Das ist doch der Gipfel

Mit zwei Tagen Verspätung einigt sich die Weltklimakonferenz auf eine Abschlusserklärung. Vorausgegangen war ein Streit, ob der Ausstieg aus fossilen Energien darin stehen darf

Fast vier Monate dauerte die letzte Flutkatastrophe in Pakistan. Als wesentliche Ursache des Extremwetterereignisses gilt der Klimawandel Foto: Zahid Hussain/ap

Aus Scharm al-Scheich Susanne Schwarz

Erleichterung – gepaart mit Erschöpfung und Hunger – zeigte sich in vielen Gesichtern der Teil­neh­me­r:in­nen auf der COP 27 im ägyptischen Scharm al-Scheich. Denn nach zwei durchverhandelten Tagen und Nächten fiel am frühen Sonntagmorgen im Plenarsaal „Nofretete“ endlich der Hammer für die Weltklimakonferenz. Ein großes Live-Publikum hatten die Regierungen und ihre Di­plo­ma­t:in­nen dafür zuletzt nicht mehr. Der Gipfel hätte planmäßig am Freitagabend enden sollen. Viele der zivilgesellschaftlichen und medialen Be­ob­ach­te­r:in­nen waren im Laufe des Samstags bereits abgereist.

Stunde um Stunde verzögerte sich das Abschlussplenum. In der hart umkämpften Abschluss­erklärung steht nun wieder drin, dass die Regierungen sich zu dem Ziel bekennen, die Erderhitzung bei 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Sie wiederholen auch die Feststellung aus ihrer letztjährigen Erklärung, dass dafür die Kohlenutzung heruntergefahren werden muss.

Das bedeutet auch, dass sich die wenigen Ölländer wieder durchgesetzt haben. Nicht beschlossen wurde nämlich, dass ein Abschied von fossilen Energieträgern im Allgemeinen nötig ist. Dieser Vorschlag von Indien fand sich trotz breiter Unterstützung schon in keinem der vorab kursierenden Beschlussentwürfe.

Die ägyptische Gipfelpräsidentschaft, die selbst zum Abschluss von Gas-Deals am Rande der Verhandlungen aufrief, hatte ihn trotz breiter Unterstützung schlicht nicht aufgenommen. Strikt gegen die Formulierung waren auch Ölländer wie Saudi-Arabien.

Scharm al-Scheich löste sich damit nicht vom Ritual der bisherigen Klimagipfel: Die 200 Staaten streiten sich darum, ob in Abschlusserklärungen stehen darf, was ohnehin alle wissen. Ein Ausstieg aus der Nutzung von Kohle, Gas und auch Öl ist schließlich die logische Konsequenz aus dem 1,5-Grad-Ziel. „Hoffnung und Frustration liegen nahe beieinander“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kurz nach Abschluss der Verhandlungen.

Die ägyptische Präsidentschaft ging bei der Koordination der Verhandlungen intransparent vor. Lange legte sie überhaupt keine Beschlussentwürfe vor, an denen sich die Ver­hand­le­r:in­nen hätten entlanghangeln können. Als es dann zum Ende der zweiten Verhandlungswoche die Papiere endlich gab, ähnelten diese eher losen Ideen­sammlungen als professionellen Verhandlungstexten. Das änderte sich kurz vor Gipfelende.

Denkbar ist, dass die Ex­per­t:in­nen des UN-Klimasekretariats Ägypten unter die Arme gegriffen haben. Das Abschlussplenum musste auf Bitte der Schweiz unterbrochen werden: „Wir haben keine Zeit bekommen, die Abschlusserklärung zu lesen“, beklagte dessen Landesvertreter.

Auch sonst waren die Rahmenbedingungen auf dem Gipfel schwierig: In der ersten Verhandlungswoche beschwerten sich Teil­neh­me­r:in­nen etwa über zu teures Essen und ständig leere Wasserspender. Ein kleines, trockenes Sandwich kostete an den Essensständen umgerechnet mehr als 10 Euro.

Ägypten reagierte und bot ab der Mitte des Gipfels einen Rabatt auf Essen sowie kostenlose Limonaden an. Während der Tag und Nacht laufenden Abschlussverhandlungen wurde das Gelände inklusive der allermeisten Essenstände allerdings schon abgebaut. In der Wüstenstadt Scharm al-Scheich ist das ein besonderes Problem, denn die Wege zum nächsten Geschäft sind kilometerweit und das Leitungswasser kann man nicht trinken. Und so wundert es nicht, dass viele auf den Fluren von der am schlechtesten organisierten Weltklimakonferenz, die es je gab, sprechen.

Trotz aller Widrigkeiten hat die Konferenz einen Durchbruch erzielt: Es wird einen Fonds geben, aus dem bei Schäden und Verlusten durch den Klimawandel geschöpft werden kann. Das ist eine jahrzehntealte Forderung armer Länder, besonders der kleinen Inselstaaten.

Wenn durch die Klimakrise beispielsweise eine Flut ganze Landstriche mit sich reißt oder eine Dürre die Ernte ausfallen lässt, sollen arme Länder Zugriff auf die internationalen Mittel haben. Die Industriestaaten traten bei dem Thema traditionell mit einer Blockadehaltung auf. Sie haben Angst, dass Zahlungen juristisch als Schuldeingeständnis gewertet werden könnten und eine Haftung für die gesamte Klimakrise nach sich ziehen könnten – was praktisch unbezahlbar wäre.

„Hoffnung und Frustration liegen nahe beieinander“

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Abschluss der Verhandlungen

Erstmals stand das Thema in Scharm al-Scheich auf der Tagesordnung einer Weltklimakonferenz. Von Anfang an wurde dazu festgehalten, dass es nicht um Haftungsfragen gehe. Dennoch traten die Verhandlungen anderthalb Wochen auf der Stelle. Die USA waren strikt gegen eine Zahlungsverpflichtung. Deutschland ließ mit Unterstützung der anderen G7-Staaten einen „Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken“ an den Start gehen, bei dem es um die Etablierung von Versicherungen gegen Klimaschäden geht. Das löste grundsätzlich Lob, aber auch Verwirrung aus: Sollte es sich vielleicht um ein Alternativprogramm und damit eine implizite Absage an einen Fonds für den Katastrophenfall handeln?

Erst kurz vor Ende der Konferenz kam die EU mit einem eigenen Vorschlag zu einem Fonds – und brachte die große Geopolitik auf den Klimagipfel. Sie störte sich an der üblichen Unterteilung der Staaten in Industrie- und Entwicklungsländer. Nach der müssen Erstere zur Klimafinanzierung beitragen, Letztere haben Anspruch auf Zahlungen.

Bundesaußenministerin Baer­bock gehört zu den lautstarken Kri­ti­ke­r:in­nen dieser Logik. Das Geld solle nicht an die gehen, „die nur noch auf dem Papier Entwicklungsländer sind“, sagte sie noch am Freitagnachmittag. Deutlicher Adressat: China, mittlerweile Wirtschaftsmacht und weltgrößter Emittent – aber laut der Klimarahmenkonvention von 1992 kein Industrieland.

Mit ihrem Vorhaben sind Baer­bock und der Rest der EU in Scharm al-Scheich vorerst gescheitert. Die Frage wird in ein Komitee ausgelagert, das die Details zu dem Fonds im kommenden Jahr klären soll. Auch wenn vieles noch vage ist: Dass es überhaupt einen Fonds geben soll, sorgt bei Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen aus dem globalen Süden für seltenes Lob nach einer Weltklimakonferenz. „Die COP 27 hat erreicht, was keine andere COP vorher erreicht hat“, sagte Mohamed Adow, Chef von Power Shift Africa.

Beim Eingrenzen künftiger Schäden und Verluste, also beim eigentlichen Klimaschutz, kam hingegen nur eine schwache Einigung zustande. UN-Chef António Guterres kritisierte die Regierungen deshalb scharf. Die Welt befinde sich „auf der Autobahn in die Hölle“, hatte er schon zum Auftakt des Gipfels gesagt. Dieses Urteil revidierte er nach Abschluss der Verhandlungen nicht. „Der Planet ist in der Notaufnahme“, sagte der Portugiese. „Wir müssen die Emissionen dramatisch verringern. Das anzugehen, hat die Klimakonferenz versäumt.“