EU-Afrika-Gipfel: Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Das Treffen wird vom Streit um Impfstofffreigabe und vom geplanten Truppenabzug aus Mali überschattet. Soldaten sollen wohl nach Niger verlegt werden.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Präsident des Senegals Sall, Präsident von Frankreich Macron, Präsident des Europäischen Rats Charles Michel bei einer Pressekonferenz.

Viele Präsident:innen, darunter von der Leyen, Senegals Sall, und Macron Foto: John Thys/ap

BERLIN/BRÜSSEL taz | Eine gemeinsame „Allianz“ wurde es nicht, für eine „Gemeinsame Vision für 2030“ immerhin reichte es. Anders als beim letzten Gipfel 2017 in Abidjan endete das Treffen der Staaten der Europäischen Union (EU) und der Afrikanischen Union (AU) am Freitag in Brüssel mit einer Schlusserklärung. Darin versicherten sich beiden Seiten, für „nachhaltige und anhaltende wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand für unsere Bürger und für unsere künftigen Generationen“ zusammenarbeiten zu wollen.

Als die 40 afrikanischen Staatschefs am Donnerstagmittag zum Gipfel in Brüssel eintrafen, hatten die Europäer sie zunächst warten lassen. Wegen eines „Emergency Meetings“ zur Ukraine war Afrika erst später dran. Dabei hatte die EU sich vorgenommen, die „Partnerschaft“ mit Afrika zu einer „Allianz“ auszubauen. Doch gegen diesen Begriff hatte die Afrikanische Union (AU) sich schon vorab gewehrt – zu groß schienen die Differenzen.

Einer der wichtigsten Streitpunkte: Die Freigabe von Impfstoffpatenten. Die AU fordert sie, die EU blockiert sie – auch auf Drängen von Biontech, Europas wichtigstem Impfstoffhersteller. Der hatte PR-trächtig am Mittwoch bei einem Treffen im Marburger Biontech-Werk von EU und drei afrikanischen Staatschefs, darunter dem AU-Vorsitzenden Macky Sall aus Senegal, mobile Produktionscontainer präsentiert. Die will Biontech in Senegal, Ruanda und Ghana aufstellen.

Damit war der Konflikt allerdings nicht entschärft. Den entscheidenden Versuch dazu unternahmen EU-Ratspräsident Charles Michel, Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Macron, der den Ratsvorsitz innehat, am Freitag. Gemeinsam mit WHO-Direktor Tedros Ghebreyesus stellten sie ein von der EU unterstütztes WHO-Projekt zur patentfreien Herstellung von mRNA-Impfstoff vor.

Südafrika pocht auf Patentfreigabe

Grundlage dafür ist der Forschungserfolg eines südafrikanischen Pharma-Konsortiums. Das hatte im Auftrag der WHO 2021 begonnen, einen mRNA-Covid-Impfstoff zu entwickeln, der jenem des US-Unternehmens Moderna nachgebildet ist. Nach nur zwei Monaten waren die südafrikanischen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen damit fertig. Das Medikament soll nun zunächst in Ägypten, Kenia, Nigeria, Senegal, Südafrika und Tunesien produziert werden. Moderna hatte die Entwicklung toleriert. Biontech hingegen hatte über die von ihm mitfinanzierte Kenup-Stiftung bei der Regierung Südafrikas darauf gedrängt, das Projekt wegen Patentverstößen zu stoppen und gleichzeitig Werbung für die eigenen Produktionscontainer gemacht.

Südafrika aber pocht weiter auf eine europäische Patentfreigabe. Es sei nicht akzeptabel, dass Afrika sich mit Blick auf Medikamente immer hinten anstellen müsse, sagte Präsident Cyril Ramaphosa am Freitag. „Regierungen, die wirklich wollen, dass die Welt Zugang zu Impfstoffen hat, sollten sich für eine Patenfreigabe einsetzen.“ Spenden alleine seien kein nachhaltiger Weg, um Widerstandsfähigkeit aufzubauen. Es dürfe nicht um die Gewinne einiger weniger Unternehmen gehen, so Ramaphosa, der AU-Beauftragter für die Corona-Pandemie ist.

Bundeskanzler Olaf Scholz wies diese Kritik mit Blick auf das Engagement von Biontech zurück: Es gehe um Produktionsmöglichkeiten vor Ort. Senegal, Ruanda und Ghana seien „sehr froh, dass wir das machen“. Biontech habe „gezeigt, wie Made in Africa geht“, sagte er.

Der französische Rückzug aus Mali

Auch sonst war die Gemengelage des Treffens in Brüssel kompliziert. Das fing schon damit an, dass vier der 55 AU-Staaten nicht kommen durften. Die AU hatte die Mitgliedschaft von Sudan, Mali, Burkina Faso und Guinea wegen Militärputschen ausgesetzt. Diese strahlten direkt auf den Gipfel aus: Frankreich hatte am Vorabend des Gipfels entschieden, seine Truppen der Missionen Barkhane und Takuba aus Mali zurück zu ziehen. Deutschland dürfte bald folgen.

Die Truppen sollen künftig wohl im Nachbarstaat Niger stationiert werden, das seinerseits unter schwersten Angriffen der Dschihadisten leidet. Präsident Mohamed Bazoum sagte am Freitag in Brüssel, er wolle die Grenze zu Mali zu sichern. „Wir erwarten, dass dieses Gebiet nach dem Abzug von Barkhane und Takuba erneut unsicher wird und terroristische Gruppen erstarken.“ Neue Militärbasen in Niger unweit der malischen Orte Ménaka und Gao sollen demnach unter anderem Spezialkräfte der Operation Takuba aufnehmen. Eine entsprechende Vereinbarung mit europäischen Regierungen werde noch geschlossen. Laut Bazoum ist auch eine Verlegung von Truppen nach Benin im Gespräch.

Hintergrund des französischen Rückzugs aus Mali war neben der anhaltenden Erfolglosigkeit der Mission und dem Coup auch die Anwesenheit der russischen Söldnertruppe Wagner, die die Militärjunta ins Land geholt hatte. Und wie um zu demonstrieren, dass sie entschlossen ist, sich Partner außerhalb des Westens zu suchen, war Malis Außenminister Abdoulaye Diop am Dienstag nach Teheran gereist. Man werde die bilaterale Zusammenarbeit mit den Mullahs „in allen Bereichen verstärken“, twitterte Diop.

Frankreichs Präsident Macron betonte die Bereitschaft der EU, Afrika weiterhin im Anti-Terror-Kampf zu unterstützen. Man sei gewillt, Ausbildung und Ausrüstung zu finanzieren, um Afrika zu helfen, eigene Kräfte zu mobilisieren. Partnerschaften müssten die afrikanischen Staaten in die Lage versetzen, die großen Zukunftsthemen eigenständig anzugehen, sagte Macron unter Verweis auf während des Gipfels getroffene Vereinbarungen.

Gelder im Wesentlichen Umschichtung von Entwicklungsfonds

Der Abzug aus Mali werde nun organisiert, sagte Macron mit Blick auf die Forderung der Junta in Bamako nach einem unverzüglichen Rückzug. Besiegelt wurde auf dem Gipfel auch, in welchem Umfang Afrika von Europas Giga-Infrastrukturprojekt „Global Gateway“ profitieren soll. Mit dem offen als Konkurrenz zu China angekündigten Förderprogramm will die EU 150 Milliarden Euro für den Ausbau „grüner“ und „digitaler“ Infrastruktur nach Afrika mobilisieren.

„Wenn das wirklich zur Verfügung gestellt würde, wäre das ein wirklicher Fortschritt und eine Brücke zwischen den beiden Kontinenten“, sagte der AU-Vorsitzende, Senegals Präsident Macky Sall. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, Europa und Afrika könnten die großen Fragen unserer Zeit nur gemeinsam beantworten. „Unsere Beziehungen sind von strategischer Relevanz für beide Seiten.“ Die EU habe dazu ein neues „Kooperationsangebot“ an die Staaten der AU gemacht, das sich auf 20 Milliarden Euro pro Jahr belaufe. „Damit wollen wir Anreize schaffen, um zusätzlich noch viele private Investitionen anzuziehen.“

Tatsächlich gibt die EU selbst nur ein Sechstel der Summe, den Rest soll die Privatwirtschaft liefern. Die Kommission hatte am Mittwoch versichert, der „Gateway“ werde nicht zulasten der Entwicklungshilfe gehen. Doch das darf bezweifelt werden. Die dafür vorgesehenen Gelder seien „im Wesentlichen eine Umschichtung bestehender EU-Entwicklungsfonds“, sagte Jeroen Kwakkenbos von der NGO Oxfam.

Dass Äthiopiens Präsident, der Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed, nach Brüssel reiste, nahmen viele Exil-Äthiopier:innen zum Anlass, auf den im November ausgebrochenen Bürgerkrieg in der Region Tigray hinzuweisen. Hunderte Exil-Tigrayer versammelten sich am Donnerstag in der Brüsseler Innenstadt, sie trugen „Stoppt den Genozid“-Transparente. Ahmeds Regierungsarmee warfen sie dabei schwerste Kriegsverbrechen vor. Äthiopiens „Belagerung“ der Region Tigray führt zu einer „menschengemachten Hungersnot“, sagte der Krisenkommissar der EU, Janez Lenarčič.

Mitarbeit: Eric Bonse

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