Klimabewegung und Antisemitismus: Fürs Klima – und gegen Israel?

Einige KlimaaktivistInnen verbinden die Erderwärmung mit dem Nahost-Konflikt. Dabei überschreiten sie die Grenze zum Antisemitismus.

Roger Hallam spricht 2019 in Paris vor Publikum

Wegen antisemitischer Äußerungen umstritten: Roger Hallam, Mitgründer von Extinction Rebellion Foto: laif

BERLIN taz | Was hat der Nahost-Konflikt mit der Klimakrise zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel: Das eine ist eine menschengemachter geopolitische Auseinandersetzung, das andere eine menschengemachte, globale Veränderung des Klimas.

Für die Jugendorganisation „Revolution“ gehört dennoch beides zusammen: „Von Hamburg bis nach Gaza – Klimaintifada“, so moderierte die linke Gruppe auf Instagram ein geplantes Klima-Protestcamp im August an. „Auch wir wollen uns wieder daran beteiligen, doch sehen nach wie vor, dass die Umweltbewegung wichtige Schritte verpasst zu gehen um sich dem System effektiv in den Weg zu stellen und so unsere Lebensgrundlage zu retten“, schrieb „Revolution“.

Die Gruppe setzt, wie etwa auch das Bündnis Ende Gelände, auf mehr als nur Proteste und Blockaden. Nur: Was hat der Gazastreifen am westlichen Rand Israels damit zu tun? Und: Taugt die Bezeichnung für die gewalttätigen Aufstände von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen gegen Israelis – „Intifada“ – wirklich für Klima-Aktivismus?

Vielen in der Klimabewegung ging der Vergleich mit dem Nahost-Konflikt und die Verwendung des Begriffs „Intifada“ zu weit. Auf Nachfrage der Tageszeitung Welt distanzierten sich sowohl eine Sprecherin von Ende Gelände – die auch in Hamburg anwesend war – als auch Fridays for Future Hamburg von „Revolution“: Die Gruppe sei „nicht Teil des Bündnisses des System Change Camp“, man möchte mit ihren „sehr klar antisemitischen Äußerungen“ nicht in Verbindung gebracht werden.

Zu Distanzierungen gezwungen

Es ist nicht das erste Mal, dass sich deutsche Klimabewegungen zu solcherlei Distanzierungen gezwungen sehen. Eine diskursive Grenze zwischen den englischsprachigen Ablegern der Bewegungen und ihren deutschen Pendants ist dabei unübersehbar. Besonders eindrücklich zeigte sich das im Mai 2021. Unmittelbar nachdem ein neuer Gaza-Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas entflammt war, verfasste die Dachorganisation von Fridays for Future ein längeres Statement.

Unter dem Titel „Warum schreibt eine Gruppe für Klimagerechtigkeit über Palästina?“ fand sich unter anderem folgende Passage: „Als Organisatoren der Klimagerechtigkeit rufen wir zum Sturz jenes Systems auf, das entrechtete Communitys geschaffen hat, das die Klimakrise hervorgebracht hat und das auf Kolonialismus und Imperialismus aufgebaut ist.“ Damit war vor allem Israel gemeint. Dies zeigte eine dazu veröffentlichte Karte des Nahen Ostens.

„Die Verbindung zwischen einem Volk und einem Land geht über politische Motive hinaus“, hieß es weiter. „Unser Mitgefühl gilt allen Märtyrern und Toten. Die Gewalt und der Verlust von Menschenleben sind eine Tragödie, und ihr Blut wird nicht vergessen werden.“ Eine allenfalls ungewöhnliche, wenn nicht politisch schwierige Aussage: Miro Dittrich, der Mitgründer des Thinktanks CeMAS, der sich laut Eigenwerbung mit „Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus“ beschäftigt, nannte das im Frühjahr 2021 so: „Fridays for Future ist jetzt bei Blut und Boden angekommen.“

„Extrem einseitig anti-israelisch“

Die Aussagen veranlassten Fridays for Future Deutschland und FFF-Frontfrau Luisa Neubauer persönlich damals zu einer Distanzierung. Der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, begrüßte das. Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen bezeichnete er die Aussagen als „extrem einseitig anti-israelisch“ und meinte, sie enthielten „viel Antisemitismus“.

Wie hält es die Klimabewegung nun mit dem Israel-Palästina-Konflikt, und warum ist dieser für ihr Anliegen offenbar so wichtig? Der Journalist Nicholas Potter hat sich anlässlich des Vorfalls bei Fridays for Future im vergangenen Jahr mit dem Thema Antisemitismus in der Klimabewegung beschäftigt. Unter anderem schrieb er eine Analyse auf dem Nachrichtenportal der demokratiefördernden Amadeu Antonio Stiftung, für die er arbeitet.

Die Tendenz, den Nahost-Konflikt in andere aktivistische Felder miteinzubeziehen, gebe es nicht nur bei der Klimabewegung, sagt er der taz: „‚Climate justice means justice for Palestine‘, das ist genau so verkürzt wie ‚Palestine is a queer issue‘“, betont Potter.

Seiner Ansicht nach münden die Versuche vieler Klimagruppen, die Ausbeutung des Planeten als ganzheitliche, systemische Krise zu verstehen, beinahe zwangsläufig im Nahost-Konflikt: „Die Klimabewegung teilt die Welt auf in den globalen Norden und den globalen Süden“, so Potter. „Zu Recht, finde ich. Der globale Norden ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir diese Krise haben und der globale Süden leidet maßgeblich darunter.“

„Gewalt durch neokoloniale Ausbeutung“

Auf Ende Gelände scheint diese Weltsicht zuzutreffen: „Im Globalen Süden erleben Menschen tagtäglich die Gewalt des fossilen Kapitalismus, von dem wir im reichen Norden profitieren“, lautet etwa ein jüngeres Statement. Weiter: „Es ist Gewalt durch die Konzerne der Industriestaaten, Gewalt durch neokoloniale Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, durch Landnahme und Vertreibung.“ In dieser Logik, so Potter, stellten sich die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen als Teil des globalen Südens und Israelis als Teil des globalen Nordens dar, „und das führt zu einer Solidarisierung mit Palästina und zur Abwehr gegenüber Israel“.

Gleichzeitig beobachtet der Publizist, wie die Israel-Boykottbewegung BDS zunehmend versucht, Fuß in Klimabewegungen zu fassen. Die Kampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) möchte nach eigenen Angaben mit einem Warenboykott für Produkte aus israelischen Siedlungsgebieten Protest gegen die Politik des Nahoststaates zum Ausdruck bringen. Jüngst konzentrierte sich die Bewegung aber auch auf kulturelle Boykotte, etwa, indem sie Künst­le­r*in­nen zur Absage von Konzerten in Israel drängte.

Auf der offiziellen Homepage der BDS-Kampagne finden sich zahlreiche Beiträge zur Klimagerechtigkeit. Unter anderem gibt die Bewegung zu verstehen, dass die Klimakrise Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen „unverhältnismäßig stark“ betreffe und dass der Staat Israel mit seinen Klimaschutzbemühungen „Greenwashing“ betreibe. Während der Bundestag die BDS-Kampagne erst 2019 in einer Resolution als antisemitisch verurteilte, hat die Bewegung vor allem in den USA und Großbritannien einen größeren Einfluss und prominente Unterstützer*innen.

Generell scheinen Positionierungen von Klimabewegungen zum Nahost-Konflikt im Ausland nicht so sehr zu irritieren wie hierzulande – mit einer Ausnahme. 2019 erregte die Aussage eines prominenten Klimaaktivisten Aufsehen: Roger Hallam, Mitgründer der Klimagruppe Extinction Rebellion, bestritt in einem Interview mit der Zeit die Singularität des Holocaust und bezeichnete den Genozid als „fast normales Ereignis“ im Lichte vieler anderer Völkermorde der Geschichte. Der Ullstein-Verlag stoppte daraufhin die Auslieferung seines Buches, und der deutsche Ableger von Extinction Rebellion distanzierte sich von den Aussagen.

Provokationen, um Aufmerksamkeit zu schaffen

„Das sind gezielte Provokationen, um Aufmerksamkeit zu schaffen“, sagt Nicholas Potter. „Man hat das Gefühl, die Zeit läuft und man muss jetzt radikal und dramatisch agieren, damit dieses Thema beachtet wird. Und dann kommt es immer wieder zu Antisemitismus.“

Dennoch hält der Journalist die Klimabewegung für „nicht antisemitischer als andere soziale Bewegungen.“ „Vor allem Fridays for Future ist noch eine sehr junge Bewegung“, betont Potter. „Dort gibt es keine tiefen Analysen zu Nahost, Israel, Antisemitismus. Es geht um verkürzte Sharepics und Hashtags.“

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