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Verbandsvertreterin zu Migrationspolitik„Das stärkt den rechten Diskurs“

Nützlichkeit dürfe nicht das Kriterium für Einbürgerungen sein, sagt Deniz Greschner vom Paritätischen. Auch schärfere Abschieberegeln kritisiert sie.

Generell sollen künftig mehrere Staatsangehörigkeiten möglich sein Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Dinah Riese
Interview von Dinah Riese

taz: Frau Greschner, das Forum Mi­gran­t*in­nen im Paritätischen fordert seit vielen Jahren eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Diese Woche hat der Bundestag diese nun beschlossen. Ein Grund zum Feiern?

Deniz Greschner: Ich tue mich schwer damit, zu feiern. Der Bundestag beschließt zwei Gesetze aus dem Bereich Migration. Das Rückführungsverbesserungsgesetz enthält kaum begrüßenswerte Änderungen, das Staatsangehörigkeitsrecht schon – aber auch da haben wir deutliche Kritik. Am Ende des Tages kann man beide Gesetze nicht losgelöst von einem Diskursrahmen betrachten, der sich immer weiter nach rechts verschiebt.

Wie meinen Sie das?

Bei den Abschiebeverschärfungen wird massiv in Grundrechte eingegriffen. So wird etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung angetastet, selbst bei Menschen, die gar nicht selbst abgeschoben werden sollen. Menschen werden nachts aus dem Schlaf gerissen, Abschiebungen nicht mehr angekündigt, was eine Retraumatisierung bedeuten kann. Das ist absolut abzulehnen.

Mit der Staatsangehörigkeitsreform wird jetzt aber zum Beispiel der Doppelpass möglich, was Millionen von Menschen den Weg zur Einbürgerung ebnen dürfte.

Ja, das ist sehr zu begrüßen. Genauso wie, dass Menschen künftig früher eingebürgert werden können. Aber das politische Recht auf Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft wird in Zukunft noch mehr als bisher von der Erwerbsleistung von Menschen abhängen. Menschen, die chronisch krank sind, alleinerziehend oder Angehörige pflegen verlieren ihren Anspruch auf Einbürgerung und sind auf das Ermessen der Behörden angewiesen. Wer nicht „nützlich“ ist, soll sein Recht auf Einbürgerung verwirkt haben? Das trägt nicht zum gesellschaftlichen Miteinander bei, sondern stärkt den rechten Diskurs, den wir seit Monaten, ja Jahren sehen.

Die Ampel hatte sich eine progressive Migrationspolitik vorgenommen, zuletzt aber doch sehr viele restriktive Gesetze verabschiedet. Ist ein Schritt wie die Staatsangehörigkeitsreform da nicht ein wichtiger Gegenpol?

Als solcher wird es leider gar nicht kommuniziert. Stattdessen wird es gekoppelt mit massiven Verschärfungen bei Abschiebungen, als brauche es einen Ausgleich, um die Lebensleistung Tausender Menschen anerkennen zu können. Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag eine Rückführungsoffensive angekündigt, aber auch viele Verbesserungen, etwa bei der Familienzusammenführung. Diese aber hat der Kanzler mit den Länderchefs bei der Ministerpräsidentenkonferenz im November einfach abgebügelt. Es ist deutlich, wo die Regierung ihren Fokus setzt. Und das erschüttert das Vertrauen rassifizierter Menschen, dass dieses Land sie schützen wird, wenn Vertreibungspläne wie die der AfD jemals Realität werden.

Sie sprechen die Correctiv-Recherche an: Ver­tre­te­r*in­nen von AfD, Neonazis, Werteunion und anderen haben offenbar Pläne geschmiedet, um Menschen mit Migrationshintergrund zu deportieren – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft.

Isabella Thiel
Im Interview: Deniz Greschner

37, ist Co-Sprecherin des Forums der Mi­gran­t*in­nen im Paritätischen und Fachbereichsleiterin „Gesellschaft und Prävention“ beim Multikulturellen Forum.

Ganz ehrlich: Diese Enthüllung hat weder in meinem beruflichen noch im privaten Umfeld jemanden überrascht. Menschen, die potenziell von solchen Plänen betroffen sind, warnen seit Jahren vor dieser Gefahr. Rechte Politik und der rechte Diskurs betreffen diese Menschen schon jetzt ganz konkret. Diese Menschen bangen um ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben – ihre Sorgen kommen aber in der Realität der meisten Po­li­ti­ke­r*in­nen kaum vor. Es wäre ihre Aufgabe, diesen Menschen zu zeigen: Ihr habt unsere Rückendeckung, ihr seid sicher in diesem Land. Mit Gesetzen aber, die Geflüchteten ihre Grundrechte verwehren und sie in „nützliche“ und „nicht nützliche“ Ausländer einteilen, wird das kaum gelingen.

Aber nach den Enthüllungen von Correctiv sind doch Tausende auf die Straße gegangen. Auch Po­li­ti­ke­r*in­nen der Ampel, selbst der Bundeskanzler.

Es macht mir Hoffnung, dass nun Tausende auf die Straße gehen. Dennoch fehlte die Empörungswelle, als die Ampel im vergangenen Jahr der massiven Entrechtung Geflüchteter an den EU-Außengrenzen zugestimmt hat. Als der Kanzler erklärt hat, Deutschland müsse endlich mehr abschieben. Als CDU-Chef Friedrich Merz sagte, nicht Kreuzberg sei Deutschland, sondern Gillamoos. Jedes dieser Ereignisse sorgte dafür, dass der rechte Diskurs von der AfD weiter in die Mitte wandert. Es ist längst an der Zeit für einen starken Schulterschluss gegen rechts. Aber es reicht nicht, nur gegen die AfD zu sein. Solche rassistischen Pläne müssen strukturell bekämpft werden, auf allen politischen Ebenen.

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13 Kommentare

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  • Ich kann die Gleichsetzung nicht akzeptieren, die Vertreibung von legal hier lebenden Menschen (egal welcher Staatsangehörigkeit) von Rechtsextremen mit der Durchsetzung der Ausreisepflicht, wie sie in den letzten Zitaten angesprochen wird. Diese ist in einem Rechtsstaat existentiell.

  • Danke, Frau Greschner, für die klaren Worte.

    Wann kapieren Scholz, Merz (und vor allem die FDP) dass sie gerade den Job der AfD machen?

    Oder wissen sie das etwa? Sind sie doch eigentlich Politprofis?

  • Unsere PolitikerInnen haben weltweit geschaut, wie es anders laufen kann und wie es kompatibel für unsere Zukunft ausgerichtet werden könnte. Sie (Faeser & Heil) haben auch Visite in Kanada gemacht. Dort soll das (legendär gehypte) Einwanderungsgesetz sehr modern sein, es ist aber auch ausgerichtet auf Bedarfe der Wirtschaft in einem Land mit Wachstum.



    Die große Angst vieler MitbürgerInnen ist es, dass die Sozialsysteme be- und überlastet werden, dass der Staat ihnen quasi etwas wegnimmt, ohne dass eine Rendite gewährt ist. Für viele ist Migration ein Unternehmen mit Profit. Zumindest Utilitarismus ist auch immer im Spiel, wenn politische und soziale Grundsatzentscheidungen anstehen, oft sogar brutaler Egoismus. Die Zeiten einer ungeregelten Migration in ein freies Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit Willkommenskultur sind weltweit vorbei. Aber für einen Sonderstatus bei Immigration sorgen vielerorts neben fachspezifischen Kenntnissen noch immer Kapital und Korruption.



    /



    Beispiel Kanada:



    "Die meisten der Einwanderinnen und Einwanderer stammen aus Ländern wie Pakistan, Indien, Nigeria oder den Philippinen. Online können sie sich berechnen lassen, wie gut ihre Chancen auf ein Aufenthaltsrecht sind, abhängig etwa von Qualifikation, Alter und Herkunft. Das gesamte Verfahren läuft digital. Wer einen Antrag stellt, kann jederzeit verfolgen, wo sein Fall gerade bearbeitet wird. Und wer mindestens drei Jahre im Land gelebt hat, darf einen Antrag auf kanadische Staatsbürgerschaft stellen. "Wir sind weltweit führend bei Arbeitsmigration", sagt der kanadische Minister für Einwanderung, Sean Frazier, der Heil und Faeser in Ottawa empfängt."



    Quelle zeit.de

    • @Martin Rees:

      Kanada: Arschkalt im Winter, extrem teuer und nahezu kein ÖPNV in ländlichen Gebieten.

      Dann lieber Brasilien.

  • Ich finde es einen durchaus angemessenen Anspruch, dass jemand, der in eine Gesellschaft einwandern will, auch etwas zu dieser beizutragen der Lage sei. Seinen eigenen Lebensunterhalt erwirtschaften zu können ist dabei das mindeste. Das hält jedes andere Land der Welt, einschließlich der Ursprungsländer der Migranten, auch so. Das ist in keiner Weise eine rechte Position, und es stärkt gerade den rechten Diskurs, wenn dies als eine solche diffamiert wird.

  • "Menschen, die chronisch krank sind, alleinerziehend oder Angehörige pflegen verlieren ihren Anspruch auf Einbürgerung und sind auf das Ermessen der Behörden angewiesen."



    Hier ist eine wichtige Klarstellung nötig, es ist viel schlimmer.



    Der Satz gibt die bisherige Rechtslage wider (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 aF: www.gesetze-im-int....de/stag/__10.html ).



    Es war schon bisher so, dass Menschen, die kein ausreichendes Einkommen haben, aber sonst die Voraussetzungen erfüllen, "auf das Ermessen der Behörden angewiesen" waren. Nämlich darauf, dass die Behörde die Ermessensfrage, ob die Bedürftigkeit unverschuldet ist (also ein Härtefall besteht), zu ihren Gunsten beantwortet. Das war schon immer extrem schwierig, konnte aber z.B. bei unverschuldeter Armut wegen chronischer Krankheit, Alter etc. unter Umständen durchgehen.



    www.youtube.com/watch?v=Y0rVO78rTCM



    Genau das geht aber jetzt nicht mehr, weil der Satzteil ("... oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat") ersatzlos weggefallen ist.



    Das bedeutet, die Behörde *darf* nach dem neuen Recht eben gerade *kein Ermessen* mehr ausüben und überhaupt keine Härtefälle mehr anerkennen, sondern muss alle, die Bürgergeld beziehen, ausnahmslos ablehnen, egal ob sie Entschuldigungsgründe haben oder nicht.



    Ausnahmen von der Regel, dass Bürgergeldempfänger nicht eingebürgert werden können (tragikomische Pointe), gibt es also außer bei der Gastarbeitergeneration gar nicht mehr. Für die Gastarbeitergeneration selbst bleibt dagegen die bisherige Regelung bestehen, ändert sich also nix (sie sind in Härtefällen weiter auf das Ermessen der Behörde angewiesen). Das wird in der Gesetzesbegründung als "Erleichterung" verkauft, was auch eine Augenwischerei ist.



    www.bmi.bund.de/Sh...ublicationFile&v=2

    • @Günter Picart:

      "dass die Behörde die Ermessensfrage, ob die Bedürftigkeit unverschuldet ist (also ein Härtefall besteht), zu ihren Gunsten beantwortet. Das war schon immer extrem schwierig"

      Ich würde gerne wissen, wie viele Leute das pro Jahr betraf, also trotz Bedürftigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten. Wenn das nämlich keiner war oder sehr wenige, dann betrifft die Einschränkung ja auch keinen oder nur sehr wenige.



      Dann wäre dies keine wesentliche Einschränkung, sonderen eher nur eine rechtliche Klarstellung, welche die Behörden von der Bearbeitung überflüssiger Anträge (weil sie sowieso abgelehnt würden) entlastet.

  • Der Doppelpass ist ein großer Erfolg!



    Es nervt, dass derartige Migrationspolitische



    Meilensteine klein geredet werden.



    Besonders schön finde ich an der Regelung auch, dass den ehemaligen GastarbeiterInnen die deutsche Staatsbürgerschaft ohne Sprach- und sonstige Nachweise gewährt wird.



    Es ist die Anerkennung dafür, dass Menschen zugewandert sind und mitgeholfen haben dieses Land wieder groß zu machen.



    Und in diesem Fall insbesondere zu einem großen Sozialstaat.



    Danke, an Alljene , die mit Ihrer Kraft dazu beigetragen haben, unsere Gesellschaft und das Land positiv zu verändern. Es wäre mir eine Ehre für jeden Kumpel, der nach einem harten Leben unter Tage, nun auch die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, damit wir auch symbolisch und rechtlich Teile der Gesellschaft sind.



    Das sollte gefeiert werden!



    ( Spart Euch das Rumgemaule doch einfach mal und macht die Augen auf!)

  • Dann soll sie mit gutem Beispiel vorangehen. Sie hat Platz!

  • Für Einwanderungsländer ist die Einteilung in nützlich und nicht nützlich völlig normal.

    Nur sehr wenige Einwanderungsländer haben die Nützlichkeit nicht als oberstes Kriterium.

    Dafür dann andere, die genauso hart berücksichtigt werden.

    Wer ein Einwanderungsland Deutschand will, ist damit zwangsläufig für knallharte Selektion.

    Das ist durchaus ein Grund, warum auch Linke in Deutschland sich lange damit so schwer taten, sich als Einwanderungsland zu akzeptieren.

    Ein Einwanderungsland ist etwas anderes als No border.

  • Ich bin in einem Zwiespalt. Einerseits finde ich es gut, dass Menschen jetzt nach 3 bzw. 5 Jahren eingebürgert werden können und sich hoffentlich auch politisch engagieren, andererseits habe ich die Sorge, dass wir bald auch Ableger der AKP oder verbrämten Hamas im Bundestag haben werden, was die schwierige Situation mit der AFD noch mehr verschlimmert, weil es dann immer weniger Demokraten im Bundestag geben wird. Von den Problemen, die Minderheiten dann haben werden, ganz zu schweigen.

  • Recht hat sie. Ich bin trotzdem froh, dass etwas so selbstverständliches wie die doppelte Staatsbürgerschaft endlich nachgeholt wurde. Die angesprochenen Verschärfungen machen es aber schwierig, sich wirklich zu freuen.

    • @Birdman:

      Was ist an einer doppelten Staatsbürgerschaft selbstverständlich? Daran ist rein gar nichts selbstverständlich und wenn etwas dem rechten Diskurs stärkt, dann solche Schnapsideen