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Geplatzte Auflösung des LandtagsThüringer Politdrama ohne Ende

Die Neuwahl in Thüringen ist gescheitert, das Vertrauen in die Politik erschüttert. Nun will die AfD ein Misstrauensvotum. Wie geht es weiter?

In Thüringen regiert das Misstrauen: Bodo Ramelow kann sich nicht auf die CDU verlassen Foto: Martin Schutt/dpa

Leipzig taz | Eigentlich waren die Vorbereitungen zur Wahl bereits angelaufen. Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen wurden aufgestellt, Wahlkreise besucht, Parteiprogramme vorgestellt. Thüringen auf dem Weg in die Zukunft, so sah es aus, Stichtag dafür war der 26. September. Am vergangenen Freitag jedoch war klar: Es wird keine Neuwahl des Thüringer Landtages im September geben. Grüne und Linke zogen ihre Zustimmung zum Antrag auf Auflösung des Parlaments zurück, den es formell für Neuwahlen braucht. Am Ende schien das Vorhaben den beiden Parteien wohl zu riskant.

Die aus ihrer Sicht drohende Gefahr: Weil nicht klar ist, ob die CDU wie vereinbart die nötigen Stimmen liefert, um die Auflösung zu beschließen, hätte schlimmstenfalls die AfD mit für die Auflösung und damit die Neuwahl stimmen können. Das wollte insbesondere die Linke vermeiden.

Denn 2019 waren es eben die Stimmen der AfD gewesen, die Thomas Kemmerich (FDP) kurzzeitig ins Amt hoben und damit die Regierungskrise erst auslösten, die Thüringen seitdem nie ganz losgelassen hat. Auf das Kemmerich-Debakel, das mit dessen Sturz endete, folgte die CDU-gestützte rot-rot-grüne Minderheitsregierung. Bedingung für diesen Stabilitätspakt war die Einigung, dass der Landtag 2021 aufgelöst und neu gewählt werden soll. Am Freitag platzte dieser Plan.

„Die Enttäuschung sitzt tief“, sagte SPD-Parteichef und Innenminister Georg Maier nun gegenüber der taz. Der Schaden sei groß, insbesondere für das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung. Linken-Fraktionschef Steffen Dittes wies diese Kritik jedoch zurück. Er sieht die CDU in der Verantwortung. Der Rückzug des Antrages sei nicht etwa eine Entscheidung gegen Neuwahlen, „sondern gegen die Gefahr einer Abstimmung mit der AfD“, so Dittes, weil die CDU nicht die nötigen Stimmen gebracht hätte. Die beteuert allerdings, dass die nötigen Mehrheiten vorhanden wären und warf wiederum den Linken politisches Kalkül vor.

Wie geht es weiter?

Die Entwicklung zeigt, wie zerstritten das Parlament ist. Seit Dezember ist der mit der CDU vereinbarte Stabilitätspakt ausgelaufen. Konkret bedeutet das, das es keine Mehrheiten mehr gibt. Die Kräfteverhältnisse könnten sich nun verschieben. Für die Minderheitsregierung wird es schwierig, sich ohne Zustimmung der CDU durchzusetzen.

Dennoch sagt Dittes: „Es gibt keine Regierungskrise.“ Die Koalition habe vollständige Handlungsfähigkeit. Immerhin sei schon seit der Wahl klar, dass rot-rot-grün eine Minderheitsregierung ist. „Die CDU muss sich nun entscheiden, ob sie künftig die AfD für Mehrheiten nutzen will“, so Dittes.

Die Sorge ist, dass die Nicht-Auflösung des Landtages nun vor allem die AfD stärken könnte – wenn sich die CDU nun weiter an sie annähern sollte. Der linke Ministerpräsident ist der CDU-Fraktion schon lange ein Dorn im Auge und die Südthüringer CDU war es schließlich auch, die den umstrittenen Hans-Georg Maaßen als ihren Direktkandidaten für die Bundestagswahl aufstellte. Und im Juni waren sich CDU und AfD bereits bei der Entscheidung einig, eine Petition zur Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete im thüringischen Suhl einzureichen.

Die Frage um das „Wie weiter“ bleibt bei den Fraktionen umstritten. SPD-Chef Maier sagte, es müsse nun erneut Gespräche zwischen rot-rot-grün und der CDU geben und bezeichnete die SPD als Scharnier zwischen den Lagern. Eine solche Abmachung schloss CDU-Chef Mario Voigt jedoch aus. „Eine weitere Übergangsvereinbarung wird es nicht geben“, sagt er zur taz. „Es ist an Rot-Rot-Grün, sich Mehrheiten für Vorhaben und Gesetze zu suchen.“ Die CDU-Fraktion sei nicht dafür da, die Politik einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung abzusichern. Er sehe die CDU in der Rolle der Opposition, die die Landesregierung kontrolliere.

Diskussion zu einer möglichen Vertrauensfrage von Ramelow sieht Linken-Fraktionschef Dittes als nicht zielführend. „Die Vertrauensfrage würde nicht zu Neuwahlen des Parlaments führen“, so der Fraktionschef. „Daher ist das momentan auch keine Option. Sofern es jedoch kein neues Abkommen zwischen rot-rot-grün und der CDU geben sollte, heißt das: Mehrheiten suchen – und zwar jedes Mal aufs Neue in zäher Aushandlung.

Am Montagnachmittag verkündete die AfD, dass sie einen Antrag auf ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Bodo Ramelow gestellt hat. Als Herausforderer will der AfD-Vorsitzende Björn Höcke antreten, der für seine rechtsextreme Politik bekannt ist. Für solch ein Votum bräuchte die AfD jedoch ebenfalls eine Mehrheit. Es ist unwahrscheinlich, dass die demokratischen Parteien für Höcke tatsächlich den Weg als Ministerpräsidenten freimachen.

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14 Kommentare

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  • Es ist schon erstaunlich, wie Höcke es immer wieder schafft, die CDU vorzuführen.



    Natürlich wird er nicht zum Ministerpräsidenten gewählt werden.



    Aber jeder, der ihn nicht wählt, spricht damit dem Amtsinhaber von den Linken das Vertrauen aus, das sind die Regularien eines konstruktiven Mistrauensvotums.



    Und dann hat er dir CDU genau da, wo er sie haben will:



    In einem Boot mit den Linken.

    • @Don Geraldo:

      Und morgen, liebe Kinder, erzählt Don Geraldo Euch ein anderes Märchen.

  • Bitte nicht vergessen, dass schon einmal der Nationalsozialismus von Thüringen aus sich verbreitete. An der Mentalität dieser Bevölkerung hat sich doch nichts geändert. Sie haben stets vor der Obrigkeit gekuscht und ich empfehle einmal den Spezialisten für "Politik in allen Lebenslagen" diesen Freistaat in seinen miefigsten Ecken zu durchleuchten. Das Eixfeld ist nur eine davon. Dann wird sich schnell erweisen, dass der Wendehals sein größtes Vorkommen in diesem Freistaat dort findet. Paradebeispiel ist meine alte Freundin aus der Possenallee in Sondershausen Vera Lengsfeld, die sich von der SED über die Grünen zur CDU und nun zur Sympathisantin der AfD wandelte.

  • " Es ist unwahrscheinlich, dass die demokratischen Parteien für Höcke tatsächlich den Weg als Ministerpräsidenten freimachen."

    Darum geht's ja auch gar nicht, ganz im Gegenteil! Aber so kann die AfD wieder mal die Etablierten vorführen...

  • "„Die CDU muss sich nun entscheiden, ob sie künftig die AfD für Mehrheiten nutzen will“, so Dittes."

    Das ist schon eine miese Nummer. Herr Dittes suggeriert damit, dass die Union die AfD unterstützt, sollte sie als Oppositionspartei nicht nicht weiter der Linken den Rücken freihalten. Interessantes Demokratieverständnis.

  • Das Prinzip, wir stimmen grundsätzlich nicht für etwas, für das auch Abgeordnete der AfD stimmen könnten, gibt der AfD eine viel größere Macht, als wenn man ihre Stimmen in Kauf nehmen würde. Wenn neben Stimmen der Linken, der Grünen der SPD, der CDU und eventuell der FDP auch solche der AfD für die Auflösung des Landtags gewesen wären, hätte man sich anders als bei der Wahl des Ministerpräsidenten in keine Abhängigkeit von dieser Partei begeben.



    So setzt sich die Linkspartei dem Verdacht aus, aus Angst vor dem Ergebnis von Neuwahlen Thüringen in ein politisches Chaos zu stürzen und der Höcke-AfD eine Bühne für ihre Inszenierungen zu geben. Über das Demokratieverständnis der Linken sagt das nichts Gutes.

  • Ich denke, dass hag auch wahltaktische Gründe: Bei einer LT-Wahl gleichzeitig mit dem Bundestag, dürfte die Linke dort weniger Stimmen bekommen als sie es sonst in Thüringen hätte, - umgekehrt dürften die Grünen evtl. im Bundestag in Thüringen weniger Stimmen bekommen, wenn Leute die sie sonst gewählt hätten, im Land die Linke wählen und beim Bundestag dasselbe ankreuzen...

  • Für eine vorzeitige Auflöung des Parlaments braucht es eine 2/3tel Mehrheit. Die CDU hatte bereits vor der vereinbarten gemeinschaftlichen Abstimmung 4 Stimmen zurückgezogen, sodass es diese Mehrheit jetzt nur noch mit Stimmen der AfD geben könnte. Was soll das? Will die CDU der AfD in Thüringen jetzt mal so richtig unter die Arme greifen, damit die anschließend kackfrech verkünden kann, die Landesregierung gestürzt zu haben? Wie blöd ist das denn bitte?

    • @Rainer B.:

      "Die CDU" kann keine Stimmen zurückziehen, da Abgeordnete frei in ihrer Entscheidung sind.

      Dass man für die Auflösung des Landtages eventuell Stimmen der AfD benötigen würde, wusste die Linke bereits als sie diesen Deal mit der CDU gemacht hatte.

      Es sieht eher so aus, als hätte die Linke bei der Entscheidung, den Landtag aufzulösen, auf ihre schlechten Umfragewerte geschielt.

      • @gelangweilt:

        Als ob die CDU jemals ein Problem mit Fraktionszwang gehabt hätte. Die Entscheidungsfreiheit von Abgeordneten endet in der Praxis ohnehin gewöhnlich ja nicht erst da, wo Parteien Bündnisse mit anderen Parteien eingehen. Wenn die CDU Neuwahlen will, muss sie mit den derzeit regierenden Parteien in Thüringen geschlossen für Neuwahlen stimmen. Da bereits 4 CDU-Abgeordnete nicht mitgehen wollen, ist das Thema vorgezogene Neuwahlen damit doch erledigt.

        Umfragewerte sind keine Wählerstimmen und dass die Zahl der Wählerstimmen für die Linke irgendwie entscheidend vom Termin der Wahl abhängen würde, halte ich für bullshit.

  • Offensichtlich hat die RRG Regierung die Unterstützung durch die CDU überreizt und gibt nichts zurück. So kann man keine Mehrheiten gegen die AfD finden

    CDU und Linkspartei müssen verdammt nochmal endlich zusammen finden zu einer Mehrheitskoalition gegen die AfD.

    Warum sendet die Linkspartei da nicht endlich mal klare Botschaften Richtung CDU aus?!

    Oder wenn das nicht geht: Warum wechselt man nicht einfach mal und überläßt der CDU die Minderheitsregierung? Wäre doch nur fair. Und die Linkspartei stimmt dann zur Abwechslung für das, was die CDU will.

    • 6G
      68514 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      Der CDU einfach die Regierung überlassen? Das würde wohl gut zur Hybris mancher CDU-Politiker passen, die da immer noch glauben dass es nur mit ihnen geht. Aber so einfach wird's nicht mehr gemacht. CDU in der Regierung ist nun mal kein Selbstläufer mehr.

      • @68514 (Profil gelöscht):

        Realität ist ein hartes Brot.

        Es geht in Thüringen nur zusammen gegen die AfD. Insofern geht es weder ohne die CDU noch ohne die Linkspartei Das sollte mittlerweile klar sein.



        Mit Selbstläufer hat das nüscht zu tun.

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    Da wirft eine Partei (CDU) der anderen (Linke) politisches Kalkül vor, arbeitet aber selbst mit politischen Kalkül (Wahl Kemmerichs, Ramelow wollen sie ja nicht). Tja, da müssen sich die CDU-Granden wohl dran gewöhnen, dass sie eben nicht das alleinige Maß der Dinge mehr sind. Dazu haben sie doch selbst viel zu viel Vertrauen in der Vergangenheit vergeigt.



    Und was nun? Na eben Minderheitsregierung mit Aushandeln von Mehrheiten nach Sachthemen, jedes mal immer wieder, mühsam, ohne komfortable Mehrheit zum einfachen Durchwinken. Das kommt einer Demokratie viel näher als alles was vorher in den letzten Jahrzehnten meist geboten wurde. Und es ist ja bekanntermaßen nicht die erste Minderheitsregierung auf Länderebene in Deutschland.