Wie wir Medien vor der Wahl versagen: Der Wahlkampf unserer Leben

Man könnte sich schön lustig machen über Trielle und Kandidaten. Aber vor dieser Bundestagswahl haben viele versagt, auch wir Medien.

Journalisten verfolgen auf einer Leinwand das Fernseh-Triell von Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz.

Starren auf Leinwände: Journalisten verfolgen das Triell zur Bundestagswahl am Sonntag Foto: Filip Singer, epa

BERLIN taz | Paul Ziemiak zupft am Anzug und schaltet seine Stimme auf zackig. Warum, so haben die Kollegen der veranstaltenden Sender den Generalsekretär der CDU gerade gefragt, freut sich Armin Laschet auf dieses Triell? „Er freut sich, weil er vor Millionen Zuschauern auf Sat.1, ProSieben und Kabel Eins sagen kann, was er in diesem Land bewegen will“, sagt Ziemiak.

Kamera aus, danke, reicht.

„Sender alle richtig aufgezählt?“, sagt Ziemiak, jetzt im jovialen Sprechmodus. Die beiden Journalisten nicken, er nickt und setzt sich wieder zu seiner Peergroup im Fanblock der CDU/CSU, der sich 20 Meter Luftlinie vom Fanblock der Grünen gruppiert hat. In der Nähe eines großen Fernsehers sitzen Volker Bouffier, Thomas Strobl, Doro Bär, Serap Güler, Laschets neue Klimaexpertin Wiebke Winter und Roman Weidenfeller, ein Ex-Torwart, der offenbar auch zu Laschets wichtigsten Beratern gehört.

Entpolitisierung durch Politikunterhaltungsformate

Tja, und so könnte man jetzt schön erzählen, wer aus den Profi-Fanclubs der drei Spitzenkandidaten von Union, SPD und Grünen am Sonntagabend in einem TV-Produktionsgebäude in Berlin-Adlershof keine Strümpfe trug, wer fröhlich-fränkisch-scheppernd durch den Raum krakeelte, wer dauernd zum Rauchen rausging, welcher Fußballheld außerdem noch bei der CDU und welcher Starpianist bei den Grünen-Ultras saß, und dass bei Letzteren gar niemand strickte, sondern fast alle obsessiv am Telefon rumfummelten, und mutmaßlich nur eine wirklich zuschaute (nämlich Claudia Roth).

Man könnte die Frage stellen, was es bringt, sich in ein Fernsehstudio zu setzen, um eine Sendung im Raum nebenan anzuschauen und dann auch noch zu klatschen, wenn der jeweils eigene Kandidat das sagt, was er immer sagt, oder höhnisch zu lachen, wenn ein anderer das sagt, was er immer sagt. (Auf Nachfrage erfährt man, dass es selbstverständlich „nichts“ bringt.)

Es wäre jedenfalls ein großer Schreib- und Lesespaß. Aber, und jetzt kommt's ganz dick, das würde nur die Entpolitisierung der Politik durch Politikunterhaltungsformate reproduzieren. Es würde – wie der Talkshowkritik-Klassiker – darauf hinauslaufen, dass Politik, und vor allem auch die anderen Medien, es einfach nicht draufhaben und dass man wenigstens noch den schönen alten Distinktionsgewinn haben kann, wenn man sagt, dass man selbst nicht so bescheuert ist wie alle anderen.

Zuspitzung auf Einzelpersonen macht den Wahlkampf kaputt

Selbstverständlich kann man, wie die Grünen gerade in Versuchung sind, die Schuld immer noch bei allen anderen suchen, der bösen Welt und so weiter, aber das reicht nicht mehr. Entweder man sagt, es ist halt, wie es ist, Mund abputzen, weitermachen. Oder, wenn einem das nicht genügt, muss man sich erst einmal eingestehen, dass alle in diesem Wahlkampf versagt haben, speziell auch wir Medien als Ganzes.

Die entpolitisierende Zuspitzung auf Einzelpersonen und deren vermeintliche Charakter, die auch dieser Wahlkampf wieder kaputtgemacht hat, die Reduzierung auf Rollen – die Hochstaplerin, der Clown und dann Scholz als Last Man Standing – ist verständlich im Denken der Unterhaltungsmedien, die wir ja alle, etwas mehr oder etwas weniger, sind. Alle schielen wir auf unsere Zielgruppe, der wir das geben, von dem wir denken wollen, dass sie das konsumieren will: die richtigen Emotionen. Und das kann es einfach nicht sein.

Es ist uns nicht gelungen, die bundesrepublikanischen Dauerregierungsparteien Union und SPD aus ihrem Modus des letzten Jahrhunderts zu holen, aus einer fossil befeuerten Boomer-Welt, in der Leute unter 30 keine Rolle spielen und man endlos weiter reden will über Mindestlohn ja oder nein, Steuererhöhungen nein oder ja.

Das haben die drei Fernsehsendungen mit den Spitzenkandidaten Laschet, Scholz und Baerbock ja nicht exklusiv, dass die großen Zukunftsfragen nicht oder kaum auftauchen – Europa, China, Digitalisierung, neue Macht- und Außenpolitik. Der Blick ist national as it can be. Besonders auffällig, dass dauernd gesagt wird, wie wichtig Klima in diesem Wahlkampf sei – um die eskalierende Klimakrise damit schön abzumoderieren.

Keines der Programme begrenzt die Erderhitzung ausreichend

Wenn man die zukunftspolitischen Programme aller Parteien ernst nimmt – und das muss man in diesem Fall –, dann gibt es keine Partei, die Politik für eine Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad entwickelt hat. Auch die Grünen nicht, die mit ihrem Marketingsprech vom „1,5-Grad-Pfad“ – mit freundlicher Unterstützung von Fridays for Future – verschleiert haben, dass sie eben bestenfalls auf 1,8 hinauswollen, was aber wohl auch längst illusorisch ist. Während die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD locker-flockig Richtung 3 Grad zielen. Um das einzuordnen, muss man sich vorstellen, die wollten die Arbeitslosigkeit auf 40 Millionen Deutsche begrenzen. Da wär was los – und zwar zu Recht.

Bernd Ulrich hat in der Zeit auf den Punkt gebracht, dass SPD-Kandidat Olaf Scholz mit seiner Idee, der Klimakrise mit „moderater“ Politik zu begegnen, uns eine radikal veränderte Zukunft einbrocken will – radikal schlechter als heute. Wenn „Weiter so“ meint, dass wir weiter in Freiheit, Demokratie und relativem Wohlstand durch eine funktierende Wirtschaft leben wollen, dann braucht es jetzt ernsthafte Zukunftspolitik, damit es weitergehen kann.

Die Zukunft wird ausgeklammert

Offenbar gibt es eine unausgesprochene Abmachung, über die zentralen Zukunftsthemen nicht zu sprechen. Beziehungsweise haben wir Journalisten die Agenda des Ausklammerns der Zukunft akzeptiert, die speziell die beiden Parteien vorgeben, die seit zig Jahren die Macht und Posten schön verteilt haben. Die in der fossilen Nachkriegswelt mit ihrer reformistischen Maß-und-Mitte-Politik auch viel hingekriegt haben, aber die nun nicht aus ihrem dysfunktionalen Modus herauskommen und immer weiter so tun, als mache es einen furchtbar großen Unterschied, wer von beiden das illusionistische Weiter-so anführt.

Kaum einer redet darüber, dass die von Scholz und Laschet vertretene Klimapolitik nicht mal annähernd reicht, um das Klima-Abkommen von Paris einzuhalten, die diese Parteien selbst unterschrieben haben. Auch nicht, um die bundesdeutsche Wirtschaft am Laufen zu halten. Stattdessen immer wieder die Frage, ob etwa jemand – strenger Blick auf die Grünen-Vorsitzende Baerbock – irgendetwas „verbieten“ will. Mit diesem Spin wird der Problemlösungsversuch zum Problem, das Problem gibt es nicht mehr.

Ich verbiete nix, sagt dann Scholz immer staatstragend. Damit will er punkten, und vielleicht tut er das, aber es ist auch die bedingungslose Kapitulation, bevor der Kampf um unsere Zukunft überhaupt begonnen hat. Oder nicht? Darüber muss man jedenfalls sprechen und streiten, da muss man dazwischenfragen, da muss man Fachkenntnisse haben und einen Blick für das zukünftige Ganze – und das fehlt uns Journalisten zu oft.

Ich selbst bin da keine Ausnahme und habe unlängst den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner in einem taz-Interview zu leicht davonkommen lassen, weil ich an wichtigen Stellen nicht die angemessenen Fragen gestellt habe – und das geht mir ziemlich nach, weil das Interview keine gute Arbeit war, sondern nur gute Unterhaltung, was ja auch ein Kunsthandwerk ist, aber in unserer Lage reicht das nicht mehr.

Wir Journalisten müssen uns schulen

Was ich damit sagen will: Wir müssen es uns nach der Wahl auch als Journalisten eingestehen, wenn wir es in diesem Wahlkampf nicht gut gemacht haben. Wir müssen uns in den zukunftspolitischen Themen fachlich schulen. Und wir brauchen einen Plan, wie wir den Kopf oben behalten und uns nicht treiben lassen von Propaganda, PR, der Agenda der politischen Besitzstandswahrer und absurden Spins wie jenem, dass Redaktionen heute alle „grün“ seien, speziell die Öffentlich-Rechtlichen, wenn dort in Wahrheit alle Gremien von Union und SPD dominiert werden und die Journalisten zwar Gott sei Dank gesellschaftsliberaler sind als in den 60er Jahren des letztens Jahrhunderts, aber die Klimakrise in ihrer Bedeutung eben auch noch nicht durchdrungen haben.

Als der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck im Frühjahr das Wording vom „Wahlkampf unseres Lebens“ prägte, da schien das erst mal seine Grünen zu meinen und sah bald darauf so aus, als hätten die sich daran böse verschluckt, hahaha. Habecks Pathos ist ja immer strategisch und zutiefst romantisch zugleich – und nun stellt sich heraus, dass er damit für die Gesellschaft, für die Politik und auch für die Medien die Lage auf den Punkt gebracht haben könnte. Viele, zu viele, haben nicht gecheckt, dass dies auch der Wahlkampf unserer Leben war.

Und dass wir alle es sind, die ihn vergeigen.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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