Corona Fake News in China: Über 800 Millionen Klicks

Während die Bevölkerung die „Null Covid“-Maßnahmen immer offener kritisiert, befördern die Staatsmedien wirre Theorien über den Ursprung des Virus.

Personen mit Smartphones stehen in einer Schlange

Vor einem Testzentrum in Peking am 21. März Foto: Carlos Garcia Rawlins/Reuters

PEKING taz | Wer derzeit auf Chinas sozialen Medien unterwegs ist, fühlt sich wie in einem verfrühten Aprilscherz. Doch die scheinbare Satire ist real: „Studie beweist, dass das Coronavirus von einer US-Firma hergestellt wurde“, lautet die derzeit populärste Nachricht auf Weibo, der führenden Online-Plattform des Landes.

Was die angebliche „News“ noch abstruser macht: Ausgerechnet der Pharmakonzern Moderna soll hinter der Pandemie stecken. Bereits nach wenigen Stunden hatten 800 Millionen Chinesen auf die Schlagzeile geklickt.

Natürlich handelt es sich dabei um eine krude Verschwörungstheorie ohne faktische Grundlage. Die Spur geht auf einen Blogger zurück, der scheinbar willkürlich einen mehrere Wochen alten Artikel von einer britischen Homepage abfotografiert hatte, um ein wenig Aufmerksamkeit zu generieren.

Doch dabei ist es nicht geblieben: Chinas Staatsmedien haben sich umgehend auf die „Nachricht“ gestürzt und diese wissentlich weiterverbreitet. Auch die Online-Plattformen, die nur moderat kritische Postings aus vorauseilendem Gehorsam zensieren, haben die Desinformation prominent in ihrem Algorithmus platziert.

Die Manipulation verfängt erstaunlich gut

Mehr noch: Selbst ein Mitarbeiter des Außenministeriums ist sich nicht zu dämlich, den Unsinn weiterzuverbreiten. „Die US hat eine Verpflichtung, dies der internationalen Gemeinschaft zu erklären!!!“, schrieb der Regierungsbeamte Li Yang von der Pekinger Informationsbehörde auf Twitter.

Im Ausland lässt sich die Falschmeldung problemlos nach einer zweiminütigen Google-Suche als wirrer Unsinn ausmachen. Da jedoch innerhalb Chinas der freie Informationszugang systematisch blockiert wird, verfängt die gezielte Manipulation erstaunlich effizient. „Die Welt sollte Amerika für Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagen“, lautet einer von vielen erbosten Kommentaren.

Doch viele Nutzer haben auch die Manipulation durchschaut: „Niemand kümmert sich um den Wahrheitsgehalt, solange es zu unserer Agenda passt – und jeder, der die Nachricht in Frage stellt, wird als Hund der Amerikaner diskreditiert“, schreibt ein Poster.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Regierung in Peking und ihre medialen Handlanger Sündenbock-Theorien zum Coronavirus in Umlauf bringen. Im Frühjahr 2020, als das Gesundheitssystem Norditaliens kollabierte, streuten Chinas Staatsmedien das Gerücht, dass die Pandemie möglicherweise von Südeuropa aus ihren Ursprung genommen habe.

Die Stimmung zur Null-Covid-Strategie kippt

Der Zeitpunkt für dieses plumpe Ablenkungsmanöver ist sicher kein Zufall. Denn in der Volksrepublik kippt erstmals die Stimmung innerhalb der Bevölkerung. „Wieso kann nicht auch China die Covid-Maßnahmen locken?“, fragten Chinas Internetnutzer auf den sozialen Medien.

Denn die Situation ist in vielen Städten prekär, darunter in Shanghai. Dort berichten etliche Betroffene von ihren Horror-Geschichten: Infizierte, die keine oder nur milde Symptome haben, werden in unbeheizte Zimmer überfüllter Covid-Krankenhäuser gesperrt, wo sie drei Wochen lang oftmals ohne fließend Wasser und mit überlaufenden Toiletten ausharren müssen. Die Videos, die online kursieren, sind für eine Metropole wie Shanghai geradezu beschämend.

Und am Donnerstag ist eine weitere Frau aufgrund der dogmatischen Maßnahmen gestorben. Die Krankenschwester Zhou Shengni erlitt einen Asthmaanfall, doch etliche Krankenhäuser weigerten sich, die Chinesin ohne einen negativen PCR-Test zu behandeln – darunter auch der eigene Arbeitgeber von Zhou.

Doch die Regierung wird trotz der vielen Kollateralschäden dieses Jahr an ihrer radikalen „Null Covid“-Strategie festhalten. Das hat auch politische Gründe: Im Herbst findet in Peking der 20. Parteikongress statt, auf dem Staatschef Xi Jinping seine dritte Amtszeit ausrufen wird – eine in China außerordentlich sensible Angelegenheit. Die Krönung des Machterhalts soll durch nichts gefährdet werden, insbesondere durch keine Infektionsstränge.

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