Entlastungspaket der Bundesregierung: Eine neue Armutsdebatte

Krisen und steigende Preise machen vielen Menschen Angst, in Armut abzurutschen. Wichtig wäre jetzt ein Inflationsschutz für Grundsicherungsempfänger.

Ein Kind sitzt auf einer Treppe vor einer Hochhaussiedlung

Plattenbau in Leipzig-Grünau: immer mehr Menschen in Deutschland sind arm Foto: Thomas Eisenhuth/imago

Es gibt krasse Armutslagen. In London erzählte eine Rentnerin einem Stadtmagazin, dass sie nur noch jeden zweiten Tag ihre Toilettenspülung betätige, um Wasserkosten zu sparen. Ein zwangsgeräumter Rentner zieht als Obdachloser auf die Straße vor seinem Haus, um noch etwas Heimatgefühl zu spüren. So extrem ist es in Deutschland nicht, aber auch hier frisst sich die Armut von unten in die Gesellschaft hinein. Die neue Armutsdebatte unterscheidet sich dabei fundamental von der Diskussion um die Jahrtausendwende.

In den nuller Jahren war die Massenarbeitslosigkeit das politische Schreckgespenst. Heute suchen die Betriebe händeringend Arbeitskräfte. Aber das nützt jungen Leuten nichts, die zwar Jobs, aber in den Städten keine Wohnung für die Familiengründung finden. Alleinerziehende, chronisch Kranke, die in der Jobwelt nicht bestehen können, fürchten, zu verarmen – ebenso wie Alte, deren Rente nicht mehr für die steigende Miete reicht.

Pandemie, Ukrainekrieg, Klimakrise, Urbanisierung: Die sich überlagernden Krisen und dazu steigende Preise machen Angst. Das Paket mit Einmalzahlungen für Hartz-IV-Empfänger:innen und das 9-Euro-Ticket wurden am Donnerstag im Bundestag abgestimmt, beziehungsweise in erster Lesung beraten. Diese und andere Hilfen sollen Entlastung bringen. Vieles davon ist richtig, aber die Passgenauigkeit ist ein Problem: Tankrabatte und superbillige Nahverkehrstickets sind für Gutverdienende überflüssig. Wir brauchen vielmehr eine Diskussion über neue Abgaben auf hohe Vermögen und Erbschaften. Wann, wenn nicht jetzt, soll diese Debatte kommen?

Die Grundsicherung muss ausgebaut werden. Es ist richtig, wie schon in der Coronakrise, dass Menschen Grundsicherung beantragen können und dabei ein kleines Geldpolster und ihre Wohnung behalten dürfen. Doch überdies sollte zumindest ein Infla­tions­schutz für Grund­si­che­rungs­emp­fän­ge­r:in­nen eingebaut werden, der bei starken Preiserhöhungen die Regelsätze zeitnah anhebt. Das wäre ein Thema für künftige Armutsdebatten. Sie werden kommen.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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