warum der Expertenrat pessimistisch ist

Zwar würde laut den von Habeck im März verkündeten UBA-Projektionen Deutschland knapp innerhalb des gesetzlich erlaubten Budgets an Treibhausgas-Emissionen bleiben. Der Expertenrat erwartet aber nicht, dass es so kommt und nennt dafür zwei Gründe.

Erstens fehlten bei den Projektionsdaten Angaben zur Wahrscheinlichkeit, dass sich der Treibhausgas-Ausstoß tatsächlich so entwickelt wie angenommen. Anhand eigener Berechnungen geht der Expertenrat davon aus, dass nicht von einer Erreichung des 2030-Ziels ausgegangen werden sollte – auch wenn zu erwarten sei, dass die Emissionen erheblich sinken. Die vorausberechneten Emissionen in den Bereichen Energie, Gebäude und Verkehr sowie mit Einschränkungen auch in der Industrie wurden nach Einschätzung der Fachleute unterschätzt.

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Das wiederum führt der Expertenrat auf den zweiten Grund zurück: wichtige Entwicklungen, die in die Berechnungen des Umweltbundesamts nicht eingeflossen sind. Habecks Optimismus beruhte auf teils überholten Annahmen, wie Kri­ti­ke­r:in­nen schon im März anmerkten. Denn in die Berechnungen waren nur Daten bis zum Oktober 2023 eingeflossen.

Doch erst danach wurde – unter dem Sparzwang des Karlsruher Haushaltsurteils – der wichtige Energiewendetopf Klima- und Transformationsfonds zusammengestrichen. Der Expertenrat verweist auf diese Kürzungen, aber auch veränderte Markterwartungen für Gaspreise und Zertifikatspreise im europäischen Emissionshandel. Im Emissionshandel können Unternehmen mit Rechten zum Ausstoß von Treibhausgasen (Zertifikaten) handeln.

Fachleute mahnen Regierung zum Handeln

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen mahnen die Bundesregierung zum Handeln – auch wenn das jüngst vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete neue Klimaschutzgesetz erst dann eine politische Nachsteuerung vorsieht, wenn die Daten in zwei Jahren nacheinander eine Verfehlung der Klimaziele erwarten lassen.

Der Expertenrat ist ein Wissenschaftler-Gremium. Die Mitglieder werden für eine Dauer von fünf Jahren von der Bundesregierung berufen und arbeiten unabhängig. Zu seinen Aufgaben laut Bundesklimaschutzgesetz gehört die jährliche Prüfung der vorläufigen Daten des Umweltbundesamts zum Treibhausgas-Ausstoß des Vorjahres. Alle zwei Jahre legen die Ex­per­t:in­nen auch ein Gutachten vor, in dem es unter anderem um die Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen zur Erreichung der deutschen Klimaziele geht.

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12 Kommentare

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  • @RUDI HAMM

    Die hätten auch mal gerne bei der FDP auf Vertragstreue pochen können *hust* Wissing *hust*.

  • taz: Habeck (Grüne) hatte Mitte März erklärt: „Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030.“

    "Klimaschutz"minister Robert Habeck hat wohl in der Ampel schon zu viel FDP-Luft eingeatmet, oder wie kommt sonst so ein absurder Satz zustande? Sind wir ehrlich, denn wir werden mit so einer "Politik" nicht einmal 2130 unsere Klimaziele erreichen. Wir verfeuern immer noch Kohle, die CO2-Autoindustrie läuft auf Hochtouren, es sollen noch mehr Autobahnen gebaut werden und unsere "Volksvertreter" erzählen weiterhin dem Bürger, dass wir noch mehr klimaschädliches Wirtschaftswachstum brauchen, weil sonst nämlich alles 'den Bach heruntergeht'. Tja, den Bach geht es demnächst wohl ordentlich herunter, denn es fängt ja jetzt schon mit Überschwemmungen an. Demnächst brennen wohl auch wieder die Wälder, so wie letztes Jahr in Kanada. Vielleicht sogar in Deutschland, denn unsere künstlich angelegten Kiefernplantagen – die man frech "Wälder" nennt – brennen bestimmt sehr gut. Aber egal, Hauptsache das Wirtschaftswachstum schwächelt nicht und es wird weiterhin unnötiges Zeugs produziert.

  • Als die GRÜNEN erstmalig zur Bundestagswahl antraten, war ich froh und glücklich nicht mehr "das kleinere Übel" wählen zu müssen. Allerdings scheint es so, dass ich nun "das nicht ganz so schlimme Übel" wählen muss...

    Warum nur lassen die GRÜNEN sich so viel von einer 4% Clique bieten?

    • @Perkele:

      Warum?



      Es gibt drei denkbare Konstellationen im Bundestag



      a) Ampel



      b) Jamaika (also auch mit der FDP)



      c) Rot-schwarz ohne Grüne



      Die Grünen bekommen zwar als einzige ihr voriges Ergebnis bei Neuwahlen, zumal bei den Wetterextremen, können aber die FDP nicht glaubhaft ohne Neuwahl loswerden, bei der gerade nachpubertierenden Union will man aber nicht in die Koalition.



      Es wäre schon einiges geholfen, wenn man mit der Linken drohen könnte und/oder Scholz Klimaschutz und sein eigenes SPD-Programm ernstnähme.

    • @Perkele:

      Selbst schuld, wenn sie sich das gefallen lassen könnte man sagen. Aber in Wirklichkeit ist es so, dass die Grünen nun einfach nachfordern wollen, was nicht im Koalitionsvertrag steht und die FDP auf Vertragstreue pocht. So ist das halt, wenn man einen Vertrag unterschreibt gilt auch was drin steht.

      • @Rudi Hamm:

        Richtig. Das gilt jedoch genauso für die Lobbytruppe FDP.

      • @Rudi Hamm:

        Oh, das ist jetzt dünnes Eis.



        Ressortzuständigkeit für Klimaschutz?



        Klimaschutz generell so?



        Keine Steuersenkungsversuche für fette Katzen, statt dessen das Ökogeld und ausreichend Ressourcen für Kinder?

  • Sorry, falsche Überschrift! Die Überschrift müsste heißen:

    " Das Klimaziel des Pariser Abkommens mit der Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5° ist gebrochen!"

    Die Auswirkungen dieses kollektiven Versagens aller am Pariser Abkommen beteiligten Länder hat weltweit bereits dramatische Auswirkungen, auch in Deutschland:

    Beispiele für Deutschland: Das Ahrtal, das Abschmelzen der Alpengletscher, aktuell die Überschwemmungen in Südbayern, das Absterben der deutschen Wälder, bereits 80% der deutschen Wälder sind von zumindest leichter Lichtung der Baumkronen betroffen.

    Deshalb muss ein neues Klimaschutzgesetz mit viel drastischeren Massnahmen als im alten Klimaschutz beschlossen werden!

  • Und wieder bin ich begeistert vom angeblichen "Kanzler für Klimaschutz": Das "Scholz packt das an" auf den BTW-Plakaten bedeutet in der Realität also "Scholz ignoriert alles".

    • @B. Iotox:

      Sie haben ja leider sowas von Recht.

  • Selbstbeweihräucherung, Suggestion kurz das ganze Politikerlatein sollte man in punto Klimawandel tunlichst vermeiden. Es sendet die völlig falschen Signale in Richtung Bevölkerung. Am Anfang der Legislaturperiode hat Habeck noch die richtigen Botschaften gesendet, hat gemahnt Deutschland müsse aktiver werden. Mittlerweile auf oberster Ebene im Politzirkus angekommen hat er erfahren müssen das dort nach eigenen Regeln gespielt wird. Dementsprechend hat er seinen Stil angepasst und wird der politischen Kaste, die sich in Phrasendrescherei ergeht immer ähnlicher.

    Auch wenn vieles davon den Koalitionszwängen geschuldet ist und mit dem Partner FDP ein Dauerblockierer mit am Tisch sitzt, sollten die Grünen sich nicht vereinnahmen lassen und sich auf ihre Kernkompetenzen besinnen, als Fürsprecher für die Umwelt mit klaren Forderungen und progressiven Konzepten.

    Denn eine andere Partei ist nunmal nicht im Bundestag vertreten die sich glaubhaft für Klimaschutz einsetzt.

  • Habeck mag da noch so nett zu seinen zwei anderen Partnern sein wollen, wie die es vielleicht auch mal sein sollten.



    Wahrheit ist noch wichtiger.



    Und dass die FDP mal für ihr Land anpackt und sich so noch aus den Schandseiten der Annalen wieder herausschreibt.