Entlastungspaket der Bundesregierung: Doppelwumms trotz Schuldenbremse

Die Bundesregierung plant einen 200 Milliarden Euro teuren Abwehrschirm für Energiepreise. Er soll und kann über Kredite finanziert werden.

Grün angestrahlter Stromzähler

Der große Wumms bei den Eergiekosten: 200 Milliarden soll der Abwehrschirm kosten Foto: Revierfoto/imago

FREIBURG taz | Die Bundesregierung will 200 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen – um Bür­ge­r:in­nen und Unternehmen vor hohen Energiepreisen zu schützen. Verfassungsrechtlich ist dies möglich – trotz Schuldenbremse.

Vorige Woche stellten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihre Pläne für einen „Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskrieges“ vor. Kanzler Scholz gab ihm den griffigen Namen „Doppel-Wumms“, weil die bisherigen Entlastungspakete zusammen einen Umfang von rund 95 Milliarden Euro haben sollen und der neue Abwehrschirm mit mehr als dem doppelten Umfang angekündigt wurde.

Gigantischer Nebenhaushalt

Der Abwehrschirm ist zunächst ein gigantischer Nebenhaushalt, der über Kredite mit bis zu 200 Milliarden Euro gefüllt wird. Mit dieser Summe sollen folgende Maßnahmen finanziert werden: eine Gaspreisbremse (deren konkretes Design gerade von einer Expertenkommission erarbeitet wird), eine Strompreisbremse (in deren Finanzierung auch die Zufallsgewinne der Stromversorger einfließen sollen), Hilfen für Gasimporteure (als Ersatz für die gekippte Gasumlage) sowie weitere Hilfen für Unternehmen.

Auch wenn der Abwehrschirm über einen Nebenhaushalt ausgestattet wird und nicht über den regulären Bundeshaushalt, so sind die bis zu 200 Milliarden Euro doch bei der Schuldenbremse zu berücksichtigen. Laut Grundgesetz darf der Bund eigentlich nur Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttinlandsprodukts aufnehmen. Es ist aber möglich, dass sich der Bundestag auf die Notfallklausel des Artikels 115 Grundgesetz beruft. Dort heißt es: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.“

Schuldenbremse 2022 schon lange passé

In diesem Beschluss würde der russische Angriffskrieg und seine Folgen für die Energiepreise als „außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“ eingestuft. Das dürfte unproblematisch sein, auch wenn die Notlage teilweise auf Wirkungen der westlichen Sanktionen zurückgeht. Diese sind aber als gerechtfertigte Abwehrmaßnahmen ebenfalls dem russischen Angriffskrieg zuzurechnen. Inzwischen hat Russland auch selbst die Gaslieferungen gedrosselt und eingestellt.

Auch politisch fällt es der Ampelkoalition leicht, einen solchen Beschluss zu fassen, denn es ist schon lange klar, dass der Bund die Schuldenbremse 2022 nicht einhalten kann. Wie schon 2020 und 2021 hat der Bundestag bereits im Juni einen entsprechenden Beschluss gefasst. Konkret hat sich der Bundestag damals bereits eine Überschreitung der Kreditobergrenze um rund 115 Milliarden Euro genehmigt.

Vorteilhafte Buchungsmethode

Für die zusätzlichen „bis zu 200 Milliarden Euro“ des Abwehrschirms ist nun zwar ein neuer Beschluss des Bundestags erforderlich. Dabei genügt jedoch eine Mehrheit der Abgeordneten. Die CDU/CSU-Fraktion wird hier also nicht gebraucht und hat damit auch keine Verhandlungsposition.

Beim Sondervermögen Bundeswehr, das im Juni mit 100 Milliarden Euro eingerichtet wurde, war dieser Weg nicht gangbar. Der schlechte Ausrüstungszustand der Bundeswehr galt nicht als „außergewöhnliche Notsituation“. Dass die Bundeswehr marode ist, war schließlich keine Folge der russischen Aggression. Damit die Schuldenbremse für das Sondervermögen Bundeswehr dennoch nicht gilt, mussten Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz ändern.

Probleme könnte es beim neuen Energiepreis-Abwehrschirm nur an einem Punkt geben. Die Ausgaben sollen in den Jahren 2022 bis 2024 erfolgen, sie werden aber nur im Jahr 2022 bei der Prüfung der Schuldenbremse berücksichtigt. Diese Buchungsmethode ist für Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorteilhaft, denn sie ermöglicht ihm, die Schuldenbremse 2023 wieder einzuhalten. Zumindest kann er dies derzeit glaubhaft ankündigen.

Diese trickreiche Buchungsregel wurde erst vor rund einem Jahr im Zusammenhang mit dem zweiten Nachtragshaushalt für 2021 eingeführt. Damals setzte die Ampelkoalition durch, dass 60 Milliarden Euro nicht ausgegebene Coronahilfen in den Energie- und Klimafonds verschoben werden, um das Geld dann in den folgenden Jahren an der Schuldenbremse vorbei für klimaförderliche Konjunkturwiederankurbelung ausgeben zu können.

Unter anderem gegen diese neue Buchungssystematik haben 197 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im April 2022 eine abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Ein Erfolg der Unionsklage in Karlsruhe könnte auch die Pläne der Ampel mit dem Abwehrschirm durcheinanderbringen, insbesondere die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2023. Die Unionsabgeordneten haben zwar eine einstweilige Anordnung beantragt, noch ist aber völlig offen, wann Karlsruhe entscheiden wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.