Gefahren für die kritische Infrastruktur: Willkommen im hybriden Krieg
Nach der Zerstörung der Gasleitungen in der Ostsee dämmert es dem Westen: Lebenswichtige Adern wie Pipelines oder Internetkabel sind schlecht geschützt.
R ussland setzt die Zeichen für die nächste Eskalationsstufe im Angriffskrieg auf die Ukraine. Scheinreferenden, Abstimmungen unter Gewaltandrohung, die Annexion besetzter Gebiete. Die Verschiebung der Grenzen der Ukraine wird in einer absurden Zeremonie fixiert. Und: Der Krieg zeigt erneut die Verletzlichkeit des Westens.
International werden die Folgen des Krieges in ihren feinsten Verästelungen offenbar jetzt erst den politischen Entscheider:innen klar. Ein echtes Erweckungserlebnis. Jahrelang wurden technische wie energiepolitische Abhängigkeiten bewusst geschaffen. An einen doppelten Boden oder eine Exitstrategie hat keiner gedacht. Oder – so der ernüchternde Verdacht: Fallstricke wurden wissentlich eingepreist. Der Krieg trifft die EU, die globalisierte Welt an ihren neuralgischen Punkten.
Bestes Beispiel sind die vier Lecks an den beiden Ostsee-Pipelines. Noch ist unklar, wer für den mutmaßlichen Sabotageakt verantwortlich ist, vermutlich wird auch nie eine eindeutige Aufklärung möglich sein. Aber: Unsere kritische Infrastruktur ist in höchstem Maße anfällig. Vulnerabel – wie etwa Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kleinlaut zugeben muss. Und sie schiebt hinterher: Man müsse sich auf bisher nicht denkbare Szenarien vorbereiten.
Der Aufruhr über die ach so überraschende Erkenntnis ist groß. Hybride Kriegsführung ist kein Wortgeplänkel. Kein Begriff, den Politikwissenschaftler:innen nutzen, um Kriegstheorien zu prüfen. Dieser Krieg zeigt in einer Finesse, dass Krieg nicht nur an den Frontlinien, Soldat:in gegen Soldat:in, stattfindet. Nein, gekämpft wird im digitalen Raum, in Meerestiefe, an den Pipelines. Wer auch immer zum Täterkreis gehört, hat mit der Sabotage ein schmerzliches Signal gesetzt.
Warnungen wurden überhört
In den Fokus rücken nun die Unterseewasserkabel, über die zu großen Teilen unsere globale Kommunikation läuft. Der Schutz auch dieser kritischen Infrastruktur wurde offenbar nicht mitgedacht. Jetzt folgt die bittere Einsicht, dass Gefahrenabwehr für die Leitungen kaum möglich ist. Größte Hürden sind das Gerangel um Zuständigkeiten und hochsensibles Gerät zur Überwachung. Die skandinavischen Länder, aber auch Geheimdienste warnten vor Attacken. Gehört wurden sie nicht. Auch das ist bitter.
Der Westen, auch die Bundesregierung, setzte bisher keine Priorität für das Thema. Ein Versäumnis, das auch auf eine falsch eingeschätzte Bedrohungslage zurückzuführen ist. Hier bedarf es einer dringenden Korrektur: Unsere kritische Infrastruktur, Basis für Wirtschaft, Kommunikation, unsere Gesellschaft, ist Ziel dieses Krieges.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Mindestlohn feiert 10-jähriges Jubiläum
Deutschland doch nicht untergegangen
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars