Tokio Hotels Besuch bei Sachsens Polizei: Liebschaft mit den Cops
Ein PR-Stunt der anderen Art, als sich Band und Organ treffen. Was Anlass für kritische Nachfragen hätte sein können, hinterlässt nur seltsame Bilder.
„Wenn die Polizei in unsere DMs slidet, dann werde ich ganz aufgeregt“, gesteht Bill Kaulitz in einer Folge des Podcasts „Kaulitz Hills“, den er mit seinem Bruder Tom hostet. Er meint damit, dass die beiden zu ihrem Podcast Nachrichten von der Polizei auf Instagram bekommen. Nicht etwa, weil die Brüder, bekannt durch die Band Tokio Hotel, etwas verbrochen hätten. Sie lieben, ganz doll und unironisch, die Polizei.
Und die Polizei Sachsen liebt Tokio Hotel zurück. Unter den Ordnungshüter*innen muss es einige Fans geben. Denn nachdem die Zwillinge in mehreren Folgen die Polizei lobten – Tom angeblich mit ernsten Berufswünschen und Bill eher wegen der sexy Uniformen – lud die sächsische Polizei die Band auf ein Date ein.
Die Bullen-Bewunderer sagten zu. Vor einem Konzert in Leipzig besuchten sie mit ihren Bandkollegen Gustav Schäfer und Georg Listing sowie Heidi Klum die Bereitschaftsstelle. Sie bekamen „Einblicke in verschiedene Arbeitsfelder der Polizei“, wie die Polizei Sachsen auf Instagram schrieb, und durften Uniformen anprobieren. Was ein guter Anlass für kritisches Nachfragen hätte sein können, hinterlässt nur seltsame Instagrambilder.
Hier in Deutschland könnte man Tokio Hotel seit einer Weile vergessen haben. Die Kaulitz-Zwillinge zogen sich nach ihrem Erfolg mit der Pop-Rock-Band in den Nullerjahren in die USA zurück. Heidi Klum hat niemand vergessen. Aktuell moderiert das Supermodel ihre 15. Staffel von Germany’s Next Topmodel. Eine Show, die Sexismen und Rassismen reproduziert und junge Frauen unter Druck setzt.
Ein gutes Match
Die Polizei, gerade die Polizei in Sachsen, hat ein Imageproblem. Mangelnde Transparenz, ihr Umgang mit Demonstrierenden, die Nähe einiger Polizist*innen zu rechtsextremen Gruppen. Klar ist es für sie ein gutes Match, wenn Mitglieder einer kommerziell erfolgreichen Band auf die Polizei stehen. Und alternativ sind sie noch dazu! Na ja, zumindest legten sie in ihrer Anfangszeit die Grundpfeiler für die deutsche Emo-Bewegung und Frontsänger Bill geht mittlerweile offen mit seiner Queerness um.
Das Rendezvous in Leipzig dauerte etwa eine Stunde. Die Bandmitglieder posieren vor einem Polizeiauto mit leuchtenden Sirenen. Tom und Bill mit Beach-Waves (der welligen Surfer-Frisur), quietschgrünen Fingernägeln und großen Sonnenbrillen. Heidi Klum zeigt sich cool mit Lederjacke und Käppchen mit dem Emblem der Polizei Sachsen. Alle scheinen sich prächtig zu amüsieren. Bill teilte in seiner Instagram-Story Bilder von sich in Uniform und schrieb: „Wie ich nach meinem zukünftigen Ehemann suche“.
Dabei wäre Zeit genug gewesen, sich intensiver kennenzulernen und persönliche Fragen zu stellen. Die Band und Heidi Klum hätten die Beamt*innen fragen können, warum kürzlich ein Polizist in Zivil in Dresden einen Klimaaktivisten von der Straße schleifte. Sie hätten fragen können, wo die etwa 7.000 Schuss Munition geblieben sind, die von Polizisten der sächsischen Polizei 2018 entwendet wurden. Oder warum ein Polizeibeamter in Zwickau nach Vorwürfen der Weitergabe von Interna an Rechtsextreme immer noch eine hohe Stelle innehat.
Gerade bei Heidi Klum mutet die Anbandelung mit der Polizei seltsam an. Würde sie auch lachend in den USA zwischen Polizisten Fotos knipsen? Das Model besitzt die Staatsbürgerschaft der USA und verbringt einen Großteil ihres Lebens dort. In einem Land, in dem Diskriminierung und rassistisch motivierter Missbrauch von Macht gegenüber Schwarzen Menschen eine lange Geschichte hat? Man kann sich kaum vorstellen, dass die historisch gewachsenen Probleme in Heidi Klums eigener Biografie mit drei Schwarz gelesenen Kindern keine Rolle spielen. Wie erklärt sie denen, dass ihr Ehemann Tom Kaulitz gerne Kommissar Kaulitz werden möchte?
Bill sieht sich in Uniform heiraten
Auch bei den Kaulitz-Brüdern hätte man sich mehr erhoffen wollen. In ihrem Podcast schwärmen sie von Polizisten und laden sie zu Konzerten ein. „Polizei Berlin, ihr Süßen“, sagt Bill im Podcast und sieht sich in Uniform heiraten. Die Affäre zwischen der Band und der Polizei läuft also bereits länger. Bill verrät, dass sich sogar ein Polizeipärchen aus Stuttgart gemeldet habe, das seine Beziehung mit dem Frontsänger „intensivieren“ wolle.
Der Besuch in Leipzig bei der Polizei ist ein falsches Signal. Prominente wie Tokio Hotel und Heidi Klum könnten ihre Reichweite nutzen, um eine Reform in der Polizeiarbeit voranzubringen. Zum Beispiel durch Unterstützung von Bildungsprogrammen und Aufklärungsinitiativen.
Hoffentlich bleibt das zwischen der Polizei, Heidi und Tokio Hotel eine kurze Liebschaft. Falls sie anhält, bleibt die Frage, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert. Zum Beispiel die linke Band Kraftklub, die erst letztes Jahr einen Song gemeinsam mit Tokio Hotel aufgenommen hat. Vielleicht schreibt Tokio Hotel bei einem Berufswechsel ihre eigenen Songs polizeifreundlicher um:
Ich muss durch den Monsun
hab die Knarre dabei
Demo am Park
Steig in die Streife ein
Jetzt wird geräumt
Pfefferspray in der Hand
Und wenn ich nich' mehr kann, denk' ich daran
Bald demonstrieren wir zusammen
Durch den Monsun
Dann wird alles gut
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