Wahlen auf dem Grünen Parteitag: Terry Reintke ist Spitzenkandidatin
Die Grünen ziehen mit der linken Sozialpolitikerin in die Europawahl im kommenden Jahr. Lang und Nouripour sind als Parteivorsitzende wiedergewählt.
Reintke, 36, seit dem vergangenen Jahr Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament, ist Sozial- und Beschäftigungspolitikerin, Partei-Linke und sie stammt aus dem Ruhrgebiet. „Wir kämpfen für ein Europa, das Gerechtigkeit schützt“, sagt sie. In ihrer Bewerbungsrede spricht sie über den europäischen Mindestlohn und besseren Arbeitsschutz, über Mindeststandards bei den Beschäftigungsbedingungen und über den Green Deal.
Dann sagt sie: „Wir werden nächstes Jahr mit aller Kraft gegen einen Rechtsruck im Europäischen Parlament kämpfen müssen.“ Teile der europäischen Konservativen wollten mit Rechtsextremen zusammen Mehrheiten schaffen. Der konservativen Europäischen Volkspartei warf sie vor, sie irrlichtere und wisse nicht, „ob sie konstruktiv im Kompromiss mit anderen demokratischen Fraktionen Mehrheiten baut oder gemeinsam mit Rechtsextremen und Autoritären die Axt an den Green Deal legen will“. Da klatscht der Saal begeistert. Reintke wird mit 95 Prozent zur Spitzenkandidatin gewählt.
Nouripour und Lang wiedergewählt
Reintke ist eine der wenigen, die bei der Aufstellung der Europaliste keine*n Gegenkandidat*in hat. Bei der Wahl 2019 hatten die Grünen ein Rekordergebnis von 20,5 Prozent erzielt und sind seitdem mit 21 Abgeordneten im Europaparlament vertreten. Weil es nach den Umfragen für die Wahl im kommenden Jahr schlechter aussieht, gibt es auf den vorderen Listenplätzen ein ziemliches Gedrängel. Zunächst setzen sich Sergey Lagodinsky, Anna Cavazzini, Michael Bloss, Hannah Neumann und Martin Häusling durch; sie alle sitzen bereits im Europaparlament. Insgesamt wollen die Grünen 40 Listenplätze besetzen. Die erste Hälfte an diesem Freitag.
Bereits am Vormittag wählten die Grünen ihre Parteispitze wieder. Ricarda Lang verbesserte dabei ihr Ergebnis im Vergleich zur Wahl vor zwei Jahren, Omid Nouripour verlor leicht an Zustimmung. Lang, die auf dem für Frauen reservierten ersten Platz ohne Gegenkandidat*innen antrat, erhielt 82,3 Prozent der Stimmen (2021: 76 Prozent), Nouripour setzte sich mit 79 Prozent der Stimmen (2021: 82 Prozent) gegen einen der Außenseiter-Kandidaten durch.
Lang, 29, Partei-Linke, kommt aus Baden-Württemberg und war auch schon Chefin der Grünen Jugend. Ihr Schwerpunkt ist die Sozialpolitik. Nouripour, 48, ist Realo, langjähriger Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt am Main mit einem Fokus auf die Außenpolitik. Bei ihrer ersten Wahl hatten viele vermutet, dass Lang im Schatten des deutlich erfahreneren Nouripours stehen würde. Seitdem hat Lang eine beeindruckende Lernkurve hingelegt, inzwischen stiehlt sie mit ihren klaren, strukturierten Äußerungen Nouripour immer wieder die Show.
Nach allem, was nach außen dringt, arbeiten die beiden ohne Probleme zusammen. Man müsse nicht immer einer Meinung sein, um ein Team zu sein, sagte Lang in ihrer Bewerbungsrede. Doch die beiden sind deutlich weniger profiliert, als es ihre Vorgänger*innen an der Parteispitze, Robert Habeck und Annalena Baerbock, waren. Diese ziehen – nun als Minister*innen – auch heute deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich.
Ricarda Lang: Grüne zu technokratisch
Nouripour, der in Teheran aufgewachsen ist und im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland kam, spricht in seiner Bewerbungsrede auch die Folgen seiner politischen Arbeit für Angehörige im Iran an. Nachdem er sich im vergangenen Jahr deutlich zu dem Aufstand der Frauen im Iran geäußert habe, habe er Anrufe von Verwandten erhalten, „die mich gefragt haben, ob ich es auch leiser machen kann, weil sie aufgrund meiner Arbeit hier bedroht worden sind“. Nouripour fügt hinzu: „Und nicht alle haben das überlebt.“
Lang betonte, dass sie auch Verbesserungsbedarf bei der strategischen Aufstellung der Partei sehe. Manchmal seien die Grünen zu technokratisch, so Lang: „Wir müssen den Menschen zugewandt bleiben“. Zudem müsse die soziale Frage am Anfang stehen, auch brauche es ein „neues Gerechtigkeitsversprechen für die gesellschaftliche Mitte“. Und drittens dürften die Grünen nicht in die Nische zurück.
Als Bundesgeschäftsführerin wurde Emily Büning mit 83,3 Prozent der Stimmen in ihrem Amt bestätigt, auch sie schnitt schlechter ab als bei ihrer ersten Wahl vor zwei Jahren. Neuer Bundesschatzmeister der Grünen ist Frederic Carpenter. Als stellvertretende Bundesvorsitzende wurden der Thüringer Heiko Knopf sowie Pegah Edalatian aus Nordrhein-Westfalen wiedergewählt.
Am Samstag werden auf dem Parteitag weitere Listenplätze für das Europäische Parlament vergeben, das Europawahlprogramm debattiert und der Parteirat neu gewählt. Habeck und Baerbock, aber auch die beiden Fraktionschefinnen, Katharina Dröge und Britta Hasselmann, wollen nicht wieder für das Gremium kandidieren. Das dürfte an der Arbeitsbelastung liegen, hat aber den Nebeneffekt, dass sie sich keiner Abstimmung stellen müssen. Der Parteirat berät den Bundesvorstand der Grünen und koordiniert die Arbeit zwischen den Gremien der Bundespartei, den Fraktionen und den Landesverbänden.
Am Abend steht dann die Migrations- und Asylpolitik auf der Tagesordnung – die Debatte mit dem wohl größten Konfliktpotential auf dem ganzen Parteitag.
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