Bundeskanzler in Afrika: Scholz beim „Klimachampion“

In Kenia besucht der Kanzler Afrikas größtes Erdwärmekraftwerk. Von dort könnte in Zukunft grüner Wasserstoff für Deutschland kommen.

Kenia, Olkaria: Bundeskanzler Olaf Scholz, besucht die größte Geothermie-Anlage Afrikas in Olkaria am Naivsha-See. Er steht zusammen mit Davies Chirchir, Minister für Energie in Kenia, vor einer Landschaft.

Olaf Scholz besucht Afrikas größte Geothermie-Anlage in Olkaria mit Energieminister Davies Chirchir Foto: dpa

NAIROBI/OLKARIA taz | So sieht also das Tor zur Hölle aus: Ein Tal bewachsen mit Büschen und Bäumen, zwischen denen dicke weiße Dampfwolken aufsteigen. Am Vorhof zur Hölle steht Olaf Scholz. Der Bundeskanzler ist nicht etwa zu Gast im Grünen Klimacamp, sondern im Hells Gate Nationalpark in Kenia. Südlich der Hauptstadt und mitten im Nationalpark liegt Afrikas größtes Erdwärmekraftwerk. Mit dem Dampf, der aus den vulkanischen Gesteinsschichten aufsteigt, wird Strom erzeugt – grüner Strom.

Kenia ist Vorreiter in Afrika bei erneuerbaren Energien. Fast 90 seines Strombedarfs deckt das Land aus Sonne, Wind und Geothermie. Bis zum Jahre 2030 sollen es 100 Prozent sein.

Für den Bundeskanzler, der auf dem gleichen Pfad unterwegs ist – bis 2030 will Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen decken -, war seine zweitägige Reise nach Kenia auch eine Bildungsreise. Den kenianischen Staatspräsidenten William Ruto nannte er einen „inspirierenden Klimachampion“ und am Samstag machte er sich in Olkaria selbst ein Bild davon, wie Kenia in Richtung Klimaneutralität eilt.

Eine willkommene Abwechslung von den häuslichen Querelen um dieses Thema. Vor gut zwei Wochen hat die Regierung einen Gesetzentwurf beschlossen, der vorsieht, dass ab 2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent klimaneutral sein soll. Jetzt mehren sich die Stimmen auch aus der Ampel, das Gesetz abzuschwächen. Die Debatte holte den Kanzler auch in Afrika ein, doch Scholz ist überzeugt, „die großen Fragen sind gelöst“.

Fast wie Atomkraft, nur sauber

Im kenianischen Olkaria kommt heißes Wasserdampfgemisch aus 3.000 Meter Tiefe, mit einem Druck von mehr als 10 Bar und mehreren hundert Grad an die Oberfläche. Über der Erde wird der Dampf vom Wasser getrennt und in Rohren, die wie überlange Spinnenbeine den Berg hinaufkraxeln, als Antriebsstoff zu den mächtigen Turbinen und den mit ihnen verbundenen Generatoren geleitet. Strom, der aus der Wärme der Erdkruste gewonnen wird, aus Energie, die praktisch immer und unbegrenzt zur Verfügung steht. Wie Atomkraft, nur ohne strahlende Abfälle.

Scholz ist beeindruckt. Vor kurzem habe er ja selbst ein Geothermiekraftwerk in Deutschland eingeweiht, aber dort habe man die Erdwärme nur zum Heizen genutzt. Der kenianische Energieminister Davies Chirchir kann da ein wenig angeben: Man plane perspektivisch die Leistung des Kraftwerks von derzeit 1 auf 10 Gigawatt steigern. Und das Ziel der klimaneutralen Stromerzeugung vielleicht schon vor 2030 erreichen.

Das geschieht auch mit deutscher Hilfe. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat Olkaria seit der Eröffnung Anfang der 1980er mit 215 Millionen Euro gefördert, nun sollen noch einmal 45 Millionen Euro an Krediten ausgereicht werden.

Auch in Deutschland sieht Scholz weitere Möglichkeiten für Erdwärmebohrungen. „Geothermie ist an viel mehr Stellen möglich, als viele heute denken“, sagt er vor der Kraftwerkskulisse am Höllentor. Seitdem er vor gut einem Monat das Geothermiekraftwerk in Schwerin einweihte, hat er sich für diese Form der klimaneutralen Energieerzeugung sichtlich erwärmt.

Bald Wasserstoff aus Kenia?

Doch dass Deutschland auf diesem Feld demnächst Kenia überholen könnte, ist nicht zu erwarten. Als zu teuer und ineffizient gilt die Stromgewinnung aus Erdwärme hier. Und im Gegensatz zum Afrikanischen Graben, an dessen Rand Olkaria liegt, hält sich die Zahl der tektonischen Risse auf der Mecklenburgischen Seenplatte in Grenzen.

Aber Scholz ist noch mit anderen Anliegen nach Kenia gereist. Denn dass er sich knapp einen Monat nach dem Besuch des kenianischen Präsidenten in Berlin, der Ende März fast gänzlich im Koalitionskrach, Pardon, Koalitionsausschuss verloren ging, zum Gegenbesuch aufmacht, ist doch ungewöhnlich. Es ist nicht nur die gemeinsame Geschichte, die beide Länder verbindet. Vor 60 Jahren war Deutschland das erste Land, das Kenia nach der Unabhängigkeit anerkannte. Und Anfang der 1990er erklärte der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt Gernot Erler der kenianischen Regierung wie Koalitionsregierungen funktionieren. Den Bundeskanzler treiben auch wirtschaftliche und geostrategische Interessen um.

Kenia will nicht nur seine grüne Energiegewinnung anheizen, sondern auch in die Produktion von grünem Wasserstoff einsteigen, jenes von Deutschland so dringend benötigte Gas für die Energiewende, dass seit dem Ausbleiben der russischen Gaslieferung Goldstandard hat.

Die Bedingungen für die Produktion von Wasserstoff seien in Olkaria perfekt, wie die Betriebsingenieurin dem Bundeskanzler erläutert. Direkt neben dem Kraftwerksgelände soll ein Energiepark entstehen, mitsamt Produktionsstätten für Wasserstoff. „Wir können unsere Energie direkt an die Industrie verkaufen“, verspricht sie. Den Wasserstoff (H2) wollen die Kenianer zwar zunächst für den eigenen Bedarf und um Dünger zu produzieren (NH3) verwenden. Doch wer weiß, vielleicht kann er ja in einigen Jahren auch nach Deutschland exportiert werden. Gespräche dazu liefen, heißt es aus der Bundesregierung. Mit unterschriftsreifen Abkommen werde aber demnächst nicht gerechnet.

Deutsche Unternehmen kaum in Afrika vertreten

Bereits heute ist Kenia Deutschlands größter Handelspartner in Ostafrika, mit einem Handelsvolumen von 460 Millionen Euro pro Jahr. Freilich mit deutlicher Unwucht zu Ungunsten Kenias. Um das etwas zu korrigieren, hat der Kanzler, der in Afrika sehr auf Augenhöhe bedacht ist, auch eine Wirtschaftsdelegation mitgebracht. Große Firmennamen sind nicht darunter, es sind vor allem In­ha­be­r:in­nen kleinerer und mittlerer Unternehmen, die den Kanzler begleiten. Und auch die sind anfangs skeptisch.

Der gesamte Kontinent ist für deutsche Firmen fast Terra incognita. Rund 880 Firmen sind nach Auskunft der German Trade Invest in Afrika aktiv, die Hälfte davon in Südafrika. Zum Vergleich: In Tschechien sind 4.000 deutsche Unternehmen angesiedelt. Die Zögerlichkeit der Deutschen habe auch mit der instabilen Energieversorgung zu tun, berichtet ein Mitglied der Wirtschaftsdelegation. Wenn Kenia nun in seine Stromversorgung investiere, würden sich sicher noch mehr Unternehmen für das Land interessieren.

Die Vorsitzende des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft, Sabine Dall’Omo, sieht auch strukturelle Gründe. Afrikanische Unternehmen produzierten oft am Anfang der Wertschöpfungskette, eine weiterverarbeitende Industrie existiere nur vereinzelt. „Das ergibt für einen deutschen Maschinenhersteller keinen Business case.“

Was aus betriebswirtschaftlicher Sicht logisch klingt, ist aus geopolitischer Perspektive ärgerlich. Denn China investiert schon seit Jahren strategisch in Afrika, baut Flughäfen, Schnellstraßen und vergibt Kredite, allerdings zu oft horrenden Zinsen. Westliche Länder haben dem wenig entgegenzusetzen und in den letzten Jahren den Anschluss verloren.

Frank Theek, ebenfalls Teil der Wirtschaftsdelegation und Geschäftsführer der IT-Firma authentik network, findet es allerdings gar nicht so schlecht, dass deutsche Großunternehmen Afrika noch nicht als Produktionsstandort entdeckt haben. Er kenne das aus der Zeit nach dem Mauerfall, sagt der Chemnitzer Unternehmer.„Damals errichteten große westdeutsche Unternehmen ihre Filialen im Osten und benutzten ihn als eine Art verlängerte Werkbank. Die Gewinne flossen in den Westen.“ Dieses Schicksal solle Afrika erspart bleiben, findet er. Es sei doch viel besser, die heimischen Unternehmen vor Ort zu fördern. Zum Beispiel mit Technologie.

Sein Unternehmen hat eine Art elektronisches Siegel entwickelt, ein codierter Sticker, der Produkte fälschungssicher macht. In Kenia sei der auf großes Interesse gestoßen. „Ich dachte anfangs, ich sei nur die Brosche am Revers des Kanzlers, aber diese Reise hat wirklich alle Erwartungen übertroffen“, freut sich der Unternehmer. Er habe gute Gespräche geführt, sei zuversichtlich bald mit kenianischen Firmen ins Geschäft zu kommen.

Mögliches Migrationsabkommen mit Kenia

Das dürfte dem Kanzler gefallen, der im Wochentakt in der Welt herumreist, auch um neue Verbündete gegen die autokratischen Großmächte China und Russland zu gewinnen, und ähnlich wie im Wahlkampf mit dem Versprechen auf Respekt wirbt. Die Afrikanische Union, das Pendant zur EU, soll auf Betreiben Deutschlands Mitglied der Gruppe der G20 werden.

Kenia hat er allerdings schon auf seiner Seite. Das Land hat den russischen Einmarsch in die Ukraine gleich zu Beginn verurteilt und Kenias Staatschef William Ruto tut dies bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Freitag erneut. Beide loben einander in höchsten Tönen – Ruto nennt Scholz seinen „very good brother“.

Man will die Klima- und Energiepartnerschaft vertiefen, zudem stellt Scholz einen leichteren Zugang junger, gut ausgebildeter Ke­nia­ne­r:in­nen zum deutschen Arbeitsmarkt in Aussicht. Ruto sieht Vorteile für beide Länder und verspricht im Gegenzug abgeschobene Landsleute zurückzunehmen. Außerdem tritt Kenia nun dem Klimaclub, den Scholz im vergangenen Jahr auf dem G7-Gipfel in Elmau gegründet hatte.

Nur ein kleiner Zwischenfall am Rande stört die kenianisch-deutsche Harmonie. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Freitag, bei der üblicherweise vier Fragen der Medien zugelassen sind, erklärt das kenianische Bundespresseamt die Pressekonferenz nach den Fragen der deutschen Jour­na­lis­t:in­nen für beendet. Die kenianischen Journalisten sind erbost. In einer kleinen Gruppe stehen sie zusammen und diskutieren. „Es ist so frustrierend“, sagt ein kenianischer Journalist. Dabei hätte man durchaus kritische Fragen gehabt an Ruto, der im März Proteste der Opposition mit Tränengas und Schlagstöcken niederknüppeln ließ.

Das trübt den Glanz des „Klimachampions“ etwas. So manche Energiepartnerschaft endete tragisch, weil Deutschland die autoritären Tendenzen des Partners nicht bemerken wollten. Immerhin hat Scholz Ruto nicht als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet.

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