Projekte gegen Antifeminismus: Vernetzen, melden, wehrhaft sein
Viele Menschen erleben im Alltag Antifeminismus, doch man muss diesem nicht alleine gegenübertreten. Die taz stellt drei Anlaufstellen vor.
Das erste bundesweite Monitoring
Seit Februar gibt es in Deutschland eine Meldestelle, die Vorfälle von Antifeminismus und geschlechtsspezifischer Gewalt aufnimmt. Vor allem geht es um Fälle unter dem strafrechtlichen Radar.
Antifeminismus ist alltäglich – aber noch viel zu oft ungesehen. Nicht nur feministische Aktivist_innen, auch das Bundeskriminalamt geht von einer hohen Dunkelziffer bei geschlechtsspezifischer Gewalt aus. Das soll sich nun ändern: Seit Februar gibt es eine Meldestelle, die Betroffene dabei unterstützt, bereits bestehende Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
Schon seit 2022 gibt es das Verbundprojekt „Antifeminismus begegnen – Demokratie stärken“, das über Antifeminismus informiert und Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. Seit Februar operiert innerhalb dieses Projekts nun die neue Meldestelle – und soll Licht ins Dunkelfeld bringen. Dazu nimmt die Meldestelle vor allem Vorfälle auf, die unter dem sogenannten strafrechtlichen Radar laufen.
Beispiele dafür sind etwa Gehsteigbelästigungen, die Abtreibungsgegner_innen vor Schwangerschaftskonfliktberatungen durchführen – und dafür bislang nicht strafrechtlich belangt werden. Auch queerfeindliche Narrative, die zum vermeintlichen „Kindesschutz“ herangezogen werden, gehören dazu.
Wer einen Vorfall melden möchte, kann unter antifeminismus-melden.de angeben, wann und wo der Vorfall stattgefunden hat. Expert_innen der Meldestelle prüfen die Meldungen – denn nicht jeder sexistische Übergriff ist auch antifeministisch. Vielmehr lasse Antifeminismus „organisiertes Vorgehen“ beziehungsweise eine „dahinterliegende politische Strategie“ erkennen, heißt es auf der Webseite.
Wer einen antifeministischen Vorfall nur beobachtet hat, ist dazu angehalten, den Vorfall ohne Namen zu melden. Falls Betroffene selbst Antifeminismus melden, können sie auf Wunsch an passende Unterstützungsangebote weiterverwiesen werden.
Wer antifeministische Hasskommentare abbekommen hat, kann sich an civic.net wenden, wer neben Antifeminismus auch Rassismus erlebt hat, findet Unterstützung bei DaMigra, dem Dachverband der Migrantinnenorganisationen. Momentan gehen dem Projekt zufolge täglich Meldungen ein. In einem jährlichen Lagebericht sollen diese Meldungen anonymisiert veröffentlicht werden. Auch soll es eine Chronik auf der Homepage geben.
Schon länger gibt es in einzelnen Bundesländern eigene Monitorings, die auch Antifeminismus erfassen, etwa mobirex in Baden-Württemberg oder das Berliner Register. Die neue Meldestelle ist das erste Projekt auf Bundesebene. Geleitet wird es von der Amadeu Antonio Stiftung, dem Gunda Werner Institut und dem Dissens-Institut für Bildung und Forschung. Das Bundesfamilienministerium fördert das Verbundprojekt im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
Dass das Projekt nötig ist, zeigen schon die Reaktionen: In Berichten vor allem konservativer Medien ist wahlweise von „staatlich finanziertem Pranger“, „Anschwärz-Portal“ oder „Denunziation“ die Rede. Dabei liegt die Gefahr für die Demokratie bei den Antifeminist_innen selbst. Nicole Opitz
Auch digitale Gewalt ist echte Gewalt
Rechte und frauenfeindliche Gruppen attackieren Menschen im Netz. HateAid hilft, sich zu wehren.
Sich austauschen zu einem gemeinsamen Hobby, politisch Gleichgesinnte finden, Netzwerke knüpfen, obwohl man räumlich weit voneinander entfernt ist. Das Internet ist ein Raum der tausend Möglichkeiten – eigentlich. Denn allzu oft werden Menschen aus diesem an sich so großen Raum herausgedrängt: Ihnen begegnen Hass und Drohungen, und das nicht nur von Einzelpersonen, sondern oft in Form organisierter Onlinemobs.
Digitale und analoge Gewalt seien eng verknüpft, erklärt die Organisation HateAid. Doch es gibt auch Unterschiede: Digitale Gewalt könne rund um die Uhr geschehen, vor einem riesigen Publikum und mit anonymen Täter*innen. Oft zeichne sie sich durch gezielt geplante Angriffe aus.
Warum beschäftigen wir uns in einem Dossier mit Antifeminismus? Schon in vielen Liedern wird besungen: „Know your enemy“. Oft ist Antifeminismus subtil. Wie wir ihn entlarven können, wird klar, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen: Welche Formen nimmt er an? Wer sind die Akteur*innen? Und wie können wir ihm begegnen? Alle Dossiertexte gibt es im Online-Schwerpunkt zum feministischen Kampftag.
Dieser digitalen Gewalt entgegenzutreten und Betroffene zu unterstützen ist das Ziel von HateAid. „Wir stehen an deiner Seite“, heißt es ganz oben auf der Webseite. „Denn Menschenrecht gilt auch digital.“ HateAid bietet Betroffenen Beratung und rechtliche Unterstützung. „Wir wollen, dass Gerechtigkeit nicht vom Geldbeutel abhängt“, erklärt das Projekt seine Prozesskostenfinanzierung. Außerdem gibt es einen Ratgeber zu digitaler Gewalt mit Strategien für (potenziell) Betroffene.
HateAid will Politik und Gesellschaft für Gewalt im Netz sensibilisieren. Betroffene müssten besser geschützt, Strafrecht und Strafverfolgung an die Realität des Internets angepasst werden. „Wir treten an, um die digitale Welt für alle zu einem positiven Ort zu machen“, erklärt HateAid: „Unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und vielem mehr.“ Zwar kann digitale Gewalt alle treffen, aber das Internet ist nicht für alle Menschen gleichermaßen (un)sicher.
Frauen erleben sehr viel häufiger digitale Gewalt als Männer – vor allem, wenn sie sich zu politischen Themen positionieren. Ebenso im Fokus stehen Queers, Personen of Color, muslimische oder jüdische Menschen – jene Gruppen, die ohnehin Diskriminierung erfahren. Ganz besonders trifft es jene, die zu mehreren dieser Gruppen zählen oder von anderen gezählt werden.
Deutlich wird das am Beispiel der Journalistin Sibel Schick. Seit Jahren wird sie als linke Frau of Color massiv im Netz angegriffen und bedroht. 2021 ging sie mithilfe von HateAid vor Gericht: Auf Facebook hatte ein Mann sie als „Volksschädling“ bezeichnet. Er musste 5.400 Euro Geldstrafe zahlen. Ein Sieg zwar, aber ein „Tropfen auf den heißen Stein“, wie Schick schrieb. Gewalt im Netz werde zu selten bestraft.
„Mit HateAid hatte ich realisiert, dass üble Nachrede nichts ist, was ich mir einfach so gefallen lassen muss – auch nicht als ehrenamtliche Kommunalpolitikerin“, schreibt auch die Potsdamer Stadtverordnete Anna Lüdcke (CDU) auf der Webseite des Projekts. „Das Stellen der Strafanzeige hat mich irgendwie wieder stärker und wehrhafter gemacht.“ Dinah Riese
Berlin dokumentierts
Das Berliner Register erfasst in allen Stadtteilen Alltagsfeindlichkeiten und -angriffe. Seit 2021 gibt es zusätzlich zu Meldungen von LGBTIQ*-feindlichen Vorfällen auch die Kategorie Antifeminismus
Sonnenschein, klare Luft, ein Spaziergang durch den Treptower Park. Dann wird die Idylle gestört: Am Laternenpfahl prangt ein Aufkleber mit der Aufschrift „Homo-Propaganda stoppen“. Der Sticker ist vom Layout so peinlich wie generell die Aussagen der rechtsextremen Neonazipartei III. Weg. Wütend macht er trotzdem. Wut ist gut, um den Sticker schwungvoll abzureißen. Durch das Berliner Register kann man zusätzlich noch andere Menschen für derartige Propaganda sensibilisieren. Auf www.berliner-register.de kann die Alltagsfeindlichkeit online schnell dokumentiert werden.
In der Chronik werden Vorfälle aufgenommen, die rassistisch, antisemitisch, LGBTIQ*-feindlich, antiziganistisch, extrem rechts, sozialchauvinistisch, ableistisch oder antifeministisch sind. Die Hinweise kommen von Berliner Bürger*innen, Mitarbeitenden des Registers oder auch durch Pressemeldungen der Polizei. Die Gewaltstatistiken der Berliner Polizei darf das Berliner Register aus Datenschutzgründen nicht mehr einarbeiten.
Die gemeldeten Vorfälle werden in einer Chronik veröffentlicht und einmal im Jahr ausgewertet. Für jeden Berliner Bezirk gibt es außerdem eine eigene Chronik, sodass sichtbar wird, an welchen Orten der Stadt es häufiger zu Diskriminierungen, etwa durch die ansässige rechte Szene, kommt. Als Gegenaktion können gezielt Kiezspaziergänge dort organisiert werden, wo es besonders viele diskriminierende Sticker zu entfernen gibt. Eine Verifizierung der Vorfälle findet durch Fotos oder persönliche Nachfragen statt.
Berlin ist mit dem vom Senat geförderten Melderegister schon einen ganzen Schritt weiter als viele andere Städte. Eingerichtet wurde das erste Register 2005 in Berlin-Pankow. Seit 2016 gibt es Register in allen Berliner Bezirken. Diese verweisen die Betroffenen oder die Meldenden, wenn gewünscht, auch an über 100 weitere Anlauf- und Beratungsstellen.
2021 nahm das Berliner Register „Antifeminismus“ als einzelne Kategorie auf: „Wir haben die politische Relevanz erkannt, die hinter der antifeministschen Ideologie steckt und wollen diese abbilden“, sagt Projektleiterin Kati Becker. Für 2021 wurden 26 antifeministische Fälle gemeldet, 2022 bewegt sich die Zahl in einem ähnlichen Rahmen.
Allerdings werden auch Angriffe auf LGBTIQ*-Personen einzeln erfasst, die häufig zudem antifeministisch sind, so Becker. 2021 wurden 198 dokumentiert. Das gleiche gilt für rassistische, ableistische oder antisemitsche Vorfälle. Eine Meldung, ein Eintrag. Doppelt gezählt wird beim Berliner Register nichts. Zu den antifeministischen Meldungen aus dem Jahr 2022 zählten etwa der „Marsch für das Leben“ oder antifeministische Grafittis an einem Kiezladen. Sensibilität für Anfeindungen zu schaffen ist eines der Ziele des Berliner Registers. Deshalb bietet die Seite auch ein ausführliches Glossar mit Begriffserklärungen und (Zahlen-)Codes von rechten Gruppen.
Unter „Antifeminismus“ weist das Glossar auf die sich häufenden antifeministischen Kampagnen hin, etwa in den sozialen Netzwerken gegen Politikerinnen wie Renate Künast, Sawsan Chebli oder Annalena Baerbock. Auch die Drohbriefserie „NSU 2.0“, die vorrangig an in der Öffentlichkeit stehende Frauen ging, zeige laut Becker, wie wichtig es sei, antifeministische Angriffe besser zu dokumentieren. Linda Gerner
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