Terror im Heiligen Land: Zwei, die auszogen, um zu morden

Für eine Nacht wirkt Tel Aviv wie eine Szene aus der Serie „Der Report der Magd“. Was den Täter trieb, ist Frustration und blinder Hass.

Kerzen auf einer Israelflagge nach dem Attentat in Tel Aviv

Trauer nach dem Attentat in Tel Aviv Foto: Oded Bality/ap

Zur Zeit des letzten Terrorattentats in Tel Aviv saß ich – gar nicht weit entfernt – mit zwei Freunden in einem Lokal – einer bayerischen Kneipe im Zentrum der Stadt. Plötzlich bemerkten wir, wie die Leute in dem Restaurant anfingen, besorgt auf ihre Handys zu starren. Es dauerte nur wenige Minuten, bis auch schon die Sirenen der Polizei- und Krankenwagen zu hören waren. Die Leute fingen an, das Lokal zu verlassen.

Wir blieben zwar, verzogen uns aber in die Bar im Keller und stellten uns vor, dort so sicher wie in einem Bunker zu sein, der uns vor der Wirklichkeit draußen, die uns zu diesem Zeitpunkt ein wenig verrückt und absurd erschien, schützen würde. Als ich das Lokal verließ, um mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren, sah die Stadt aus wie ein dystopisches Gelände; wie eine Szene aus der Serie „Der Report der Magd“: Überall Polizei und Sondereinheiten; die Straßen wie ausgestorben.

Die ganze Nacht über durchkämmten Sicherheitskräfte Straßen und Hinterhöfe auf der Suche nach dem Attentäter, der auf der Flucht war. Sie fanden ihn Stunden später und erschossen ihn auf der Stelle. Raad Fathi Hasem aus dem Flüchtlingslager Dschenin hat drei junge Männer, die im Ilka-Pub Bier tranken, erschossen und sechs weitere Menschen verletzt. Was wollte er damit erreichen?

Der für seine linke Haltung bekannte Gideon Levy schrieb in der Tageszeitung Ha’aretz, dass Hasem und viele wie er in einer Realität ohne jeden Sinn, unter Besatzung aufgewachsen sind. Seine Tat bringe in erster Linie seine Frustration darüber zum Ausdruck, dass er nicht so leben kann wie die Leute in der Ilka-Bar. Wie üblich stieß der Text von Levy auf großen Unmut und Widerspruch.

Es lässt sich schwerlich darüber streiten, dass Israel 1948 Hunderttausende Palästinenser vertrieben hat und 1967 das Westjordanland militärisch besetzte. Ebenso schwerlich lässt sich über das schreckliche Leid streiten, das den Palästinensern in all den Jahren seit 1948 bis heute angetan wurde. Aber es scheint, dass die sogenannte Palästinenserfrage heute unter dem Einfluss und der Kontrolle von Gruppen steht, die auf innerpalästinensischer Ebene ­politische und militärische Macht gewinnen wollen.

Die Attentate auf israelisch-jüdische Zivilisten dienen den Interessen dieser Gruppen, die im internen Machtkampf damit punkten können. Ein Teil der Täter der jüngsten Anschläge identifizierte sich mit dem IS. Andere mit der islamistischen Hamas. Sie haben nicht unbedingt das Ende der Besatzung zum Ziel.

Sie wollen als Schahid sterben, als Märtyrer, sie streben eine islamische Nation an, wollen „das Blut der Zionisten vergießen“, sich rächen oder einfach „im Gesicht der Juden explodieren“, wie einst Samson im Alten Testament, der den Tempel des Gottes Dagon zum Einsturz bringt und ruft: „Meine Seele sterbe mit den Philistern!“ – nur, dass er ein Israeli des Stammes Dan war, der ein Selbstmordattentat verübte.

Im Gegensatz zu den üblichen Reaktionen in vielen anderen Städten riefen die Leute in Tel Aviv nicht „Tod den Arabern“, und die Politiker sahen davon ab, die Bevölkerung anzustacheln. Die Leute kamen ganz still zusammen, zündeten Kerzen an, und am Ende kehrten sie in die Pubs und Cafés zurück – vielleicht ein Stück weit mit Verdrängung, vielleicht ein wenig trauriger.

Tel Aviv ist ein bisschen wie die Küstenstädte der Philister, die eine Anziehungskraft auf Samson hatten und die er zerstören wollte. Tel Aviv ist bei den radikalen Juden so unbeliebt wie bei den Palästinensern. Vielleicht überwinden sie sie und sie schmilzt im Schaum der Mittelmeerwellen, wie eine Stadt der Philister, wie ein Traum.

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ist Autor mehrerer Romane und populärwissenschaftlicher Schriften zu jüdischem Denken. Er leitet die Abteilung für Jüdische Kultur an der Sapir-Hochschule in Sderot.

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