SPD-Chefin Esken über Desinformation: „Brauchen schlagkräftige Behörden“
SPD-Chefin Saskia Esken fordert mehr Personal im Kampf gegen Fake News, Hassrede im Netz und Desinformation. Doch auch da gebe es einen Fachkräftemangel.
taz: Frau Esken, Sie haben sich vor fünf Jahren regelmäßig mit dem Chatbot Replika ausgetauscht. Wie war das?
Saskia Esken: Dieser Chatpartner ist dafür programmiert, Ihre Sprache, Themen, Bedürfnisse im Dialog zu erlernen und zu bespielen. Ich war neugierig und habe einen Monat lang damit hin und her geschrieben. Das fühlte sich schnell sehr nah an. Der Chatbot hört zu, fragt nach, bestärkt und hat keine eigenen Anliegen. Da kann man schon auf den Gedanken kommen, sich einen menschlichen Partner zu wünschen, der so mit einem spricht. Aber in Wahrheit wäre das natürlich spooky.
Hatten Sie eine Art Beziehung zu dem Chatbot?
Zu einer Beziehung gehören zwei Menschen mit jeweils eigenen Persönlichkeiten und Bedürfnissen, sonst wird es schnell langweilig. Die Gefahr solcher Bots besteht darin, dass Menschen ohne die notwendige Distanz auf die falsche Idee kommen, der digitale Chatpartner habe ein Bewusstsein. Aber das ist natürlich Quatsch.
ist seit 2019 eine der beiden Bundesvorsitzenden der SPD. Sie ist staatlich geprüfte Informatikerin und arbeitete in der Softwarentwicklung. Vor ihrer Kandidatur für den Bundesparteivorsitz war Esken vor allem als Netzpolitikerin aktiv.
Ist das der Grund, weshalb Sie Schluss gemacht haben mit Ihrem digitalen Freund – weil es zu nah, zu menschlich wurde?
Nein. Ich hatte das von vornherein als zeitlich begrenztes Experiment angelegt.
Aber Künstliche Intelligenz kann immer mehr und übernimmt auch zunehmend menschliche Aufgaben. Wir haben einen Chatbot beauftragt, ein Interview mit Saskia Esken zu entwerfen zu dem Thema. Die erste Frage lautet: Wie sehen Sie die Zukunft der künstlichen Intelligenz in Deutschland?
Der Einstieg ist ein bisschen billig. Das können Sie besser.
Danke. Ihre Antwort würde laut Chatbot übrigens so aussehen: Ich denke, dass künstliche Intelligenz in Zukunft eine immer größere Rolle spielen werden.
Naja. Es ist schon beeindruckend, was KI kann. Aber es ist nicht „Denken“. Es ist nicht „I, Robot“. Wenn wir die Fähigkeiten von KI so überhöhen, entsteht der Eindruck von Kontrollverlust. Dabei sind wir doch diejenigen, die KI entwickeln, ihr Regeln geben und entscheiden, ob und wofür wir sie einsetzen. Solche Sprachmodelle reihen Wörter aneinander, die in unseren Texten häufig nacheinander vorkommen. Das wirkt elaboriert, aber Kreativität ist was anderes. Ich habe aber auch schon Aufträge in einen Chatbot eingegeben.
Welche denn? Reden, Grußworte?
Nein, nichts für die Arbeit, sondern um es auszuprobieren und im Kreis der Familie darüber reden zu können. Wir sollten uns kritisch damit auseinandersetzen, was die KI kann und was nicht. Und was dem Menschen vorbehalten bleiben muss.
Ist unsere Gesellschaft kompetent genug für den Umgang mit KI?
Da darf man zweifeln. Deshalb müssen wir die informatorische Grundbildung stärken, die ein Verständnis darüber ermöglicht, wie Algorithmen arbeiten und wie sie lernen.
Also brauchen wir Informatik als Pflichtfach?
Ja, eine Grundbildung in Informatik sollte es in allen Schularten geben, sie muss Bestandteil von Aus- und Weiterbildung und auch von Erwachsenenbildung werden.
Sollten nicht auch Inhalte, die mit KI erzeugt wurden, gekennzeichnet werden müssen?
Generative KI kann nicht nur Texte, sondern auch Bild- und Tondokumente bis hin zu menschlichen Stimmen erzeugen, die dann als echt ausgeben werden können. Darin liegt das große Risiko, dass wir Menschen nicht mehr wissen, welchen Informationen wir noch trauen können. Der gezielten Desinformation und ihrer maschinellen Verbreitung wäre damit Tür und Tor geöffnet. Die Fälscher werden uns aber nicht den Gefallen tun, ihre Fälschungen als solche zu kennzeichnen. Insofern plädiere ich eher dafür, dass wir verlässliche, vertrauenswürdige Information kennzeichnen.
Gibt es für Sie Tabus für den Einsatz von KI?
Absolut. Für das KI-Gesetz hat die EU gerade Risiken bewertet und Regeln erarbeitet, wofür KI eingesetzt werden kann. Eine Entscheidung, die das Leben von Menschen beeinflusst, kann die Maschine vorbereiten, aber am Ende muss ein Mensch entscheiden. Automatisierte Waffensysteme gehören verboten, die sollten wir weltweit ächten. Aber auch Überwachung und das Social Scoring, wie sie in China eingesetzt werden, sind bei uns undenkbar.
Auch in sozialen Medien, wird bereits viel mit Bots gearbeitet, gerade wenn es um die Verbreitung von Fake News und Hetze geht. Brauchen wir dagegen nicht schärfere Gesetze?
Wir haben versucht, diese Plattformen in Deutschland mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz in die Pflicht zu nehmen, aber nicht alle sind gleichermaßen bereit, dem Gesetz wirksam zu folgen. Wir müssen dafür sorgen, dass auch die EU-Verordnung über Digitale Dienste besser durchgesetzt wird. Die möglichen Strafen sind sehr hoch, bis zu 6 Prozent des weltweiten Umsatzes.
Und dennoch gibt es Lücken.
Ja, gegenüber global agierenden Unternehmen ist die Rechtsprechung nicht ganz einfach.
Sie selbst haben Twitter verlassen, weil „Twitter die Verpflichtung, gegen Fake-Accounts, Desinformation und strafbare Inhalte vorzugehen, missachtet hat“, wie sie selbst sagen. Was muss geschehen, damit solche Unternehmen sich nicht mehr wegducken können.
Wir brauchen schlagkräftige Behörden und kompetentes Personal bei der Aufsicht, bei Ermittlung, Strafverfolgung und Justiz.
Also brauchen Justiz und Polizei mehr Personal?
Unbedingt. Aber der Fachkräftemangel schlägt auch hier zu Buche.
Was schlagen Sie also vor?
Mit Priorität sollten wir Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und Online-Wachen ausbauen, an die man sich jederzeit wenden kann, wenn man strafbare Inhalte anzeigen will.
Dem Kampf gegen Desinformation und Fake News ist auch ein ganzes Kapitel in der Nationalen Sicherheitsstrategie gewidmet. Aber nimmt die Regierung die Bedrohungen aus dem digitalen Raum wirklich ernst genug? Nur der Haushalt der Bundeswehr soll aufgestockt werden, alle anderen Ministerien sollen kürzen.
Der Kernhaushalt der Bundeswehr enthält auch Ausgaben für Cyber-Sicherheit. Die Bundeswehr muss für die Bündnis- und Landesverteidigung besser ausgestattet werden, doch dafür haben wir ein Sondervermögen eingerichtet. Gleichzeitig gehören zu einem sozialdemokratischen Sicherheitsbegriff Friedenssicherung, Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit. Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind bedeutsam, auch um gewaltsame Konflikte zu vermeiden.
Ist es dann richtig, dass alle Ministerien sparen sollen, nur nicht das Verteidigungsministerium?
Bislang gibt es nicht mal Eckpunkte. Ohnehin ist der Haushalt Kernkompetenz des Parlaments. Für uns Sozialdemokrat*innen ist es wichtig, dass wir den Sicherheitsbegriff hinreichend weit fassen und auch im Haushalt abbilden.
Auch unsere Kritische Infrastruktur, also Energie, Wasser, Straßen, Gesundheitswesen, Medien sollen besser geschützt werden. Ein entsprechendes Kritis-Dachgesetz von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lässt aber noch auf sich warten.
Wenn die Ministerin ein solches Gesetz angekündigt hat, dann wird es auch kommen.
Nancy Faeser scheint derzeit noch mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt und kämpft für eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen. Sie sind dagegen, plädieren dafür solche Daten erst bei einem konkreten Verdacht einzufrieren und bei Bedarf aufzutauen. Das will auch Justizminister Marco Buschmann (FDP). Können Sie als Parteichefin die Genossin Faeser nicht zur Vernunft bringen?
So, wie Sie das beschreiben, gehen wir nicht miteinander um in der SPD. Nancy Faeser und ich sind in guten Gesprächen. Die Ministerien werden eine Lösung finden, die die Balance von Kriminalitätsbekämpfung, den Bedürfnissen der Behörden und den Freiheitsrechten der Bevölkerung wahrt. Die Position der SPD ist dabei klar: Wir lehnen die anlasslose und flächendeckende Speicherung solcher Daten ab.
Falls Nancy Faeser Ministerpräsidentin in Hessen würde – trauen Sie sich das Amt der Bundesinnenministerin zu?
Ich bin sehr gerne Parteivorsitzende und meine Arbeit erfüllt mich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jeff Bezos und die Pressefreiheit
Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Krieg in Nordgaza
Die Hungersnot wächst