piwik no script img

Anhörung zur WahlrechtsreformMit dem Grundgesetz vereinbar

Die Ampel will den Bundestag verkleinern. Bei der Anhörung im Ausschuss zeigt sich: Die meisten Sachverständigen haben keine Bedenken.

Der Bundestag soll kleiner werden: Blick in den Plenarsaal Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Bei der Anhörung zur Wahlrechtsreform, die der Innenausschuss des Bundestags am Montagmittag durchgeführt hat, hielt die Mehrheit der Sachverständigen den Gesetzentwurf der Ampel für mit dem Grundgesetz vereinbar.

Allein die beiden Expert*innen, die auf Vorschlag der Union Stellung nahmen, formulierten verfassungsrechtliche Bedenken. Ihr Hauptproblem: dass die Wahlkreisstimme, mit der die Di­rekt­kan­di­da­t*in­nen im Wahlkreis gewählt werden, an Bedeutung verliere. Die Wahlkreisstimme werde zu Beiwerk degradiert, sagte etwa die Jura-Professorin Stefanie Schmahl von der Universität Würzburg. Das verletze die Unmittelbarkeit der Wahl und sei verfassungsmäßig problematisch.

Mit dem Gesetzentwurf, den die Ampelkoalition in den Bundestag eingebracht hat, soll das Parlament auf seine Richtgröße von 598 Abgeordneten begrenzt werden, derzeit sind es 736. Dafür sollen Überhang- und Ausgleichsmandate wegfallen. Diese entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate holt, als sie nach dem Zweitstimmenergebnis bekommen würde. Nach den Berechnungen der Ampel wären von der Reform alle im Bundestag vertretenen Fraktionen gleichermaßen betroffen.

Schafft man die Überhang- und Ausgleichsmandate ab, kann es passieren, dass jemand, der einen Wahlkreis gewonnen hat, nicht in den Bundestag einzieht. Hier setzt die Kritik der Union und der von ihr geladenen Ex­per­t*in­nen an. Die anderen acht Sachverständigen kritisierten dies nicht. Bei drei von ihnen ist das nicht überraschend, sie haben an dem Gesetzentwurf der Ampel mitgearbeitet. Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf, die auf Vorschlag der SPD geladen war, hat das aber nicht. In der Anhörung betonte sie sogar, dass sie ein anderes Konzept bevorzugt hätte. Sie sagte aber auch, dass der Vorschlag der Ampel „einen gordischen Knoten“ durchschlage. Er sichere die vorgesehene Größe des Bundestags und die Proportionen des Wählerwillens. Beides sei jahrzehntelang nicht der Fall gewesen.

Gesetzentwurf soll bis Ostern verabschiedet werden

Auch Uwe Volkmann von der Uni Frankfurt, der auf Vorschlag der Grünen dabei war, sprach von einer „großen politischen Leistung“, die viele dem politischen System nicht zugetraut hätten. Beide betonten, dass aus ihrer Sicht der Gesetzentwurf grundgesetzkonform sei. Schönberger machte klar, dass das deutsche Wahlrecht im Kern ein Verhältniswahlrecht sei und der Gesetzgeber deshalb regeln könne, wie genau die von den Parteien errungenen Sitze besetzt werden.

Besonders deutlich machte dies Jelena von Achenbach von der Universität Gießen, die an dem Entwurf mitgearbeitet hat. „Es gibt keinen Anspruch auf ein Wahlkreismandat“, so die Juristin. Entscheidend seien die gesetzlichen Bestimmungen. Das jetzige Wahlrecht dürfe nicht zum Maßstab der Verfassungsmäßigkeit gemacht werden. Tarik Tabbara, Professor aus Bremen und von den Linken geladen, argumentierte für ein Ausländerwahlrecht, was im Entwurf der Ampel nicht vorgesehen ist. Einen von der AfD vorgeschlagenen Sachverständigen gab es nicht. Der Gesetzentwurf wird nun parlamentarisch weiter beraten, die Ampel will ihn bis Ostern verabschieden. Das ist mit einfacher Mehrheit möglich. Die CSU will dann klagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • Die Anzahl der Sitze und die Anzahl der Wahlkreise sollten ebenfalls übereinstimmen. Wobei die Wahlkreise vergrößert und die Anzahl der Sitze auf ein verträgliches Maß reduziert werden müssten. Die Zweitstimme war mir schon immer suspekt.

    • @Pia Mansfeld:

      Sie möchten ein 2(einhalb)-Parteien-System ? Wie die USA, GB, und noch schlimmere Beispiele es haben und scheint's behalten wollen ? Im Bundestag säßen dann CDUSU, SPD, AFD Ost und einige wenige Eine-Frau/Ein-Mann-Einsprengsel. Der Guardian empfiehlt in einem Kommentar dem Labour-Führer dringend, genau dieses abzuschaffen, weil "toxic". Damit jede Wählerstimme endlich auch was zählt.



      www.theguardian.co...e-electoral-reform

  • Jeder kennt den Spruch "Würden Wahlen etwas ändern wären sie verboten.". Offenbar würde sich durch die Direktmandate zu viel ändern, darum werden sie zugunsten der von den Parteien kontrollierten Listenmandate zwar nicht verboten, aber benachteiligt.

  • Daß ausgerechnet die von der Union empfohlenen "Sachverständigen" den Vorschlag für nicht verfassungsgemäß halten verwundert nicht.



    Offensichtlich hat die Union ja auch die größten Einbußen.



    Mir kam beim Lesen augenblicklich ein Spruch des "Walther von der Vogelweide" in den Sinn : "....... !"

  • Habe ich das wirklich richtig verstanden:

    Drei der Sachverständigen haben selbst mitgewirkt beim Gesetzentwurf.

    Dann sollte man diese Leute auch als das bezeichnen was sie sind, nämlich Vertreter der Fraktionen.

    Das Grundproblem am aktuellen Bundestagswahlrecht ist doch, daß Verhältniswahl und Direktwahl miteinander vermischt werden, obwohl sie nichts miteinander zu tun haben.



    Und keine der Bundestagsparteien will etwas daran ändern.

    Auch bei der sogenannte Reform der Ampelparteien können auch in Zukunft Überhang- und Ausgleichmandate entstehen, es verschiebt sich dabei nur etwas die Gewichtung zwischen Direkt- und Listenmandat zu Gunsten der Listen.

    Das liegt wahrscheinlich daran, daß die Parteien und damit deren Führungen zu 100 Prozent die Listen bestimmen. Bei Direktmandaten kann immer mal einer gewählt werden, der der Parteiführung ein Dorn im Auge ist.



    Man denke an Ströbele, Bosbach oder Gauweiler, die immer unabhängig waren und auch mal gegen die Parteilinie stimmten.

    Bei Kommunalwahlen in Hessen gab es übrigens noch nie ein Parlament, daß größer war als gesetzlich vorgesehen.



    Aber offene Listen mit Kumulieren und Panaschieren verbinden zwar Direkt- und Verhältniswahl ohne die Nachteile des Bundestagswahlgesetzes, aber der Einzug ins Parlament wird dann nicht mehr von den Parteien bestimmt, sondern direkt von den Wählern.

    Und genau das wollen die Parteien nicht. Dabei wäre das die Lösung aller Probleme.

    • @Don Geraldo:

      Kann schon sein, dass Kumulieren und Panaschieren am gerechtesten ist. Aber schon bei einer Landtagswahl führt das zu Auszähungsorgien, die jede Vorstellung sprengen. Wenn die Leiter der Wahlbüros dann immer noch so besetzt sind wie bisher, ist die schöne Gerechtigkeit und Unmittelbarkeit wieder dadurch gefährdet, dass überforderte Auszähler am Ende eben irgendwas aufschreiben und nicht wissen, wie sie welche Zettel zu zählen und zu bündeln haben.



      Schon eine einfache Bürgermeisterwahl kann das illustrieren, habs selbst erlebt...



      Will sagen: Manchmal ist ein Kompromiss das Optimum.

      • @Annette Thomas:

        In Frankfurt am Main wurden bei der letzten Kommunalwahl 93 Stimmen von jedem wähler per Kumulieren und Panaschieren verteilt.



        Und im Gegensatz zur Landtagswahl in Berlin lief das alles fehlerfrei.



        Dabei könnte man die Wahlbezirke so einteilen, daß deutlich weniger Stimmen zu verteilen sind.



        In Bremen gibt es aktuell ganze zwei Wahlkreise, das bedeutet vier Bundestagssitze nach gesetzlicher Größe.



        Da wäre die Auszählung mit Kumulieren und Panaschieren ja einfacher als die aktuell getrennte Auszählung von Erst- und Zweitstimme.

  • Die bestellten Experten haben doch genau das festgestellt,



    was die Partei jeweils erwartet hat.



    Für die Union ist es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.



    Die Linken wollen mehr Ausländer im Parlament, die



    AFD weiss wohl selber nicht was sie will.



    Das ganze Erststimmengedöns gehört abgeschafft, und die Parteien



    sollen über ihre Listen dafür sorgen, dass jede Region Deutschlands



    im Parlament vertreten ist.

  • Allerdings steht das Wort 'unmittelbar' nun mal auch im Artikel. Ob eine Hoeherwertigkeit der von Parteien besetzten Listen gegenueber einer evt direkt gewaehlten Person dem entspricht ist tatsaechlich etwas komplizierter

  • Wie kann es sein ,dass ein gewählter Kandidat nicht ins Parlament einziehen kann?! Dann werden viele gar keinen Sinn mehr im Wählen sehen! Warum vergrößert man nicht einfach die Wahlkreise? Immer zwei zusammenlegen und man hat nur die Hälfte an direkt gewählten Kandidaten.

    • @Emsch:

      Das IST die Lösung, und die einzige dazu. Gründen wir 2 ne Partei, die WWU Weniger-Wahlkreise-Union , das BWB23 Bessere-Wahlkreise-Bündnis, die WLG Wahlen-an-Land-Gemeinschaft oder das Bessere-Kita-Ges... ach nee, DER alberne Name is schon vergeben ...

  • Das angedachte (von den derzeitigen Abonnenten der Parlamentsmehrheit bereits beschlossene ?) System gibt Wahkreise, dortige Wahlkämpfer und damit Wähler der Lächerlichkeit preis. Vielleicht im Partei(en)interessse, nicht jedoch im Interesse unsrer Demokratie. Dann lieber ein Parlament mit 1000 Abgeordneten. Um daraus wieder 500 zu machen, muss zum Reinbeißen ein andrer saurer Apfel her, der zudem weniger komplizierten Denksport erfordert: Halbierung der Zahl der Wahlkreise, zugleich Beibehaltung all der gesetzlich und gerichtlich mühsam eingependelten Ausgleichsmechansimen zur Sicherstellung eines exakten Abbildens der Zweitstimmenverhältnisse (Steilhangmandate, Abbruchkantenmandate und ähnlich Bezauberndes). Kein Gericht der Republik wird daran was auszusetzen haben. Wenn zweitstimmentreue Zusammensetzung garantiert bleibt, eröffnet dies die Möglichkeit, Vorgaben zur Größe der einzelnen Erststimmen-Wahlkreise etwas flexibler zu gestalten. Sobald etwas kleinere oder größere Wahlkreise erlaubt sind, wird es leichter fallen, die jetzigen Wahlkreise eher in Angleichung an bestehende Verwaltungsgrenzen zu erweitern, also eher GANZE Stadtkreise oder Landkreise zu Wahlkreisen zusammenzulegen, anstatt wie bisher alle möglichen Landkreise zu halbieren oder zu dritteln und die Bruchstückchen wahlkreismäßig jeweils dem Nachbarn dranzukleben. Hat neeemlich bislang zur Folge, dass wählerin kaum je weiß, werwowas eigentlich ihr Wahlkreis ist. Und je onliner die Welt, desto selbstverständlicher lassen sich auch doppeltsogroße Wahlkreise bespielen, von Kandidatinnen ebenso wie von dann gewählten Abgeordneten.



    Sonst kann mensch nur hoffen, dass es gelingt, ampelangedachtes Modell doch irgendwie kaputtzuklagen.



    Demokratiezuckerl obendrauf: trotz zu erwartener niedrigerer Wahlbeteiligung: wie wärs mit nem Zweiten Wahlgang im Wahlkreis ? So hat die dann Gewählte das echte Mandat einer absoluten Wählermehrheit im Kreuz. Müssen alle, auch Listenfuzzis, halt 14 Tage bissel zittern.

    • @lesnmachtdumm:

      In der Reform werden Wahlkreisgewinner ja immer noch bevorzugt vor Listenkandidaten das Mandat erhalten. Nur wenn eine Partei zu viele Wahlkreise gewinnt und das nicht durch die Hauptstimme gedeckt ist hat ein Wahlkreis keinen direkten Abgeordneten.



      Aber mal auf Hand aufs Herz: Wer hier kennt den Namen "seines" Abgeordneten, geschweige denn seine Arbeit oder Funktion im Parlament, wenn es nicht gerade ein prominenten Kabinettsmitglied ist? Die meisten wählen nach Partei und auch die Kandidaten sind bisher davon abhängig gewesen dass der lokale Ortsverband sie nominiert. Parteilose Einzelbewerber die ein Mandat errungen haben gab es nur einmal, 1949.



      Btw: Bei der letzten Legislatur hatten über ein Dutzend Wahlkreise keinen direkten Vertreter mehr, weil Abgeordnete ins Kabinett wechselten oder anderweitig ausschieden und durch Nachrücker ersetzt wurden, die nicht aus demselben Wahlkreis stammten. Das hat keinen gestört, medial war das nirgendwo ein Thema.

      Ich persönlich hoffe das die Ampel diesen Entwurf durchbringt, er zurrt die Regelgröße endlich verbindlich fest. Damit kann die Bundestagsverwaltung planen bzgl.

      • @Phili:

        Ich kenne den Namen "meines" Abgeordneten und weiß, daß er den sicheren Wahlkreis nur bekommen hat, weil er der Neffe einer Parteigröße ist.



        Und das ist gängig. Ob es da "schlimmer" ist, das ganze System noch weiter in Richtung der in abgekapselten Parteigremien ausgemauschelten Listen zu schieben, ist eine offene Frage.

  • Lachnummer und Feigenblatt: Drei der Sachverständigen haben selbst mitgewirkt.

    Wie wäre es in so einer entscheidenden Frage den Souverän mal selbst enscheiden zu lassen ?

    • @Bolzkopf:

      Die /Der Souverän hat entschieden, was sich im Bundestag wiederspiegelt. Und der "Souverän" bekommt eine Verkleinerung des Bundestages.

  • Applaus, Applaus, Applaus!



    Jahrelang nur leere Versprechen.



    Es scheint unglaublich, dass die Ampel in der Lage ist, dieses Vorhaben umzusetzen.



    Die Tatsache,dass der Staat mal ein paar 100 Millionen einspart, lässt hoffen und setzt sich wohltuend von Politikern ab, die sich z.B . beim Maskenskandal, noch zusätzlich die Taschen gefüllt haben.



    So zeigt sich auch sehr deutlich, wer die Reform bisher verhindert hat: CDU/CSU!

    • @Philippo1000:

      Nun, die Reform geht halt ganz offensichtlich zu Lasten der Union (vor allem der CSU), da ist der Widerstand durchaus nachvollziehbar. Und die Einsparungen werden auch nicht ein paar hundert, sondern bestenfalls etwa hundert Mio. sein. Natürlich - das ist nicht wenig!

      • @Wurstprofessor:

        Wenn die Extra-Wurst insbesondere für die CSU endlich beschnitten wird, ist das doch nicht unfair!

        • @Matt Gekachelt:

          Von Fairness habe ich kein Wort verloren. Aber daß der, dem am meisten weggenommen wird am lautest schreit - das ist doch völlig normal.

      • @Wurstprofessor:

        Laut Bund der Steuerzahler kostete 2020 ein Bundestagsmandat (Diät, Absetzbare Kosten, finanzierte Angestellte) 750 000 Euro pro Jahr.



        Das wären bei den eingesparten Sitzen rd. 103 Mio pro Jahr.



        Meine Betrachtung richtete sich auf eine Legislaturperiode.



        Da sich die erstatteten Kosten an der Teuerung orientieren, ist es möglich, dass die Kosten mittlerweile höher liegen.



        Was die Betroffenheit der CDU betrifft, so werden ja



        ( überwiegend) deren Überhangmandate durch Ausgleichsmandate in den Anderen Fraktionen ausgeglichen.



        Somit schrumpfen alle Fraktionen des Bundestages gleichmäßig.

    • @Philippo1000:

      Teile Ihre Meinung!