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Putins Erpressung mit dem GetreidedealHunger als Waffe

Kommentar von Barbara Oertel

Mit dem Auslaufen des Getreideabkommens will Putin die Aufweichung der Sanktionen erwirken. Soll der Westen sich auf diese Erpressung einlassen?

Aus der Ukraine in die Welt: Getreide für den Export in einem Lager im Oblast Kyjiw Foto: Efrem Lukatsky/ap

M it der Weigerung, die sogenannte Schwarzmeer-Initiative über eine sichere Ausfuhr von ukrainischem Getreide zu verlängern, schreibt der Kreml dieser Tage ein weiteres zynisches Kapitel seines Angriffskriegs gegen die Ukrai­ne. Hunger als Waffe einzusetzen – bereits jetzt sind vor allem Menschen in Staaten des Globalen Südens Leidtragende dieser menschenverachtenden Strategie. Ihren Tod nimmt Moskau ebenso billigend in Kauf wie in Syrien, wo es Hilfslieferungen für die Bevölkerung blockiert.

Um jeder Legendenbildung vorzubeugen: Der Schritt, das Getreideabkommen auslaufen zu lassen, ist keine Reaktion Russlands auf das Bombardement auf die Krim-Brücke Anfang dieser Woche, sondern er ist einer mit Ankündigung. Dasselbe gilt für die jüngsten Angriffe auf Odessa und Mykolajiw, mit denen gezielt Getreidesilos und Hafenanlagen zerstört werden. Dazu passt die Ansage, Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, als militärisches Ziel zu betrachten. Ob es bei dieser Drohung bleibt oder das Planspiel „Schiffe versenken“ Realität wird, weiß derzeit niemand.

Offen auf dem Tisch hingegen liegen Moskaus Forderungen, um doch noch einzulenken. Dazu gehört, die russische Agrarwirtschaftsbank wieder an den internationalen Zahlungsverkehr Swift anzuschließen, was eine Lockerung der Sanktionen bedeuten würde. Offensichtlich scheinen die Strafmaßnahmen doch zu wirken.

Das oberste Ziel muss jetzt sein, eine drohende Hungerkatastrophe ungeheuren Ausmaßes abzuwenden. Doch dafür Moskaus Erpressungsversuch nachgeben? Dafür spricht, dass das Vorhaben, die Exporte auf der Grundlage des Abkommens zwischen Kyjiw, Istanbul und der UNO weiterlaufen zu lassen, nicht unbedingt aus der Krise führt. Die Exportlücke auf dem Schwarzen Meer dürfte durch Solidaritätskorridore, beispielsweise nach Polen, kaum zu schließen sein. Auch das Szenario, Frachter unter den militärischen Schutz der Türkei oder eines anderen Nato-Staats zu stellen, könnte zu einer Eskalation in diesem Krieg führen. Dem entgegen steht jedoch die Erfahrung, dass Russland sich an Vereinbarungen und Verträge nicht hält, wenn diese der Durchsetzung seiner Interessen im Wege stehen.

Apropos Interessen: Russland kann nicht daran gelegen sein, die Türkei, eine Schirmherrin des Abkommens, und China durch seine Blockadehaltung vor den Kopf zu stoßen. Und so schlägt sie also doch, die Stunde der Diplomatie. Nach Bekanntwerden von Russlands Entscheidung sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Er glaube, dass sein Freund Putin das Funktionieren dieses humanitären Korridors fortsetzen wolle. Ob diese Einschätzung zutrifft, wird sich zeigen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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13 Kommentare

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  • Bleiben wir doch ehrlich: auch die Sanktionen sind Erpressung.



    Also erpresst der Erpresser einen Erpresser...?!?

    • @WBD-399:

      Merkwürdige Wahrnehmung......



      Sanktionen sind wohl eher eine Konsequenz auf den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine. Und könnten im Übrigen aufgehoben werden, wenn dieser Krieg durch vollständigen Rückzug Russlands vom Territorium der Ukraine beendet würde.

      • @Life is Life:

        Man könnte auch, wenn man eine Außenministerin hätte, die zum Telefon greift, einfach mal reden und schauen. Vielleicht könnten russische Getreide- und Düngerexporte bei einer türkischen Treuhand bezahlt und über diese versichert werden. Dann wären russische Exporte möglich, die ja auch den Hungernden helfen.



        Und dann dürfte wohl auch Putin bereit sein, den Deal zu verlängern.



        Man könnte, wenn man eine Außenministerin hätte, die Diplomatie betreiben will.



        Aber leider.....

        • @Kartöfellchen:

          Es ist eine russische Propagandalüge, dass Russland Getreide und Düngemittel nicht exportieren könnte.



          Russland hat im Landwirtschaftsjahr 2022/23 mehr Getreide exportiert als jemals zuvor.



          Ich verweise für die diesbezüglichen Belege einfach mal auf meine Beitrag, den ich vor einigen Tagen geschrieben habe:



          taz.de/Getreideabk...bb_message_4562817



          Putin schiebt einen nicht vorhandenen Kausalzusammenhang - die Sanktionen verhindern russische Exporte, und das führt zu Hunger in der dritten Welt - vor, um eine Aufhebung von Sanktionen zu verhindern.



          Der tatsächliche Kausalzusammenhang ist: Russland blockiert/behindert durch militärische Gewaltandrohung den Seehandel der Ukraine/mit der Ukraine. Dadurch kommt weniger ukrainisches Getreide auf den Weltmarkt, was zu Preissteigerungen führt. Russland profitiert von diesen Preissteigerungen, weil es selbst genauso viel Getreide ausführt wie vor dem Krieg.



          Ob Menschen in der dritten Welt deshalb hungern müssen, ist doch Putin völlig egal. Weil Putin genau weiß. dass er die angedrohte militärische Blockade nicht durchsetzen kann (seine Flotte ist gerupft, die Ukrainer haben, siehe Krimbrücke, Unterwasserdrohnen, militärische Angriffe auf Handelsschiffe dürften schwere diplomatische Folgen haben) setzt er jetzt auf die Schädigung des ukrainischen Exportinfrastruktur - Häfen, Getreidelager etc.) Große Landwirtschaftsflächen sind ja eh schon zerstört - vermint, voller Blindgänger, überschwemmt, nicht mehr bewässerbar.



          Die beste Lösung wäre dieselbe, wie bei der sehr ähnlichen Diskussion im letzten Jahr: UN, Türkei und Ukrainer setzen die Inspektionen der Handelsschiffe ohne die Russen mit und teilen ihnen das Ergebnis mit. Da nun aber offene Gewalt gegen solche Schiffe angedroht wird, wäre ein Geleitschutz nötig, bzw. eine klare Ansage an die russische Seite, was passiert, wenn sie ein inspiziertes Schiff angreifen sollten.

    • @WBD-399:

      Ok, nennen wir die Sanktionen also Erpressung. Dann versuchen wir also, einen Verbrecher und skrupellosen Mörder durch Erpressung von seinem fortgesetzten Tun abzubringen. Da wir ihn nicht einfach festnehmen oder sonstwie unmittelbar stoppen können. Was genau ist das Problem?

  • Warum wurde Putin bei seiner Rückkehr aus Südafrika nicht abgeschossen?



    Solange dies nicht geschieht geht jede Art von Terror immer so weiter.



    Je mehr die humanistischen Leute zurückweichen, desto mehr.

    • @Land of plenty:

      Wann war denn die Rückkehr aus Südafrika? Ich hab gehört er hat die Teilnahme am Brics-Gipfel abgesagt. Gut, der soll eh erst am 22.08. stattfinden. Meinen Sie er hat sich im Datum geirrt oder ist er früher angereist und aus Langeweile wieder nach Hause zurück?



      Und warum soll er abgeschossen werden wenn ein Haftbefehl vorliegt den auch Südafrika ausführen will?

  • "Und so schlägt sie also doch, die Stunde der Diplomatie. Nach Bekanntwerden von Russlands Entscheidung sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Er glaube, dass sein Freund Putin das Funktionieren dieses humanitären Korridors fortsetzen wolle."



    //



    Es bleibt bei sehr kleinen Schritten, um das Schlimmste zu vermeiden, aber die Wiederholung derartiger Erpressung ist Kalkül in der Politik falscher Partner. Von Freundschaft zu sprechen und im gleichen Zusammenhang Putin und humanitärer Korridor zu adressieren, das dürfte den Opfern von Putins Krieg in der Ukraine höchst zynisch erscheinen. Über die Folgen von Hunger sind zumindest theoretisch hier viele Mitbürger:innen informiert, in der Praxis ist es noch viel schlimmer.

  • Finde das Framing hier unausgewogen, wenn die Russen fordern, dass die Erschwerungen für die Ausfuhr ihrer Lebensmittel gelockert werden ( wie meines Wissens initial vereinbart), heißt es mit Terroristen und Kriegsverbrechern verhandeln wir nicht. Wenn sie dann ihrerseits das Abkommen nicht mehr einhalten, dann ist es die Erpressung mit dem Hungertod.

    Das Ändert natürlich nichts daran, dass ein volkerrechtswidriger Angriffskrieg unrecht ist. Nichts des zu trotz sehen wir im Bezug auf den Getreide Deal hier mMn nichts weiter als ein geopolitisches "Game-of-Chicken".

    • @Berglandraupe:

      Das ist auch mein Eindruck, es geht hier nicht um Sanktionen gegen Getreide, sondern deren Bezahlung und Versicherung. Eine Treuhand der Türken könnte z.B. dies erledigen. Und so lange Russland den Deal einhält, wird das in Raten an Russland überwiesen.



      Win-Win. Aber wer das nicht machen will, auch der nimmt hungernde Menschen in Kauf.



      Aber Hauptsache, die Gesinnung stimmt. Was kümmern mich Folgen?????

  • Jeder (zumindest jeder staatliche Akteur) nimmt den Hungertod vieler inkauf. Ich denke mal mit so ca. 100 Milliarden ließe sich da so einiges erreichen, wenn es nicht gerade "Wichtigeres" zu tun gäbe.

  • Das meiste ukrainische Getreide wird vom reichen Westen zur Schweine- und Rindermast verwendet, nur ein kleiner Teil landet überhaupt in Afrika.



    Es gehört auch zur Wahrheit, dass wir den Afrikanern das billige ukrainische Getreide weg kaufen.

    • @Rudi Hamm:

      Das stimmt nicht, weil Schweine nicht mit Weizen gefüttert werden.

      Es ist aber vor Mais und Weizen, was die Afrikaner kaufen.

      Die Schweine kriegen Futtermais, nicht den für den menschlichen Verzehr.

      Dass das Narrativ nicht stimmt, war doch schon zu lesen, als es das erste Ma durch die Medien ging.