Ein weiterer Schritt zur Spaltung der Linken

Bei der Neuwahl des Vorstands der Linksfraktion im Bundestag Anfang September will Amira Mohamed Ali nicht erneut antreten. Ihre Ankündigung stößt auf ein geteiltes Echo

Nach Ansicht der Wagenknecht-Vertrauten Amira Mohamed Ali hat sich in der Linkspartei ein Kurs durchgesetzt, der „die Linke zunehmend in die politische Be­deu­tungs­losig­keit treibt“ Foto: Fo­to: Imago

Von Pascal Beucker

Die Ankündigung von Amira Mohamed Ali, Anfang September nicht wieder für den Vorsitz der Linksfraktion im Bundestag zu kandidieren, ist in ihrer Partei auf ein geteiltes Echo gestoßen. Die einen bedauern, die anderen begrüßen den Entschluss. Die meisten halten ihn für konsequent – jedoch aus unterschiedlichen Motiven. Die Spaltung der Linken rückt näher.

Als Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht steht Mohamed Ali seit 2019 gemeinsam mit Dietmar Bartsch der Linksfraktion vor. Am Sonntagabend veröffentlichte sie eine eineinhalb Seiten lange Erklärung, das künftig nicht mehr zu wollen. Ihr sei es „mittlerweile unmöglich geworden“, den Kurs der Linkspartei in der Öffentlichkeit „zu stützen und zu vertreten“, gab sie als Begründung an. „In der Parteiführung und unter einer Mehrheit von Funktionären hat sich ein Kurs durchgesetzt, der meinen politischen Überzeugungen an vielen Stellen deutlich widerspricht und der die Linke zunehmend in die politische Bedeutungslosigkeit treibt“, so Mohamed Ali. Als Beispiel nannte sie, dass „bewusst kein klares und grundsätzliches Nein zum falschen Kurs der Ampelkoalition formuliert“ werde. Das gelte insbesondere für deren Klimapolitik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährde.

Den letzten Ausschlag für ihre Entscheidung habe der einstimmige Beschluss des Parteivorstands Mitte Juni gegeben. Darin heißt es, die Zukunft der Linken sei „eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht“. In dem Beschluss, der auch die Zustimmung von Mohamed Alis niedersächsischem Landesverband erhalten hat, steht, es sei „ein Gebot des politischen Anstandes und der Fairness gegenüber den Mitgliedern unserer Partei, wenn diejenigen, die sich am Projekt einer konkurrierten Partei beteiligen, konsequent sind und ihre Mandate zurückgeben“. Mohamed Ali hält das für völlig inakzeptabel. In ihrer Erklärung vom Sonntag schreibt sie, dies zeige „in bis dahin noch nicht gekannter Deutlichkeit den Wunsch und das Ziel, einen Teil der Mitgliedschaft aus der Partei zu drängen“. Außerdem seien Abgeordnete „ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet“.

Die 43-jährige Mohamed Ali, die seit 2017 dem Bundestag angehört, gilt als Vertraute und eine Art Statthalterin von Wagenknecht. Wie ergeben sie ihr gegenüber ist, zeigt sich bisweilen an kleinen Dingen. So verzichtete die gebürtige Hamburgerin nach ihrem Amtsantritt darauf, das ihr zustehende Vorsitzendenbüro von ihrer Vorgängerin zu übernehmen. Keine Kleinigkeit ist es indes, dass sich Mohamed Ali – im Gegensatz zu Bartsch – bislang nicht von Wagenknechts Parteineugründungsplänen distanziert hat. Auch in ihrer Erklärung vom Sonntag hüllt sie sich dazu in Schweigen.

Das könnte daran liegen, dass die gelernte Rechtsanwältin zu jenen sieben bis elf Abgeordneten zählt, von denen es aus der insgesamt 39-köpfigen Fraktion heißt, dass sie sich möglicherweise an einem solchen „linkskonservativen“ Abspaltungsprojekt beteiligen würden. Dies würde das Ende der Linksfraktion bedeuten. Wagenknecht hat angekündigt, sich bis zum Ende des Jahres entscheiden zu wollen – wobei es sich für sie dabei nach eigener Aussage nicht mehr um eine politische, sondern nur noch um eine rein organisatorische Frage handelt. Gebrochen mit der Linkspartei haben sie und ihre Verbündeten schon länger.

Mohamed Alis Verzichtserklärung kann als Beleg des Scheiterns der umstrittenen Bündnispolitik des „Reformers“ Dietmar Bartsch gesehen werden. Denn trotz großer ideologischer Unterschiede stützt Bartsch bislang seine Macht in der Fraktion auf eine Kooperation mit dem Wagenknecht-Lager. Kri­ti­ke­r:in­nen sprechen von einer „Beutegemeinschaft“. Dass die blasse und rhetorisch nicht sehr versierte Mohamed Ali überhaupt an die Fraktionsspitze rücken konnte, gilt ihnen dafür als ein Beleg.

Nun wird sich Bartsch um­ori­en­tieren müssen. Mohamed Alis Rückzugsankündigung nutz­te das Wagenknecht-Lager umgehend zu einer – erneuten – Abrechnung mit ihrer Nochpartei. Der rheinland-pfälzische Abgeordnete Alexander Ulrich warf der Parteiführung vor, sie schaffe es, „nicht nur die Partei zu zerlegen, sondern nun auch die Bundestagsfraktion“. Die Linke verkomme „leider zu einer Sekte“, so Ulrich. „Wir hoffen auf Sahra Wagenknecht.“

Bereits im Juni hatte sich Ulrich mit seinem früheren Fraktionskollegen Diether Dehm öffentlich über eine mögliche Konkurrenzkandidatur bei der Europawahl im Juni 2024 unterhalten. Die wäre „schon ein wichtiger Test für eine solche Formation“, sagte er in Dehms Internet-Talkshow „Moats auf Deutsch“. Wenn es so komme, könne die Bundestagsfraktion der Linkspartei natürlich nicht fortbestehen. „Aber diejenigen, die möglicherweise zum Sahra-Wagenknecht-Flügel gehören, wir wären ja weiterhin im Bundestag“, sagte Ulrich. Bei einem Wahlerfolg kämen Parla­mentarier:innen auf Europaebene hinzu. Da bestünden dann schon Möglichkeiten, „diese Zeitspanne zwischen Europawahl und Bundestagswahl zu überbrücken“.

Ihr sei es „unmöglich geworden“, den Kurs der Linkspartei zu vertreten, so Amira Mohamed Ali

Für den Schritt Mohamed Alis habe er „größtes Verständnis“, schrieb der Ex-Parteivorsitzende Klaus Ernst im Onlinedienst Twitter, der inzwischen in „X“ umbenannt wurde. Ihr Rückzug werde „den Niedergang der Linken wohl beschleunigen“, so Ernst, der ebenfalls als Wagenknecht-Jünger gilt. Seine baden-württembergische Fraktionskollegin Jessica Tatti twitterte: „Wer den eigenen Genossen permanent die Tür zeigt, braucht sich nicht wundern, wenn sie irgendwann durchgehen.“

Demgegenüber bezeichnete die brandenburgische Abgeordnete Anke Domscheit-Berg den Kandidaturverzicht Mohamed Alis auf X als „richtige und nötige Entscheidung“. Denn die Führungsspitze der Linksfraktion sollte „selbstverständlich die Politik der Bundespartei vertreten“.

Der Bremer Landesvorsitzende Christoph Spehr beschied Mohamed Ali, deren Abschiedsbegründung sei „dünn“. Für eine alternative strategische Orientierung seien „der Wunsch nach einer russlandfreundlicheren Haltung, ein diffuser Neid auf die AfD-Erfolge, Milieu-Bashing und das Andocken an die konservative Erzählung vom grün-ruinierten Wirtschaftsstandort Deutschland zu wenig“, formulierte Spehr spitz.

Gebrochen mit der Linkspartei haben Wagenknecht und ihre Verbündeten schon länger

Der Schritt seiner Co-Vorsitzenden sei für ihn „nicht überraschend“ gewesen, sagte Dietmar Bartsch der Rheinischen Post und dem in Bonn erscheinenden General-Anzeiger. Er rief die Linkspartei zur Geschlossenheit auf. Es gelte die alte Regel: Eine Partei, die sich streitet, werde nicht gewählt. „Jedes Nachdenken über eine mögliche Parteineugründung ist aus meiner Sicht falsch, weil es nur die politische Rechte stärkt“, sagte Bartsch. Er werde „darum kämpfen, dass wir Fraktion im Deutschen Bundestag bleiben und es eine einflussreiche Linke in Deutschland geben wird“.

Die bayrische Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl schrieb auf X: „Aus meiner festen Überzeugung hat nur eine geeinte Linke die Kraft, dem neoliberalen Mainstream und Rechtsruck entgegenzustehen.“ Leider sei dies jetzt „nochmals unwahrscheinlicher geworden“. Sie dankte Mohamed Ali für ihre Arbeit.

Als „folgerichtig“ sieht der frühere Parteichef Bernd Riexinger den Rückzug Mohamed Alis. Sie habe „offensichtlich eingesehen, dass sie als Fraktionsvorsitzende in wichtigen Punkten nicht in Widerspruch gegen ihre eigene Partei operieren kann“, sagte er der taz. Das sei bisher „ja gerade ein Teil unserer Schwäche und das Dilemma der bestehenden Allianz in der Fraktion“. Die Partei habe ein klares Programm, wie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammengeführt werden können. Aufgabe der Fraktion sei es, das wie auch das Wahlprogramm in parlamentarische Initiativen umzusetzen. Außerdem müsse es insbesondere für eine Fraktionsvorsitzende „klar sein, dass Initiativen für eine Parteigründung aus der Fraktion heraus eine klare Absage erteilt wird“, so Riexinger. Gegen eine Spaltung der Partei einzutreten, habe „mit Hinausdrängen nichts zu tun, sondern müsste für alle Man­dats­trä­ge­r:in­nen eine Selbstverständlichkeit sein“. Offenkundig sehe Mohamed Ali das leider anders. „Jetzt hat die Fraktion die Chance, eine Führung zu wählen, die mit ihrer Partei kooperiert“, sagte der Bundestagsabgeordnete.