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OB-Wahl in NordhausenWie es anders geht

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Nordhausen zeigt: Wenn der Teufel nicht an die Wand gemalt und auf Wählerbeschimpfung verzichtet wird, kann die AfD gestoppt werden.

Klarer Sieger in Nordhausen: Amtsinhaber Kai Buchmann Foto: Matthias Bein/dpa

D ie knapp zehn Stimmenprozente, die Amtsinhaber Kai Buchmann bei der Nordhäuser Oberbürgermeister-Stichwahl vor dem AfD-Konkurrenten Jörg Prophet lag, sind ein wichtiges Zeichen. Denn in diesem Jahr scheinen die Republik und die sie beobachtenden Medien alle ein bisschen verliebt in die Apokalypse, nur auf den nächsten Erfolg der Partei der falschen Propheten zu warten.

Es ist aber gerade kein Naturgesetz, dass die Partei, deren einziges Alternativangebot im Gestern besteht, einen „Marsch durch die Institutionen“ antritt. Einen Schlüsselposten nach dem anderen schienen jetzt die Blaubraunen zu erobern, zuletzt Robert Sesselmann den des Landrats im südthüringischen Sonneberg. Der Bürgermeister im sachsen-anhaltischen Raguhn-Jeßnitz folgte. Bis man sich dereinst an die Normalität von AfD-Amtsinhabern gewöhnt haben würde?

Es geht auch anders, zeigt Nordhausen. Selbst dann, wenn der AfD-Mann nach dem ersten OB-Wahlgang mit 42,1 Prozent als uneinholbarer Favorit galt. Überdies hatte der SPD-Landrat Amtsinhaber Buchmann zuvor wegen Mobbingvorwürfen suspendiert; erst im August wurde er gerichtlich rehabilitiert.

In Nordhausen haben die Nichtrechten etwas besser gemacht als die Sonneberger. Es hat sich ausgezahlt, nicht zu einer Wähler-Einheitsfront „Alle gegen die AfD“ aufzurufen, nicht den Teufel an die Wand zu malen. Schlimme Prophezeiungen, deren Erfüllung man indirekt und insgeheim voraussetzt, nutzen einem „Prophet“ nur. Es gab mit Ausnahme der Grünen nur Aufrufe zu möglichst breiter Wahlbeteiligung, denen immerhin 59,3 Prozent folgten. Ein guter Wert für eine Kommunalwahl.

Emotionen bremsen

Man habe an die Mündigkeit und Reife der Nordhäuser appelliert, sagt der bis 2017 für die CDU amtierende Oberbürgermeister Klaus Zeh. „Mobilisiere nicht deine Gegner und beschimpfe nicht die Wähler“, habe stets für seine Wahlkämpfe gegolten. Das könnte als Rezept für anstehende weitere Kommunalwahlen bedacht werden. Wofür freilich Emotionen gebremst werden müssten, die speziell gegenüber der in Thüringen als rechtsextrem eingestuften Höcke-AfD verständlicherweise hochkochen.

Das hieße auch, auf die Urteilsfähigkeit der Wählerinnen und Wähler in Sachfragen zu vertrauen. Es sind die globalen Ängste und der Frust gegenüber der „großen Politik“, die der AfD Stimmen zutreiben. In Kommunalvertretungen haben AfD-Leute in der Regel nichts zu bieten, glänzen durch Inkompetenz, gar Abwesenheit, halten dann aber populistische Fensterreden.

In Nordhausen überwiegt nun Erleichterung. Speziell in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, wo man die Erinnerungskultur schon bedroht sah. Eine vorübergehende Erleichterung, denn Nordhausen bietet auch ein weiteres Indiz dafür, dass die Gesellschaft ungefähr hälftig gespalten bleibt. Und im sachsen-anhaltischen Bitterfeld-Wolfen geht am 8. Oktober ebenfalls der AfD-Kandidat als Favorit in die Oberbürgermeister-Stichwahl.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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15 Kommentare

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  • "Es sind die globalen Ängste und der Frust gegenüber der „großen Politik“, die der AfD Stimmen zutreiben."



    Wegen der ausgleichenden Gerechtigkeit tut die AfD ihr Bestes, damit auch alle anderen Angst bekommen - vor ihr.

  • Der Herr Prophet hat real bei der Stichwahl noch 1000 Stimmen mehr bekommen.



    Bei einer Wahlbeteiligung von 60% hat er grob 2.700 Stimmen von 10.000 Einwohnern erhalten.



    Das ist doch eine Nummer und passt doch ganz gut zu sonstigen Umfragen.



    Also nix mit Entwarnung. Es ist zum Gruseln.

  • Bei der Auswahl, wäre ich zu Hause geblieben. Nun, die in Nordhausen haben sich für einen entschieden, der eigentlich nur negativ auffiel. Aber vielleicht zeigt er jetzt seine positive Seite.

  • Buchmann ist auch eine umstrittene Person, bei der die etablierten Kräfte alle am gleichen Strang gezogen haben um einen Oberbürgermeister von der AfD zu verhindern.



    Ob dieser Mann hier die bessere Wahl ist kann man getrost bezweifeln, die Verfahren gegen ihn laufen nicht aus Spass und Tollerei. Ihn als Kämpfer gegen Rechts zu feiern sehe ich da kritisch, eher einer der den Kampf gegen rechts benutzt um trotzdem an der Macht zu bleiben, jedenfalls solange die Gerichte noch nicht entschieden haben, bzw. der Landrat ihn wieder absetzen muss wie schon mal geschehen.

  • "auf Wählerbeschimpfung verzichten" - das heißt ja dann demnach:



    je mehr Respekt desto mehr Demokratie, oder ?

    • @Theseus:

      ... "je mehr Respekt desto mehr Demokratie, oder ?"



      Na klar. Nur: Wer Nazis wählt, ist ein Nazi. Und das lass ich mir nicht weichspülen.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Mich versetzt es immer wieder in Erstaunen, wie Einzelergebnisse so interpretiert werden, als ob daraus ein allgemein wirksames Rezept für nachfolgende Wahlen abgeleitet werden könnte. Zumal die Ausgangskonstellation dort eine sehr spezielle war.

    • @31841 (Profil gelöscht):

      Zustimmung. Jetzt hat Nordhausen halt den Bürgermeister wieder, der wegen vielen Dienstvergehen von seinem Amt suspendiert war. Mal sehen ob er die 6 Jahre durchhält.

      • @Der Cleo Patra:

        Ihre Aussage ist ein Beispiel dafür, dass viele Menschen nicht verstehen wie das Rechtssystem in der BRD funktioniert:



        1) Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils und



        2) ein unabhängiges Gericht hat, nach Beweisaufnahme und Würdigung der vorgelegte Beweise, festgestellt, dass die Vorwürfe nicht zutreffend sind.

        Es ist dann auch unpassend jetzt die widerlegte Behauptungen weiterhin in Komentare als "Tatsache" zu erwähnen.

  • jetzt sind wir alle schon happy, wenn nur 45% der waehler fuer einen politiker gestimmt haben, der den holocaust relativiert, glueck auf!

  • Nordhausen ist eine Hochschulstadt, der LK Sonneberg eher ländlich geprägt und hat noch nicht mal 1/3 Einwohner mehr als Nordhausen. Das sind schon ganz andere Voraussetzungen.

  • "Man habe an die Mündigkeit und Reife der Nordhäuser appelliert, sagt der bis 2017 für die CDU amtierende Oberbürgermeister Klaus Zeh. „Mobilisiere nicht deine Gegner und beschimpfe nicht die Wähler“, habe stets für seine Wahlkämpfe gegolten."

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    Und wer die AfD wählt ist dementsprechend unreif ? Nadelstiche sind im Endeffekt genauso wirksam wie ein verbaler "Jeder der AfD wählt ist Nazi!!!"-Schlag in die Magengrube. Aber egal, die Stichwahl ist entschieden, dem Sieger gebühren meine Glückwünsche. Auf ein gutes Gelingen !

    • @SeppW:

      Wer Nazis wählt, ist Nazi.

  • 59,3 % Wahlbeteiligung ist für eine Bürgermeisterwahl doch kein guter Wert.

    • @insLot:

      (Leider) doch ein guter Wert.



      Bei der Stichwahl der Oberbürgermeisterwahl im hessischen Offenbach waren es neulich nur rd. 25%