Racial Profiling im Görlitzer Park: Rassismus in Uniform
Ein Strafbefehl gegen einen Schwarzen wegen unerlaubten Aufenthalts im Görli stellt sich als rassistische Polizeikontrolle heraus. Kein Einzelfall.
Beweisen lässt sich das verbotene Racial Profiling, also rassistische Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe, nur schwer – auch in F.s Fall. Spätestens seit diesem Dienstag ist jedoch erwiesen, dass alles, was nach F.s Kontrolle passierte, unrechtmäßig war: Die Beamten ziehen die Papiere des 25-jährigen Gambiers ein, nehmen ihn zur erkennungsdienstlichen Behandlung mit auf die Wache, beschuldigen ihn, mit Drogen zu handeln, und erstatten Anzeige gegen ihn. Kurze Zeit später erhält er einen Strafbefehl über 25 Tagessätze, weil er sich ohne Aufenthaltsberechtigung in Deutschland aufgehalten haben soll.
F. legt dagegen Einspruch ein und der Fall kommt vor Gericht. Bei der Verhandlung am Dienstagmorgen wirkt er gefasst, aber entschlossen. Mithilfe eines Dolmetschers erzählt er ruhig, was bei seiner Kontrolle Ende Juni geschehen ist: Ja, sein Ausweis war seit mehr als einem Monat abgelaufen. Nein, er hielt sich nicht illegal in Deutschland auf. Denn bereits zwei Monate zuvor hatte der Geflüchtete einen Termin bei der Ausländerbehörde vereinbart, um seine Papiere verlängern zu lassen.
Doch wie oft bei Berliner Behörden war der nächste freie Termin erst drei Monate später. Bis dahin ist der Ausweis weiter gültig. Das steht auch so in der Terminbestätigung der Ausländerbehörde, die F. immer dabei hat und die die Richterin laut vorliest.
Die Polizei beschuldigt ihn zu Unrecht, Drogendealer zu sein
Die Polizist*innen habe das jedoch nicht interessiert. Nachdem sie seine Fingerabdrücke genommen hatten, fährt F. nach Hause zu seiner Frau und ihren zwei Kindern. Er sei verzweifelt gewesen ohne seinen Ausweis, sagt der junge Mann. „Ich gehe niemals ohne Papiere aus dem Haus.“ Nicht ohne Grund, bereits zwei Mal sei er zuvor von Polizist*innen ohne Anlass kontrolliert worden, erzählt F. der taz.
Biplab Basu, Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt
Also fährt die Familie noch einmal zur Polizeiwache in Friedrichshain, wo die beiden Polizisten arbeiten. Doch statt Gerechtigkeit habe er dort weitere rassistische Demütigungen erfahren, erzählt F. So sei einer der Polizisten wütend geworden und habe vor seiner Familie behauptet, in seinem Führungszeugnis würde stehen, dass er mit Drogen dealt – eine Lüge, wie sich später herausstellt. Doch eine Lüge mit Folgen: „Verkauft Papa wirklich Drogen?“, habe der fünfjährige Sohn seine Frau danach gefragt.
Abubacarr F. wird am Dienstag freigesprochen. Selbst die Staatsanwältin hatte den Freispruch beantragt und musste einräumen, dass dieser Termin eigentlich gar nicht hätte zustande kommen dürfen.
„Es ist traurig, dass mein Mandant das überhaupt durchmachen musste“, sagt die Anwältin Ilil Friedman zu taz. „Ihm wurde etwas vorgeworfen, was überhaupt nicht strafbar ist.“ Denn selbst wenn sein Ausweis ungültig gewesen wäre – da er eine Aufenthaltsgenehmigung hat und nicht ausreisepflichtig ist, ist das nicht strafbar. Doch die Polizei habe nichts hören und sehen wollen. Für die Anwältin ist das reine Schikane: „Das war eine rassistische Polizeikontrolle, er wurde nur wegen seiner Hautfarbe für einen Drogendealer gehalten“, sagt sie.
Doch nicht nur der Polizei, auch der Staatsanwaltschaft und der Richterin, die den Strafbefehl unterzeichnet und ihn damit unschuldig verurteilt hat, wirft die Anwältin Fehlverhalten vor: „Wenn hier Unkenntnis vorlag, dann war sie rassistisch bedingt“, ist Friedman überzeugt. In ihrer Arbeit würden ihr häufig Fälle wie dieser begegnen. Viele Betroffene würden aus Unwissen jedoch nicht dagegen vorgehen, auch weil die Strafbefehle nicht übersetzt würden.
68 Beschwerden gegen die Polizei wegen Rassismus
„Dieser Prozess ist ein Skandal und wäre gar nicht nötig gewesen, wenn das System nicht so rassistisch wäre“, sagt Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) zur taz. „Die Polizisten sehen einen Schwarzen Mann im Görli und halten ihn automatisch für einen Drogendealer. Diese Sichtweise gehört abgeschafft.“ KOP will nun wegen Diskriminierung Beschwerde einlegen.
Seit Juni 2020 gibt es in Berlin das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), mit dem Betroffene gegen staatliche Diskriminierung etwa durch Polizeibeamt*innen vorgehen können. Seitdem sind bei der Ombudsstelle 109 Beschwerden gegen die Polizei eingegangen, davon mit 68 mehr als die Hälfte wegen rassistischer beziehungsweise herkunftsbezogener Diskriminierung, wie die Senatsjustizverwaltung auf taz-Nachfrage mitteilt.
Insbesondere im Görlitzer Park kommt es laut KOP und der Anwohner*inneninitiative „Wrangelkiez-United“ immer wieder zu rassistischen Polizeikontrollen. Der Görli gilt, ebenso wie etwa das Kottbusser Tor und der Hermannplatz, als „kriminalitätsbelasteter Ort“ (KbO). Seit rund zweieinhalb Jahren ist dort eine Brennpunkteinheit der Polizei unterwegs, die systematisch und „verdachtsunabhängig“ Personenkontrollen durchführen darf.
„Anlasslose“ Kontrollen treffen vor allem Nichtweiße
Laut einer Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp und Niklas Schrader werden dabei neben geringfügigen Drogendelikten wie dem Besitz von Cannabis vor allem Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz verzeichnet, 388 Fälle waren es im ersten Halbjahr 2022. Kontrolliert werden also überwiegend nichtweiße Personen, kritisieren die Abgeordneten.
„Die polizeilichen Maßnahmen bringen außer kurzfristigen Verdrängungseffekten nichts“, kritisiert auch die Initiative „Wrangelkiez-United“ und fordert statt einer Kriminalisierung von People of Color soziale Lösungen und die Abschaffung der KbO. „Eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Menschen ohne Papiere oder ein Angebot an Drogenkonsumräumen rund um die Uhr würde die Situation hier im Kiez entspannen – anders als die meisten Polizeieinsätze.“
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