piwik no script img

Streit in NRWAtom­kraft­geg­ne­r ausgeladen

Um­welt­schüt­ze­r:in­nen wehren sich gegen neue Castor-Transporte. Doch das Landeswirtschaftsministerium spricht nicht mehr mit ihnen.

Ministerin Mona Neubaur, Grünen-Vorsitzender Omid Nouripour und ein Anti-AKW-Aktivist (Mitte) Anfang März Foto: Henning Kaiser

Bochum taz | Im Streit um hochradioaktive Castor-Transporte wird der Ton zwischen Nordrhein-Westfalens grüner Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur und Umweltorganisationen frostig. In wenigen Monaten sollen die ersten Castoren mit radioaktivem Atommüll aus dem ehemaligen Kernforschungszentrum Jülich in das Zwischenlager Ahaus verlegt werden.

Jetzt dürfen Ver­tre­te­r:in­nen von Neubaurs Landeswirtschaftsministerium, das auch für die Atomaufsicht zuständig ist, offenbar nicht mehr persönlich mit Anti-Atom-Initiativen und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sprechen.

Ein fest vereinbartes „Fachgespräch“ wurde am vergangenen Freitag aus dem Büro der Ministerin heraus völlig überraschend abgesagt – nicht einmal zwei Stunden vor Beginn. Begründung: Die Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen hätten angekündigt, nach dem Gespräch die Öffentlichkeit zu informieren.

„Da die Initiativen den heutigen Termin ohne Rücksprache mit dem Ministerium öffentlich gemacht und angekündigt haben, im Anschluss über die Inhalte des Gesprächs die Presse zu informieren, war der vertrauliche Rahmen für einen offenen Austausch nicht mehr gegeben“, heißt es aus Neubaurs Ministerium auf taz-Nachfrage.

Umwelt-Aktivist:innen: Von Vertraulichkeit war nie die Rede

Die Umwelt-Aktivist:innen weisen den Vorwurf der gebrochenen Vertraulichkeit dagegen scharf zurück. „Von einem vertraulichen Gespräch war nie die Rede“, sagt nicht nur Kerstin Ciesla, stellvertretende Landesvorsitzende des BUND in NRW. „Das Wort Vertraulichkeit ist im Vorfeld nie erwähnt worden“, betont Matthias Eickhoff von der Initiative Sofortiger Atomausstieg. „Es war keine Vertraulichkeit vereinbart“, sagt auch der Sprecher der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt, Helge Bauer.

Bei dem Treffen sollte der Umgang mit der Urananreicherungsanlage im münsterländischen Gronau, die trotz des deutschen Atomausstiegs weiter über eine unbefristete Betriebsgenehmigung verfügt, Thema sein – und die Castor-Transporte von Jülich nach Ahaus. Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen kritisieren diese als „gefährlich“: Schließlich soll der hochradioaktive Brennstoff des Reaktors des einstigen Kernforschungszentrums per Lkw mitten durch Düsseldorf und das Ruhrgebiet ins Münsterland gekarrt werden.

Doch keine Erdbebengefahr

Außerdem seien die Transporte „unsinnig“. Denn geplant wurden sie nur wegen einer Anordnung zur unverzüglichen Räumung des Jülicher Lagers, die 2014 vom damaligen NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) wegen angeblicher Erdbebengefahr erlassen wurde. Doch diese Erdbebengefahr besteht in Jülich nach einer Einschätzung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung vom Oktober 2022 nicht.

Der BUND und die Anti-Atom-Initiativen fordern von Neubaur deshalb seit Monaten, die Transporte zu stoppen und stattdessen auf den Neubau eines Zwischenlagers in Jülich zu setzen, das den heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht – wie im schwarz-grünen Koalitionsvertrag versprochen. Neubaur jedoch weigert sich beharrlich, die von ihrem Vorvorgänger Duin erlassene Anordnung zur „unverzüglichen Räumung“ des Jülicher Lagers aufzuheben.

Ihr Ministerium verweist stattdessen auf die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN), die formal für die Lagerung des hochradioaktiven Atommülls verantwortlich ist und hauptsächlich von der Bundesregierung finanziert wird. Und die JEN will die Transporte mit aller Kraft durch­drücken. Schließlich hätte auch das von der Grünen Steffi Lemke geleitete Bundesumweltministerium die Ahaus­­-Option für „grundsätzlich vorzugswürdig“ erklärt.

Grund dafür dürften vor allem die Kosten sein: Ohne Einberechnung der Polizeieinsätze zur Sicherung der Castor-Transporte könnte die Verlegung nach Ahaus auf dem Papier billiger sein als der Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich – was besonders den klammen FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner freuen dürfte. Auch deswegen halte Neubaur an der Räumungsverfügung für das Jülicher Lager fest, spekulieren Insider: Die grüne Partei wolle keinen neuen Koalitionskrach in Berlin riskieren.

Um­welt­schüt­ze­r:in­nen wie BUND-Landesvize Kerstin Ciesla wollen das nicht gelten lassen: Angesichts der Sicherheitsbedenken bei den bis zu 152 Atomtransporten über die Autobahnen dürften Kostenfragen keine entscheidende Rolle spielen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Mona Neubaur ist eine typische Vertreterin der Karriere-Politik. Sie hat sehr beständig darauf geachtet, dass ihr nichts (!) schaden könnte auf ihrem Karriereweg. Unverbindliches Geschwafel, doch in keiner Weise GRÜNE Standfestigkeit. Die Grünen sollten sich von solchen Leuten trennen - je eher, desto besser.

  • Ach, Bauer müsst' man sein. Und dann auch noch rechts. Dann knickt die Politik gleich ein...

  • Hochkomplex u. superneuralgisch als Thema vor Ostern!



    "Der BUND und die Anti-Atom-Initiativen fordern von Neubaur deshalb seit Monaten, die Transporte zu stoppen und stattdessen auf den Neubau eines Zwischenlagers in Jülich zu setzen, das den heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht – wie im schwarz-grünen Koalitionsvertrag versprochen."



    Oktober 2023, zeit.de als Quelle:



    "In der Debatte um den möglichen Transport von Atommüll nach Ahaus hat sich Jülichs Bürgermeister Axel Fuchs für einen Verbleib der 152 Castor-Behälter in seiner Stadt ausgesprochen. «Ich könnte mir auch ein Zwischenlager in Jülich vorstellen», sagte der Parteilose am Samstag in WDR 5. In seiner Kommune gebe es die Expertise, schließlich gebe es dort seit den 50er Jahren ein Atom-Forschungszentrum und der Lagerungsspezialist JEN sei vor Ort. Hinzu komme, dass die Jülicher Bevölkerung das Thema «unaufgeregt» betrachte. «Daher würde es sich ein Stück weit anbieten, hier ein Zwischenlager zu bauen.»



    Im übrigen sind die Dichtungsprüfungen und Korrosionsbewertungen der Castoren bereits mittelfristig im Fokus der erforderlichen Erneuerung von Genehmigungen und die Anlage in Lingen, nicht weit von Gronau, ist ein "europäisches Joint Venture", das zusätzlich zur Tritium- Produktion sicherlich ein ganz besonderes politisches Explosionspotenzial bietet.



    "Fukushima-Veranstaltung in der Auslandsgesellschaft mit über 40 Teilnehmer*innen in Präsenz und online recht gut besucht. Jürgen Huesmann berichtete über die Risiken bei der Einleitung von Tritium – das organisch gebundene Tritium schädigt langfristig. In Europa wird es in La Hague und Sellafield in weit größeren Mengen eingeleitet. Es ist der Zünder für die Atombomben und wird in Gronau produziert."



    www.ippnw.de/der-v...der-kleinen-s.html

    Les ich das, sodann ich komm



    u.a. zu Rosatom

    www.ippnw.de/atome...tschland-beli.html

  • Es ist ja kein Geheimnis, dass in der Taz gewisse Sympathien für die Grünen vorherrschen.



    Das ist mir nicht unsympathisch, denn mir geht's genauso.



    Allerdings hat sich , in jüngster Vergangenheit,



    einiges in der Partei verändert.



    Da wäre die Abkehr vom Pazifismus,



    Erlaubnis von Glyphosat ,



    Verzicht von Umweltschutzmaßnahmen für die Bauern von einem grünen Landwirtschaftsminister, der somit wenig besser gemacht hat, als Julia Klöckner, die ja auch Honig gepredigt und Pestizide gegossen hat.



    Dazu kommt eine UmweltministerIn, die zum Thema Wolf nicht etwa den Einsatz von Herdenschutzhunden fördert, sondern "den Problemwolf" zum Abschluss frei gibt.



    Da haben sich "die Grünen" also den Lobbyinteressen der Agrarkonzerne und der Jäger gebeugt.



    Klar, wäre es die CSU, hätte sich KeinEr gewundert...



    Ich muss mich allerdings sehr wundern!



    Auf den Castor-Transporten, im Wendland ,hatten die Grünen nicht immer das beste Image, aber ich sah es als meine Aufgabe an, sie zu verteidigen.



    Doch was sollte ich heute verteidigen?



    Ich habe mich sehr über die Koalition der Grünen mit der CDU in NRW gewundert.



    Es zeigt sich, was befürchtet wurde: die Aufgabe eigener politischer Positionen zu Gunsten von Pöstchen.



    Leider muss ich feststellen, dass von der " polititischen Heimat" nicht mehr viel übrig ist.



    Und ganz nebenbei, die drohenden Castor-Transporte in NRW, der Bundes FDP in die Schuhe schieben zu wollen, soll doch wohl ein schlechter Witz sein!

  • Was soll hier skandalisiert werden?

    Ist es nicht normal, dass man bei einem Missverständnis über die Rahmenbedingungen ein Gespräch absagt?

    Zu einem Fachgespräch schickt man oft andere Leute als zu einer öffentlichen Diskussion.

  • Das ist die pure Arroganz der Macht, und hat mit demokratischen Verständnis nichts mehr zu tun. Wieder ein Schritt mehr der Grünen an Vertrauensverlust. Dabei werden auch gründe Politiker von unseren Steuergeldern bezahlt und ihr Auftrag ist es unsere Belange zu vertreten und nicht die der Industrie, auch wenn Letztere immer betont ohne Ihr Wirtschaften würde unsere finanzielle Lebensgrundlage nicht erhalten. Doch was nützt die Finanzielle Lebenserhaltung, die durch unser täglich tun erfolgt, wenn unsere Lebensgrundlage den "Bach runter geht". Eben zu kurz gedacht und hörig der Wirtschaftsmacht hinterhergelaufen.