Sittenpolizei des iranischen Regimes: Der Westen lässt mit sich spielen

Sittenpolizei hin oder her – Unterdrückung von Frauen und menschenverachtende Ideologie sind Grundpfeiler des Regimes.

Eine Demonstrantin mit schwarzem Kopftuch schneidet sich eine Stähne ihres Haares ab, das unter dem Tuch hervorguckt

Die Sittenpolizei war nur die Spitze des Eisbergs, das wissen die Ira­ne­r:in­nen und ihre Verbündeten Foto: reuters/Henry Nicholls/File Photo

Die Nachricht schlug ein. Zumindest in deutschen Medien. Bild.de titelte am Sonntag: „Mullah-Regime löst iranische Sittenpolizei auf!“ Auf allen großen Nachrichtenseiten war die Meldung zu lesen, dass der iranische Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri am Samstag verkündet hat, die sogenannte Sittenpolizei aufzulösen.

Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob die ­Meldung so wirklich stimmt: Denn Montaseri hat im gleichen Atemzug gesagt, dass die Kon­trollen weitergehen sollen. Insgesamt gab es am Sonntag einige widersprechende Meldungen. Auch über Dementi vonseiten des iranischen Regimes wurde in den sozialen Medien gesprochen. Grundsätzlich kann man sagen: Ob die ­Sittenpolizei abgeschafft wird oder nicht – für die Menschen im Iran macht es keinen Unterschied.

Es war ebendiese Sittenpolizei, die Jina Amini am 13. September festgenommen hat. Ihr Tod löste die Protestbewegung aus, die nun seit fast drei Monaten mit unvorstellbarer Kraft Widerstand gegen das System der Islamischen Republik leistet.

Genau darum geht es: um das System. Über die Sittenpolizei spricht im Iran schon lange niemand mehr. Sie spielt bei der Niederschlagung der Proteste keine Rolle, ebenso wenig bei der systematischen Ausübung sexualisierter Gewalt in iranischen Gefängnissen oder bei der Verhängung von Todesurteilen. Die Menschen wollen nur eines: den Sturz des Regimes. Sie wollen Frau, Leben, Freiheit.

Die Sittenpolizei ist ohnehin eine eher neue Erfindung in der Islamischen Republik. Die „Sitten“, wie sich Frauen zu kleiden, was sie zu tun und zu lassen haben, gibt es seit 1979, seit der Machtübernahme Ruhollah Chomeinis. Polizei und Basidsch-Milizen kontrollieren und setzen diese Regeln mit äußerster Brutalität durch – auch schon vor der Einführung der Sittenpolizei 2005.

Im Iran hat die Meldung vom Sonntag viele Menschen gar nicht interessiert. Sie wissen, wie das Regime agiert. Im Iran gehen viele davon aus, dass die Verkündung, die Sittenpolizei abzuschaffen, eine Ablenkung ist. Westlichen Staaten soll sig­nalisiert werden, dass der Iran sehr wohl reformfähig sei – ein Spiel, dass das Regime seit vielen Jahren mit dem Westen spielt. Das überwältigende Echo deutscher Medien ist ein Hinweis darauf, dass dieses Spiel immer noch allzu gut funktioniert.

Unterdrückung der Frauen und menschenverachtende Ideologie sind Grundpfeiler des Regimes. Die iranische Führung hat vor 2005 auch ohne die Sittenpolizei erfolgreich Frauen unterdrückt und wird es weiter tun – Sittenpolizei hin oder her.

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Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.

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