LGBTQ+-Rechte in Bulgarien: Zwei Lesben bekommen recht
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt, Bulgarien muss im Ausland geschlossene Ehen anerkennen. Das kann noch weitere Folgen haben.
Laut dem Urteil, das einstimmig erging, sei im vorliegenden Fall Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden. Dieser garantiert jeder Person das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
Für den Gerichtshof sei klar, dass die bulgarischen Behörden bisher keine Schritte unternommen hätten, um angemessene gesetzliche Regelungen im Hinblick auf die Anerkennung von Lebensgemeinschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts zu erlassen. Die Betroffenen könnten daher nicht essenzielle Aspekte ihres Lebens regeln, wie Eigentums- und Erbschaftsangelegenheiten sowie den Schutz vor häuslicher Gewalt, heißt es in der Begründung des Urteils.
Die beiden Frauen, Darina Koilowa und Lilia Babulkowa, die seit 14 Jahren liiert sind, hatten 2016 in Großbritannien geheiratet. Ein Jahr lang verweigerte ihnen die Verwaltung der bulgarischen Hauptstadt Sofia die Anerkennung ihrer Ehe. Laut Verfassung ist die Ehe ein Akt zwischen Mann und Frau. Das sahen Frau und Frau nicht ein: Sie klagten gegen die Entscheidung. Jedoch bestätigte die Entscheidung 2019 erst das Verwaltungsgericht und dann der Oberste Gerichtshof. 2020 landete der Fall in Straßburg von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – mit aktuell anderem Ausgang.
Legales Vakuum
Die bulgarische Nichtregierungsorganisation Dejstvie (Aktion), die sich für die Rechte von Angehörigen der LGBTQ+-Community einsetzt, bezeichnete das Straßburger Urteil als „historisch“ und „fundamental“. Es sei ein großer Schritt auf dem Weg zu einer Gleichstellung und werde viele Probleme von Menschen lösen helfen, die derzeit noch in einem legalen Vakuum existierten.
Denitsa Ljubenowa, Mitglied bei Dejstvie, hofft im konkreten Fall Koilowa und Babulkowa auf weitere Erfolge. So ist vor dem Sofioter Stadtgericht derzeit ein Verfahren Koilowas anhängig, die ihren Familiennamen ändern lassen möchte. Zudem streiten sich die Frauen mit dem Zentrum für Reproduktionsmedizin, das ihnen die Finanzierung einer Behandlung verweigert. Auch in dieser Hinsicht könnte, so Ljubenowa, die EGMR-Entscheidung zu einem wichtigen Faktor werden.
Die LGBTQ+-Community sieht sich immer wieder mit Gewalt, Hass-Sprache sowie Diskriminierung konfrontiert. Besonders hervor tut sich dabei auch die prorussische ultranationalistische Partei Wasraschdane (Wiedergeburt), die derzeit mit 37 Abgeordneten in der Nationalversammlung vertreten ist.
Im Juni hatte der EGMR Bulgarien dazu verurteilt, der Mutter eines 26-Jährigen eine Entschädigung zu zahlen, der durch einen homophoben Angriff in Sofia 2008 getötet worden war. Darüber hinaus hatten die Straßburger Richter Sofia dazu aufgefordert, das Strafrecht bezüglich von homophoben Straftaten anzupassen. Dieser Forderung kam das Parlament im vergangenen Juli nach.
Istanbul-Konvention noch nicht ratifiziert
Die weit verbreitete Abneigung gegen sexuelle Minderheiten in Bulgarien ist auch mit ein Grund dafür, dass der Balkanstaat immer noch nicht die Istanbul-Konvention ratifiziert hat – ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen. Besagtes Dokument wird von Kritiker*innen als „Einfallstor“ gesehen, um „Genderismus“ und die „LGBTQ+-Ideologie“ hoffähig zu machen.
Die Istanbul-Konvention war allerdings zuletzt ein großes Thema in Bulgarien. Ende Juli hatte der Fall einer 18-Jährigen tausende Menschen in Bulgarien auf die Straße gebracht. Die junge Frau war von ihrem Ex-Partner schwer misshandelt worden, der mutmaßliche Täter jedoch bereits nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gekommen. Mittlerweile ist er erneut in Haft.
Nicht zuletzt unter dem Druck der Proteste stimmte das Parlament bereits eine Woche später für Änderungen eines entsprechenden Gesetzes, um Menschen künftig effektiver vor häuslicher Gewalt zu schützen.
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