Samen der Ginkgo-Bäume: Der Stinker ums Eck
Ginkgos gelten als Symbole der Freundschaft und der Hoffnung, sie sind uralt und auch sonst erstaunlich. Wenn nur dieser Samengeruch nicht wäre.
Das Unheil kommt von oben. Ein Windstoß fährt in die Blätter, schon prasseln die gelblich-orangenen Kugeln herab. Auf den Bürgersteig vor unserem Haus, auf die Straße, auf die Dächer der Autos, die unter dem Ginkgobaum geparkt sind. Es klingt wie ein kurzer Trommelwirbel. Unten haben die fruchtartigen Samen dann ihren großen Auftritt: Aufgeplatzt und zertreten verbreiten sie einen fiesen Gestank. Der ganze Straßenabschnitt riecht nach Kotze.
So geht das jeden Herbst, vor allem im November. Je mehr Kugeln herunterfallen, je mehr Leute darüber laufen, desto mehr vermengt sich die Masse mit dem gelben Laub, der Bürgersteig unter dem Baum wird zu einer glitschigen, stinkenden Bahn. Nase rümpfend eilen Passanten vorbei, in der Hoffnung, keine allzu matschigen Sohlen zu bekommen, denn sonst muffelt es auch Zuhause oder im Büro.
Dabei hat der Ginkgo biloba, wie der botanische Name lautet, eigentlich einen hervorragenden Ruf – nicht umsonst zieren die fächerförmigen Blätter Goldschmuck, Taschen und T-Shirts. Ginkgos gelten als Symbol der Hoffnung und der Freundschaft, ihr Extrakt soll gar heilende Kräfte haben, sie stehen für Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit.
Tatsächlich lassen sich Ginkgos nicht so schnell unterkriegen. Die Pflanze konnte in fossilen Funden nachgewiesen werden, sie ist Hunderte Millionen Jahre alt und hat sogar die Dinosaurier überlebt. Eichen, Buchen, Linden? Sind totale Anfänger im Vergleich. Dass ein Ginkgobaum sogar nach der Atomexplosion in Hiroshima wieder austrieb, dürfte ebenfalls zur Mythenbildung beigetragen haben.
Auch Goethe war schon ganz begeistert von dem aus China eingeführten Baum, er dichtete: Dieses Baums Blatt, der von Osten / Meinem Garten anvertraut, / Giebt geheimen Sinn zu kosten … Nun ja. Manchmal würde man gerne etwas weniger kosten, und geheim ist das Ganze wirklich nicht. Aber hübsch sind die Ginkgos in der Tat, vor allem jetzt im November, da ihr leuchtendes Gelb oft genug die Sonne ersetzt. Wenn nur der Gestank nicht wäre.
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Die Frauen sind dabei das Problem, das lässt sich leider nicht anders sagen. Nur die weiblichen Bäume werfen die an Mirabellen erinnernden Kugeln ab, die Buttersäure enthalten und deshalb so übel riechen. Nur ihretwegen heißt es: Der Ginkgo ist ein Stinko.
Das könnte bald noch mehr Leute nerven. Weil Ginkgos sowohl längere Trockenheit als auch Minusgrade und Abgase gut aushalten, gelten sie als Stadtbäume der Zukunft, die auch die Klimakrise überstehen. Naheliegend wäre nun, nur männliche Ginkgos zu pflanzen, aber das ist leichter gesagt als getan. Ginkgos wachsen langsam, erst nach zwei bis drei Jahrzehnten zeigt sich, welcher Baum männlich ist und welcher weiblich. Einen Baum dann noch zu fällen? Das wäre selbst der gar so fruchtbaren Ginkgo-Dame vor unserer Haustür nicht zu wünschen, in allen anderen Jahreszeiten ist sie schließlich ein wunderbarer Baum.
Erstmal heißt es: Nase zu und durch. Noch hängen zahlreiche Stinkbomben im kahler werdenden Geäst. Aber der Winter kommt bestimmt. Und wenn der Samenmatsch erst einmal gefroren ist, stinkt er auch nicht mehr.
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